Der Schufa-Regio-Score-Dr Thomas Schulte

Der Schufa-Regio-Score: Wenn der Wohnort über die Kreditwürdigkeit entscheidet

Wenn der Wohnort über Ihr Leben entscheidet? Wie der Regio-Score Vertrauen kostet, Rechte berührt und den Streit um faire Kreditwürdigkeit neu entfacht.

Was sagt es über unser Rechtssystem aus, wenn der eigene Wohnort über Kredite, Handyverträge und Wohnungschancen entscheidet? Wie gerecht kann ein Verfahren sein, das persönliche Zuverlässigkeit an Nachbarschaftsdurchschnitt und regionale Statistiken knüpft? Für Millionen Menschen in Deutschland ist die SCHUFA längst ein mächtiger Faktor ihres Alltags – und der Regio-Score ein stiller Risikohebel, von dem viele erst erfahren, wenn der Kredit bereits abgelehnt wurde.

Allein 2023 führten deutsche Banken und Unternehmen über 250 Millionen SCHUFA-Abfragen, die in rund 70 Millionen Vertragsentscheidungen einflossen. Rund 1.072 Fälle täglich sollen laut SCHUFA-Angaben direkt vom Regio-Score beeinflusst sein – eine Zahl, die Verbraucherschützer alarmiert. Ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs aus dem Dezember 2023 stellt klar: Automatisierte Bewertungen wie diese müssen sich an der Datenschutz-Grundverordnung messen lassen. Doch was bedeutet das in der Praxis? Wie viel Diskriminierung steckt in der scheinbar neutralen Bonitätsprüfung? Und was können Verbraucher tun, wenn der Computer sagt: „Nein“?

Die Schufa und ihre Rolle im Alltag

Die Schufa (Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung) ist für viele Verbraucher ein zentraler Akteur bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit. Banken, Mobilfunkanbieter, Vermieter und andere Unternehmen greifen regelmäßig auf die Auskünfte der Schufa zurück, um die Bonität von Kunden einzuschätzen. Was viele nicht wissen: Neben individuellen Faktoren wie Zahlungsverhalten oder bestehenden Krediten fließt auch der sogenannte Regio-Score in diese Bewertung ein – ein Instrument, das zunehmend in die Kritik gerät.

Was ist der Regio-Score?

Der Regio-Score ist eine statistische Zusatzkomponente im Rahmen der Bonitätsprüfung. Er basiert nicht auf persönlichen Daten des Einzelnen, sondern auf soziodemografischen Merkmalen der Region, in der eine Person wohnt – etwa dem Zahlungsverhalten in der Nachbarschaft oder dem durchschnittlichen Einkommen der Umgebung. Laut Schufa soll dieser Wert dabei helfen, insbesondere bei Personen mit wenigen eigenen Zahlungserfahrungen oder geringem Datenbestand („Thin File“) eine ergänzende Einschätzung des Risikos zu geben. Ziel sei es, das Ausfallrisiko für Unternehmen bei Geschäften mit Privatpersonen noch präziser einschätzen zu können.

Kritik und rechtliche Bedenken

Verbraucherschützer und Datenschützer sehen im Regio-Score ein potenziell diskriminierendes Instrument, das soziale Ungleichheiten verstärken kann. Menschen aus einkommensschwachen Stadtteilen oder strukturschwachen Regionen werden dadurch systematisch benachteiligt – selbst dann, wenn sie ihre Finanzen vorbildlich im Griff haben. Die Praxis erinnert an das aus den USA bekannte „Redlining“, bei dem bestimmte Stadtteile auf Grundlage ihrer Sozialstruktur von Krediten oder Investitionen ausgeschlossen wurden.

Ein wegweisendes Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom Dezember 2023 stellte fest, dass die ausschließliche Verwendung des Schufa-Scores zur Beurteilung der Kreditwürdigkeit gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstößt. Automatisierte Entscheidungen ohne menschliche Beteiligung sind unzulässig, wenn sie rechtliche Wirkung entfalten oder die betroffene Person in ähnlicher Weise erheblich beeinträchtigen.

In der Folge verpflichtete das Landgericht Bayreuth die Schufa, ihre Score-Berechnung offenzulegen, und sprach einer Verbraucherin 3.000 Euro Schadenersatz zu.

Beispiel: Der Einfluss des Regio-Scores auf die Kreditvergabe

Herr Müller, ein 35-jähriger Lehrer aus Berlin, beantragt einen Kredit für den Kauf eines neuen Autos. Trotz eines stabilen Einkommens und einer positiven persönlichen Zahlungshistorie erhält er eine Absage von der Bank. Auf Nachfrage erfährt er, dass sein Schufa-Score als „akzeptabel“ eingestuft wurde. Der Grund: Der Regio-Score, der statistische Merkmale seiner Wohngegend berücksichtigt, wirkt sich negativ auf seine Gesamtbewertung aus. Obwohl Herr Müller selbst keine finanziellen Probleme hat, beeinflusst das Zahlungsverhalten anderer in seiner Nachbarschaft seine Kreditwürdigkeit.

