Die neue Versicherungsvermittlungsverordnung

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Inhaltsverzeichnis
Recht und Gesetz

Die neue Versicherungsvermittlungsverordnung: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist (immer noch) besser

 

Am 22. Mai 2007 ist die neue „Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung“ (VersVermV) in Kraft getreten: Ab sofort müssen angehende Versicherungsvermittler eine Prüfung ablegen und sich zentral registrieren lassen. Das klingt gut, konnte doch bislang jeder mit einem Gewerbeschein Versicherungen verkaufen – ohne irgendeine Qualifikation oder Eignung nachweisen zu müssen.

Nicht zuletzt das erleichterte schwarzen Schafen den Zugang zum Markt. Mit der Umsetzung der europäischen Richtlinie 2002/92/EG wird eine Tätigkeit als Versicherungsvermittler und/oder -berater auch in Deutschland ab sofort erlaubnispflichtig. Große Erwartungen knüpfen sich an die „Verordnung über die Versicherungsvermittlung und -beratung“ (VersVermV), die vor allem eine Verbesserung für die Kunden bringen soll. Offizielle Vertreter der Branche wie Hans-Dieter Schäfer vom Bundesverband deutscher Versicherungskaufleute hoffen zudem auf eine Imagesteigerung für ihren Berufsstand, denn die Versicherungsbranche genießt – ob in der Gesamtheit nun zu Recht oder zu Unrecht – keinen besonders guten Ruf. Aber wird die Gesetzesänderung auch wirklich die erhofften Verbesserungen für Verbraucher bringen? Sachkundenachweis, Dokumentationspflicht sowie eine obligatorische Berufshaftpflichtversicherung für Versicherungsvermittler sind sicher begrüßenswert – Verbraucherschützer warnen jedoch vor übertriebenem Vertrauen, denn nicht nur für „altgediente“ Vermittler gibt es erhebliche Ausnahmen von den neuen Regeln.
Zunächst steht allen Beteiligten sowieso erstmal eine Zeit des Übergangs bevor, die laut Gesetzgeber am 01.09.2009 beendet sein wird. Erst bis dahin nämlich müssen sich (fast) alle, die in der Branche tätig sind, bei den Industrie- und Handelskammern (IHK) registriert haben.
Registrierungspflicht und Statusnachweis
Gänzlich ausgenommen von der Registrierungspflicht sind Vermittler, die Versicherungen zu niedrigen Preisen als Zusatz zu anderen Produkten oder Dienstleistungen verkaufen, und das sind nicht eben wenige. Somit gilt die VersVermV beispielsweise nicht für Reiseveranstalter, die neben den Reisen entsprechende Reiserücktrittsversicherungen verkaufen, oder auch Autovermietungen, bei denen die Kosten für ein Rundum-Sorglos-Versicherungspakekt leicht den Basis-Mietpreis für das Auto übersteigen können.
Alle anderen sind laut Gesetz verpflichtet, ihre Registrierungsnummer dem Kunden in Zukunft unaufgefordert beim Erstkontakt vorlegen, ebenso wie einen Nachweis des bei der Registrierung aufgenommenen Status. So soll der Verbraucher gleich erkennen können, ob es sich bei seinem Gegenüber um einen Makler, einen Ein-Firmen-Vertreter oder um einen unabhängigen Berater handelt. Der Bundesverband der deutschen Verbraucherzentralen (vzbv) kritisiert jedoch, dass der Statusnachweis zu formell gehalten sei, so dass diese Informationen für die Kunden nur schwer richtig einzuordnen seien.
Sachkundenachweis – Bestandsschutz und Übergangsregelungen
Zumindest aber geht aus der Registrierungsnummer hervor, dass der Vermittler über eine geeignete Qualifikation und die notwendigen Fachkenntnisse verfügt, denn ohne Sachkundenachweis erfolgt keine Registrierung durch die IHK – oder doch?
Ab sofort gelten die neuen gesetzlichen Vorgaben in vollem Umfang nur für Vermittler, die erst in diesem Jahr mit ihrer Tätigkeit begonnen haben. Künftig werden Neuvermittler dann vor noch zu bildenden Prüfungsausschüssen der IHK eine entsprechende Sachkundeprüfung ablegen müssen.
Keinerlei Sachkundenachweis müssen hingegen Altvermittler erbringen, die mindestens seit dem 31. August 2000 als Versicherungsvermittler oder -berater tätig sind – so will es der so genannte Bestandsschutz.
Und unter eine Übergangsregelung fallen diejenigen, die erst nach dem 31.08.2000 in der Branche tätig geworden sind, aber vor dem 01.01.2007. Auch sie haben bis zum 01.01.2009 Zeit, sich registrieren zu lassen und genauso lange, einen Sachkundenachweis zu erbringen. Bis dahin können sie erstmal weiter ohne Erlaubnis arbeiten.
Ein-Firmen-Vertreter können sich überdies von „ihren“ Unternehmen „angemessene“ Berufskenntnisse bescheinigen lassen, dann entfällt ein weiterer Sachkundenachweis bei der Registrierung. Diese Möglichkeit werden sicher viele nutzen, so auch diejenigen der rund 800 ehemaligen Außendienstmitarbeiter der Aachen-Münchener Versicherung, die mit der Ausgliederung des Vertriebs seit Anfang dieses Jahres als selbständige Handelsvertreter ausschließlich im Auftrag der Deutsche Vermögensberatung (DVAG) unterwegs sind.
Gleichgestellte Qualifikationen
Eine IHK-Prüfung entfällt darüber hinaus auch in Zukunft, sofern eine der erforderlichen Sachkunde gleich gestellte Berufsqualifikation vorliegt. Dies ist unter anderem der Fall bei Juristen und Betriebswirten mit abgeschlossenem Hochschulstudium in der Fachrichtung Versicherungen sowie Versicherungskaufleuten oder Fachwirten für Finanzberatung. Weiterhin gelten bestimmte Kombinationen kaufmännischer Ausbildungen, Weiterbildungen und Berufserfahrung als Bestätigung der fachlichen Eignung. Und wer – egal was – erfolgreich an einer Hochschule oder Berufsakademie studiert hat, braucht ebenfalls keine Prüfung abzulegen, wenn mindestens drei Jahre berufliche Praxis als Versicherungsvermittler oder -berater nachgewiesen werden können.
Berufshaftpflicht – ohne Ausnahme
Eine weitere Voraussetzung für die Registrierung ist neben dem Sachkundenachweis eine bestehende Berufshaftpflichtversicherung, und zwar ohne Übergangszeit, also ab sofort, für alle registrierungspflichtigen Vermittler. Damit soll sichergestellt werden, dass Kunden im Falle eines Haftungsanspruches aufgrund von Fehlberatung diesen gegenüber dem Vermittler geltend machen können, wenn dessen Versicherungsfirma zahlungsunfähig ist. Die Mindestversicherungssumme beträgt 1 Million Euro je Versicherungsfall, sowie 1,5 Millionen Euro für alle Versicherungsfälle eines Jahres.
Auf Betreiben der Länder Hamburg und Baden-Württemberg wurde die VersVermV noch dahingehend geändert, dass eine so genannte Nachhaftungsbegrenzung der Berufshaftpflichtversicherung nicht mehr zulässig ist. Bisher blieb bei vielen Policen der Versicherungsschutz für während der Laufzeit abgeschlossene Verträge nach der Kündigung der Haftpflichtversicherung, also beispielsweise beim Renteneintritt des Vermittlers, nur noch für wenige Jahre weiter bestehen. Die Berufshaftpflichtversicherung war also nach Ablauf des Nachhaftungszeitraumes für eventuelle Haftungsansprüche eines Kunden gegenüber seinem früheren Vermittler nicht mehr zuständig. Viele Vermittler, die über eine Berufshaftpflichtversicherung verfügen, werden diese mit begrenzter Nachhaftung abgeschlossen haben. So lange ihre Policen nicht entsprechend angepasst sind, dürfen sie laut Gesetz ihrer Tätigkeit nicht weiter nachgehen.
Dokumentationspflicht
Um Fehlberatungen im Haftungsfall überhaupt nachweisen zu können, müssen die Beratungs- und Verkaufsgespräche nach der neuen Verordnung genau dokumentiert werden. Vor dem Abschluss einer Versicherung muss der Berater dem Kunden ein Protokoll vorlegen, das beide dann unterschreiben. Dieses Protokoll soll keinesfalls ein Standardformular sein, wie es einige Versicherungsgesellschaften schon in ihre Software integriert haben, sondern eine individuelle Aufzeichnung des Beratungsgesprächs, in dem alle wesentlichen Einzelheiten wiedergegeben sind. Auch auf unverständliche Formulierungen sollten Kunden hier achten, denn das Protokoll soll doch der rechtlichen Absicherung beider Seiten dienen und nicht nur der rechtlichen Absicherung des Vermittlers. In Zweifelsfällen kann man sich hierzu auch an die Verbraucherzentralen oder den Bund der Versicherten wenden.
Beratungsverzicht
Der Kunde kann, wenn er sich bereits umfassend informiert fühlt, auf eine Beratung verzichten. So sieht es das Gesetz vor. Lars Gatschke vom vzbv kritisiert, dass diese Regelung zum Missbrauch einlade, ein geschickter Vertreter könne dem Kunden die Verzichtserklärung „mit treuherzigem Augenaufschlag unterjubeln“, ohne dass sich dieser darüber klar wäre, worauf er eigentlich verzichte. Und das ist nicht gerade wenig, denn mit dem Beratungsverzicht entfallen alle Schadensersatzansprüche. Allerdings muss laut Gesetz der Vermittler den Kunden explizit darauf hinweisen, dass er mit dem Unterzeichnen dieser Verzichtserklärung keinerlei Schadensersatzansprüche mehr geltend machen kann.
Fazit
Die neue Verordnung zur Versicherungsvermittlung und -beratung ist ein wichtiger Schritt zu mehr Transparenz und Verbraucherschutz in der Versicherungsbranche. Es ist begrüßenswert, dass in Zukunft nicht mehr jeder oder jede drauflos marschieren und Versicherungen verkaufen kann.
Eine sichere Einschätzung der Sachkenntnisse eines Vermittlers allein aufgrund der erfolgreichen Registrierung bei der IHK ist allerdings wegen der zahlreichen Ausnahmen nicht möglich. Hier wiegen besonders schwer der Bestandsschutz für Altvermittler und die Möglichkeit für Ein-Firmen-Vertreter, sich angemessene Berufskenntnis von ihrem Unternehmen bescheinigen zu lassen. Ob der Statusnachweis für die Kunden mehr Einsicht in die Art der Tätigkeit und damit auch in die wirtschaftlichen Abhängigkeiten seines Beraters bringt, bleibt noch offen. Und ob und inwieweit die Dokumentation hält, was sie verspricht, nämlich mehr Klarheit über die Haftung im Schadensfall zu bringen, werden die Gerichte sehen, wenn sie über die ersten Streitfälle nach in Kraft treten der VersVermV entscheiden müssen. Über die angemessene Form der Dokumentation wird in diesem Zusammenhang sicher noch gestritten werden.
In jedem Fall sollte sich der Kunde also auch weiterhin die Zeit nehmen, genau zu lesen und zu verstehen, was er unterschreiben soll beziehungsweise will. Und dies gilt nicht nur für das Kleingedruckte im Vertrag sondern auch für das Beratungsprotokoll. Eine Verzichtserklärung abzugeben, scheint in den wenigsten Fällen ratsam zu sein, fallen doch so alle Schadensersatzansprüche weg. Es bleibt zu hoffen, dass die Dokumentationspflicht weder ausschließlich Papierkram und mehr Bürokratie bedeutet, noch zu einer reinen Pro-Forma-Angelegenheit verkommt, sondern auch eine wirkliche Verbesserung der Beratungsgespräche mit sich bringt. Aber zumindest kann man sich nun sicher sein, dass der Vermittler überhaupt über eine Berufshaftpflichtversicherung in angemessenem Umfang verfügt, und dass diese auch noch haftet, wenn der Berater schon längst nicht mehr tätig ist.

Dr. Thomas Schulte

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Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 137 vom 14. Juni 2007 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich

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