Neue Transparenz ab Herbst 2025

Als Reaktion auf die Kritik und gerichtliche Entscheidungen plant die Schufa, ab Herbst 2025 einen neuen, transparenteren Bonitätsscore einzuführen. Dieser soll auf nur 12 klar definierten Kriterien basieren, die Verbraucher selbst nachvollziehen können.

Die zwölf Kriterien umfassen unter anderem:

  • Alter der ältesten Kreditkarte
  • Alter der aktuellen Adresse
  • Anfragen und Abschlüsse für Konten/Karten in den letzten 12 Monaten
  • Kredit mit längster Restlaufzeit
  • Anfragen im Telekommunikations- oder Onlinehandel
  • Alter des ältesten Bankvertrags
  • Bestehender Immobilienkredit oder Bürgschaft
  • Ratenkredite der letzten 12 Monate
  • Kreditstatus
  • Durchführung einer Identitätsprüfung
  • Jüngster Rahmenkredit
  • Vorhandene Zahlungsstörungen(finanzratgeber24.de)

Jedes Kriterium wird mit Punkten bewertet (100 bis 999 Punkte insgesamt). Je höher die Punktzahl, desto besser die Bonität. Verbraucher erhalten ab Ende 2025 über einen kostenlosen Schufa-Account (per eID-Zugang) vollständigen Einblick in ihre Daten. Sie können simulieren, wie sich bestimmte Handlungen – etwa ein neuer Kredit – auf ihren Score auswirken würden.

Was können Verbraucher tun?

Zunächst sollten Betroffene ihr Recht auf Transparenz konsequent nutzen. Selbstauskunft anfordern: Einmal jährlich haben Verbraucher nach Art. 15 DSGVO das Recht, kostenlos eine Selbstauskunft bei der SCHUFA zu beantragen. Diese enthält alle gespeicherten personenbezogenen Daten, Score-Werte und Informationen darüber, welche Unternehmen Auskünfte eingeholt haben. Gerade wer Kreditanfragen plant oder wiederholt Absagen erhält, sollte diese Daten frühzeitig prüfen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden. Die Selbstauskunft kann entweder online auf der Website der SCHUFA, per Post oder über das SCHUFA-Portal „MeineSCHUFA“ beantragt werden.

Unstimmigkeiten melden: Finden sich fehlerhafte, veraltete oder unvollständige Einträge, sollten Verbraucher umgehend eine Korrektur verlangen. Hierzu reicht ein formloses Schreiben an die SCHUFA, in dem die strittigen Einträge genau bezeichnet und die Korrektur oder Löschung begründet werden. Nach § 34 BDSG und Art. 16 DSGVO ist die SCHUFA verpflichtet, unrichtige Daten zu berichtigen oder zu löschen. Wichtig ist, Belege beizufügen – etwa Kontoauszüge, Gerichtsbeschlüsse oder Bestätigungsschreiben der Gläubiger –, die den Fehler nachweisen. Erfahrungsgemäß reagieren Auskunfteien dann zügiger. Sollte die SCHUFA die Berichtigung ablehnen, kann die zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde eingeschaltet oder eine Klage vor dem Zivilgericht erwogen werden.

Rechtliche Schritte prüfen: Besonders, wenn Verbraucher vermuten, dass der Regio-Score ihre Kreditwürdigkeit maßgeblich negativ beeinflusst hat, kann sich ein rechtliches Vorgehen lohnen. Hintergrund ist das EuGH-Urteil vom Dezember 2023, das feststellt, dass eine rein automatisierte Entscheidung über erhebliche Vertragsfolgen unzulässig ist. Das bedeutet: Banken, Vermieter oder andere Unternehmen müssen sicherstellen, dass ein Mensch den Score prüft, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Verbraucher können nach Art. 22 DSGVO verlangen, dass der Anbieter eine menschliche Überprüfung durchführt und die Entscheidung transparent begründet.

Weiterhin kommen Schadensersatzansprüche in Betracht, wenn ein unrechtmäßiger Negativscore nachweislich einen finanziellen Schaden verursacht hat – etwa durch verweigerte Kredite oder abgelehnte Mietverträge. Der EuGH hat die Hürden für solche Ansprüche gesenkt. Das Landgericht Bayreuth sprach 2023 einer Verbraucherin 3.000 Euro Schadenersatz zu, weil die SCHUFA keine ausreichende Transparenz über die Berechnungsgrundlagen bot.

Verbraucher sollten sich daher nicht scheuen, ihre Rechte aktiv wahrzunehmen und gegebenenfalls anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gerade bei komplexen Fällen – wie der Bewertung durch den Regio-Score – kann juristischer Rat entscheidend sein, um unfaire Nachteile abzuwenden und die eigene Bonität wiederherzustellen.

Fazit: der Wohnort als Risikofaktor?

Der Regio-Score wirft grundlegende Fragen zur Fairness und Transparenz bei der Kreditwürdigkeitsprüfung auf. Er zeigt, wie schnell Verbraucher in eine Bonitätsfalle geraten können, ohne überhaupt davon zu wissen. Dass der Wohnort – ein Kriterium, auf das Betroffene oft keinen Einfluss haben – über Kredite, Handyverträge oder Mietwohnungen entscheidet, stellt viele Selbstverständlichkeiten unserer Rechtsordnung infrage. Die jüngsten Urteile, insbesondere das wegweisende EuGH-Urteil von 2023, markieren dabei einen wichtigen Schritt hin zu mehr Verbraucherschutz und rechtlicher Kontrolle solcher automatisierten Verfahren. Sie signalisieren, dass Kreditwürdigkeit nicht länger im Verborgenen nach intransparenten Algorithmen bewertet werden darf.

Doch es wäre naiv zu glauben, dass mit diesen Entscheidungen alle Probleme gelöst sind. Ob die angekündigten Maßnahmen der SCHUFA tatsächlich ausreichen, das Vertrauen der Verbraucher zurückzugewinnen und diskriminierende Effekte konsequent einzudämmen, wird sich erst zeigen, wenn der neue Bonitätsscore 2025 in der Praxis ankommt. Verbraucher sollten daher nicht abwarten, sondern aktiv handeln:

Prüfen Sie regelmäßig Ihre SCHUFA-Daten, beantragen Sie die kostenlose Selbstauskunft und gleichen Sie alle Einträge sorgfältig ab. Wenn Sie Unstimmigkeiten finden, bestehen Sie auf einer Korrektur – schriftlich und mit Belegen. Werden Sie stutzig, wenn Banken oder Vermieter Ihnen mit pauschalen Aussagen wie „Ihre Bonität ist unzureichend“ begegnen. Fragen Sie gezielt nach, welche Kriterien ausschlaggebend waren und ob ein automatisiertes Verfahren angewendet wurde. Machen Sie von Ihrem Recht Gebrauch, eine menschliche Überprüfung zu verlangen.

Lassen Sie sich nicht entmutigen, wenn der erste Widerspruch scheitert. Rechtlicher Beistand lohnt sich, vor allem, wenn Sie durch einen falschen oder intransparent berechneten Score tatsächlich einen finanziellen Schaden erleiden. Hier haben Sie inzwischen deutlich bessere Chancen, Schadensersatz oder Korrekturen durchzusetzen als noch vor wenigen Jahren.

Auch wenn die SCHUFA betont, dass der Regio-Score nur in weniger als 0,3 Prozent aller Fälle genutzt wird – umgerechnet über 1.000 Bonitätsbewertungen pro Tag –, zeigt genau diese Zahl, wie wichtig es ist, sich der Tragweite bewusst zu sein. Es ist kein Randphänomen, sondern ein Instrument, das im Einzelfall gravierende Auswirkungen entfalten kann.

Letztlich gilt: Ihre Bonität ist ein entscheidender Baustein Ihrer wirtschaftlichen Selbstbestimmung. Überlassen Sie sie nicht dem Zufall oder undurchsichtigen Berechnungsmethoden. Bleiben Sie informiert, bestehen Sie auf Transparenz und nutzen Sie Ihre Rechte konsequent – damit ein Zahlencode nicht Ihr Leben bestimmt.

Häufigkeit der Anwendung des Regio-Scores

Die Schufa betont, dass der Regio-Score nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommt. Laut einer Pressemitteilung wird er in weniger als 0,3 Prozent aller Score-Berechnungen berücksichtigt. Dies entspricht etwa 1.072 Fällen pro Tag, in denen der Regio-Score Einfluss auf die Bonitätsbewertung nimmt.

Seit vielen Jahren unterstützen wir Mandanten erfolgreich bei der Bewältigung von Schufa-Problemen. Unsere Expertise hilft Ihnen, Ihre finanzielle Reputation wiederherzustellen. Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren:

Die Kanzlei Dr. Thomas Schulte ist Vertrauensanwalt des Netzwerks ABOWI LAW und Mitglied der ASSOCIATION OF EUROPEAN ATTORNEYS.

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Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11530 vom 12. Juli 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich