Nachhaltigkeit bleibt Pflicht- Klimarisiken im Finanzsektor meistern - Dr Thomas Schulte

Nachhaltigkeit bleibt Pflicht: Klimarisiken im Finanzsektor meistern

Nachhaltigkeit im Finanzsektor – zwischen Anspruch, Regulierung und Realität. Warum „grünes“ Finanzwesen mehr als ein Trend ist – und welche rechtlichen Fragen jetzt den Unterschied machen.

In einer Welt, in der Schlagzeilen oft nur für wenige Stunden bestehen, scheint das Thema Nachhaltigkeit aus dem Fokus geraten zu sein. Geopolitische Konflikte, fragile Lieferketten und eine spürbare Abkühlung der Wirtschaft dominieren die öffentliche Debatte. Doch wer glaubt, Nachhaltigkeit sei aus Sicht des Finanzsektors nur noch ein „Nice-to-have“, irrt gewaltig. Allein 2024 erreichten die weltweiten Investitionen in nachhaltige Finanzprodukte ein Volumen von rund 5,5 Billionen Euro – trotz makroökonomischer Unsicherheiten. In Deutschland entfielen laut BaFin-Statistik rund 21 Prozent der gesamten neu emittierten Fonds auf ESG-konforme Produkte.

Gleichzeitig verschärft sich der regulatorische Rahmen: Die Europäische Union treibt mit dem Green Deal und der EU-Taxonomie-Verordnung verbindliche Nachhaltigkeitskriterien voran. Ab 2026 drohen empfindliche Sanktionen für Finanzdienstleister, die ESG-Angaben in Prospekten falsch darstellen. Auch die BaFin hat im Mai 2025 angekündigt, ihre „Greenwashing-Prüfungen“ deutlich auszuweiten – ein Schritt, der für Anbieter und Investoren gleichermaßen Signalwirkung hat.

„Wer meint, Nachhaltigkeit sei nur ein PR-Instrument, verkennt die rechtliche und wirtschaftliche Dimension“, warnt Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin, der seit Jahrzehnten Mandanten im Bank-, Finanz- und Kapitalmarktrecht berät. Er sieht jetzt die entscheidende Phase gekommen, in der nicht nur Banken und Fondsanbieter, sondern auch Anleger verstehen müssen: Die kommenden Jahre werden darüber entscheiden, ob Nachhaltigkeit im Finanzsektor als glaubwürdiges Leitprinzip verankert oder als verbranntes Schlagwort im Archiv verschwindet. Die zentrale juristische Frage lautet: Wie lässt sich der Spagat zwischen ambitionierten Klimazielen, wirtschaftlicher Realisierbarkeit und verbindlicher Rechtsdurchsetzung meistern?

Sustainable Finance: Eine zentrale rechtliche Säule der EU-Strategie

Die EU verfolgt mit dem European Green Deal das Ziel, bis zum Jahr 2050 klimaneutral zu sein. Dieses ehrgeizige Vorhaben ist ohne massive privatwirtschaftliche Investitionen nicht zu realisieren. Das bedeutet konkret: Der Finanzsektor selbst wird sowohl als Kapitalvermittler als auch als Risikoträger in die Pflicht genommen und gesetzlich zur Umstellung auf nachhaltige Finanzinstrumente verpflichtet.

Im Mittelpunkt steht die nachhaltige Finanzmarktregulierung, auch bezeichnet als Sustainable Finance. Sie basiert auf mehreren Kernverordnungen, unter anderem der EU-Offenlegungsverordnung (Verordnung (EU) 2019/2088), der Taxonomie-Verordnung (Verordnung (EU) 2020/852) sowie flankierenden technischen Regulierungsstandards und Leitlinien der europäischen Aufsichtsbehörden wie der EBA, ESMA und EIOPA.

Dabei stellt sich für viele Marktteilnehmer häufig die Frage: Was ist mit „Nachhaltigkeit“ gemeint? Eine zentrale Definition liefert die Taxonomie-Verordnung, die sechs Umweltziele postuliert und wirtschaftliche Aktivitäten dann als ökologisch nachhaltig einstuft, wenn sie eines dieser Ziele wesentlich fördern, keinem anderen Ziel erheblich schaden und Mindeststandards sozialer Verantwortung erfüllen.

BaFin fordert Messbarkeit von Klimarisiken

Die jüngsten Verlautbarungen der BaFin lassen keinen Zweifel: Das bisher in vielen Häusern praktizierte Vorgehen, ESG-Risiken lediglich qualitativ zu erfassen, ist nicht mehr zeitgemäß – und künftig auch nicht mehr aufsichtsrechtlich hinreichend. Der regulatorische Anspruch hat sich deutlich verschärft. Gefordert ist nun eine quantitative Erfassung physischer Klimarisiken, eingebettet in sämtliche Prozesse der Risikoidentifikation, -bewertung und -steuerung. Diese Vorgabe gilt EU-weit, da sie im Einklang mit den Anforderungen der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde (EBA), der Europäischen Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung (EIOPA) sowie den Klimazielen des EU Green Deal steht.

Das betrifft Banken und Versicherer gleichermaßen. Die Auswirkungen reichen weit über die reine Berichterstattung hinaus: Künftig müssen Kreditinstitute, Versicherer und Fondsmanager modellscharf nachweisen, wie physische Klimarisiken – wie Überschwemmungen, Hitzewellen oder Waldbrände – konkret in die Bonitäts- und Risikomodelle einfließen. Dabei geht es nicht um vage Einschätzungen, sondern um berechnete Eintrittswahrscheinlichkeiten und quantifizierte Schadensszenarien, die in Kapitalpuffer, Preisgestaltung und Vertragskonditionen einfließen.

Ein anschauliches Beispiel: Gewährt eine Bank einem Holz verarbeitenden Betrieb in einer hochwassergefährdeten Region der Donau ein Darlehen, reicht es nicht mehr, diesen Standort in einer allgemeinen Risikoliste als „möglicherweise betroffen“ zu markieren. Stattdessen muss anhand georeferenzierter Klimamodelle berechnet werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit eines Hochwassers in den kommenden zehn, zwanzig oder dreißig Jahren ist, welche Produktionsausfälle zu erwarten wären und wie sich dies auf die Rückzahlungsfähigkeit des Unternehmens auswirkt. Genau diese Transparenz fordern die aufsichtsrechtlichen Rahmenbedingungen – allen voran § 25a KWG in Verbindung mit den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk).

„Wenn Banken heute Risiken nur qualitativ abbilden, handeln sie nicht nur ordnungswidrig, sondern setzen auch die Stabilität ihrer Kreditportfolios und das Vertrauen des Marktes aufs Spiel“, warnt Dr. Thomas Schulte. Die Perspektive der Aufsichtsbehörden ist klar: Wer Klimarisiken ignoriert oder nur oberflächlich behandelt, verstößt nicht nur gegen nationale und europäische Regulierung, sondern schwächt die Resilienz des gesamten Finanzsystems – mit potenziell massiven wirtschaftlichen Folgeschäden für Unternehmen, Anleger und Verbraucher gleichermaßen.

Versicherer und Naturgefahren: Das Prüfmodell der Zukunft

Versicherungsunternehmen in Deutschland haben langjährige Erfahrung im Umgang mit Naturkatastrophen. Doch der Blick in die Vergangenheit reicht nicht mehr aus. Die Prognosen des Deutschen Wetterdienstes belegen, dass Europa sich schneller erwärmt als jeder andere Kontinent. Überflutungen, Dürren und Waldbrände sind reale Risiken mit konkreten Schadenspotenzialen für Policeninhaber und Rückversicherer.

Entsprechend müssen Versicherer ihre Risikomodelle fortlaufend aktualisieren, die Eintrittswahrscheinlichkeiten neu bewerten und Pricing-Mechanismen anpassen. Erlaubt ist dabei ein Rückgriff auf öffentlich verfügbare Datenquellen – etwa das Copernicus-Programm der EU – sowie auf privatwirtschaftliche Datenanalysen. Der entscheidende Punkt: Der Rückgriff auf staatliche Nothilfe nach Naturkatastrophen darf kein fester Bestandteil betriebswirtschaftlicher Kalkulation bleiben. Die BaFin schließt dies explizit aus.

Offenlegungspflichten: Kaum verständlich für Investoren

Ein zentrales gesetzliches Instrument zur Förderung nachhaltiger Investitionen ist die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR). Ihre Intention ist es, Transparenz zu schaffen und Anlegern zu ermöglichen, fundierte Entscheidungen zu treffen. Doch in der Praxis zeigt sich: Viele Erklärungen sind lang, undurchsichtig und voller Fachjargon. Der durchschnittliche Anleger ist damit überfordert. Die Offenlegung verliert dadurch ihren Nutzen.

Deshalb plädiert die BaFin für klar definierte Produktkategorien mit einheitlichen Mindestanforderungen, etwa zwischen „nachhaltigen Produkten“, die ausschließlich in grüne oder soziale Wirtschaftstätigkeiten investieren, und „Übergangsprodukten“, die Veränderungsprozesse begleiten. Diese Kategorisierung soll auf einer kohärenten Definition nachhaltiger Investitionen basieren, die wiederum eng mit der EU-Taxonomie verzahnt ist.

Auch aus juristischer Sicht ist dies ein berechtigter Schritt. Denn nur wenn Rechtsnormen klar bestimmt sind, erfüllen sie den Bestimmtheitsgrundsatz des Art. 103 Abs. 2 GG und verhindern willkürliche Anwendung oder Sanktionierung.

Proportionalität: Keine Überregulierung kleiner Marktteilnehmer

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte, Berlin
Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte, Berlin

Nicht weniger wichtig ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Während Großbanken mit komplexen internationalen Geschäftsmodellen umfangreiche ESG-Reportingpflichten und Risikoanalysen umsetzen können, wäre eine solche Pflicht für kleine Kreditinstitute mit regionalem Fokus überbordend. Hier ist das regulatorische Feingefühl gefragt.

Ein positives Beispiel ist die Entscheidung der BaFin, die neuen EBA-Leitlinien zur ESG-Risikoanalyse lediglich auf bedeutende Institute anzuwenden. Für weniger bedeutende Institute genügen die MaRisk, die auf Prinzipien basieren und individuell anpassbar sind. Diese Vorgehensweise ist nicht nur praxisgerecht, sie entspricht auch dem unionsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gem. Art. 5 Abs. 4 EUV.

Nicht jedes Regulierungsinstrument ist dazu geeignet, jeden Akteur gleich stark zu belasten. Nachhaltigkeit darf nicht zum bürokratischen Fallstrick mutieren. „Wir können die Welt nicht retten, indem wir kleine Kreditinstitute mit Formularen erschlagen“, so Dr. Thomas Schulte prägnant.

Greenwashing verhindern – durch klare Regeln

Ein zentrales Anliegen der europäischen und nationalen Regulierungsbehörden ist derzeit der entschlossene Kampf gegen das sogenannte Greenwashing – die bewusste oder fahrlässige Täuschung über die tatsächliche Nachhaltigkeit von Finanzprodukten oder Unternehmensaktivitäten. Dabei geht es längst nicht mehr nur um wohlklingende Schlagzeilen in Fondsprospekten oder „grüne“ Bildwelten in Werbekampagnen. Greenwashing kann tief in die Bilanzen, Nachhaltigkeitsberichte und sogar in die steuerliche Berichterstattung eingreifen. So werden beispielsweise CO₂-Emissionen in Vorberichten schöngerechnet, Investitionen in umweltschädliche Projekte als „Übergangstechnologien“ etikettiert oder Umsätze aus ESG-fremden Geschäftsfeldern durch geschickte Segmentierung in der Bilanz marginalisiert, um einen höheren „grünen“ Anteil auszuweisen.

Praxisbeispiele belegen, wie komplex diese Täuschungen sein können:

  • Ein großer Immobilienfonds wies 2024 in seinem Nachhaltigkeitsbericht aus, dass 70 Prozent seines Portfolios ESG-konform seien – verschwiegen wurde jedoch, dass diese Quote nur durch die kurzfristige Veräußerung mehrerer problematischer Objekte unmittelbar vor dem Stichtag erreicht wurde.

  • Ein Energieunternehmen deklarierte Investitionen in Erdgasprojekte als „klimafreundlich“ unter Berufung auf die EU-Taxonomie – ohne offenzulegen, dass es sich um Langfristverträge bis 2045 handelte, die die CO₂-Bilanz über Jahrzehnte belasten würden.

  • Ein internationaler Konzern rechnete Zertifikate für CO₂-Kompensation doppelt, um seine Emissionsbilanz in zwei Berichtsformaten gleichzeitig zu verbessern – ein Fall, der aktuell vor dem Landgericht Frankfurt anhängig ist.

Die juristische Kernfrage lautet: Wie kann Greenwashing effektiv überprüft und sanktioniert werden, wenn die rechtlichen Definitionen für „nachhaltige Investitionen“ oder „grüne Produkte“ zu unklar bleiben? Ohne verbindliche und einheitliche Standards, wie sie etwa die EU-Offenlegungsverordnung (SFDR), die EU-Taxonomie und künftig die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) vorsehen, entsteht eine gefährliche Grauzone. In dieser Grauzone blüht nicht nur die bewusste Täuschung – sie erschwert auch Gerichten, Aufsichtsbehörden und seriösen Marktteilnehmern die klare Abgrenzung zwischen legitimer Nachhaltigkeitskommunikation und unzulässiger Irreführung.

Die Konsequenz ist deutlich: Rechtsunsicherheit schwächt das Vertrauen in nachhaltige Finanzprodukte, benachteiligt ehrliche Anbieter und öffnet Tür und Tor für Missbrauch. Die dringende Aufgabe der kommenden Jahre besteht daher darin, regulatorische Lücken zu schließen, klare Prüfkriterien zu schaffen und – juristisch wie politisch – dafür zu sorgen, dass „grün“ im Finanzsektor nicht nur ein Marketinglabel, sondern eine rechtlich belastbare und überprüfbare Zusage ist.

Fazit: Nachhaltigkeit ist kein Wunschdenken, sondern rechtliche Pflicht – zwischen Regulierung, Praxis und Zukunftsfähigkeit

Spätestens seit dem Inkrafttreten der Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) und der EU-Taxonomie-Verordnung steht fest: Nachhaltigkeit ist im Finanzsektor kein wohlklingendes Zusatzargument mehr, sondern ein verbindlicher Bestandteil regulatorischer Realität. Die Aufsicht – von der Europäischen Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) über die BaFin bis hin zu EIOPA – macht deutlich, dass Verstöße gegen die komplexen Vorgaben nicht nur mit Bußgeldern, sondern auch mit aufsichtsrechtlichen Maßnahmen, Vertriebsverboten und im schlimmsten Fall mit zivilrechtlicher Haftung geahndet werden können. Wer glaubt, sich durch kreative Auslegung, unvollständige Datenangaben oder formale Schlupflöcher den Anforderungen entziehen zu können, riskiert nicht nur einen irreparablen Reputationsverlust, sondern auch empfindliche finanzielle und rechtliche Konsequenzen.

Gleichzeitig ist klar: Eine wirksame Nachhaltigkeitsregulierung muss sich weiterentwickeln, ohne den Maßstab der Praktikabilität aus den Augen zu verlieren. Ziel muss es sein, die Transformationsbereitschaft der Unternehmen zu fördern, nicht zu ersticken. Zu starre Normen, uneinheitliche Auslegung zwischen Mitgliedstaaten oder ein Übermaß an bürokratischen Pflichten können leicht zum Bumerang werden – sie entmutigen Marktteilnehmer, führen zu „Pflichterfüllung auf dem Papier“ und untergraben den eigentlichen Zweck der Regulierung. Juristisch stellt sich daher die zentrale Frage: Wie lässt sich ein einheitlicher, überprüfbarer ESG-Standard schaffen, der sowohl den Klimazielen der EU als auch den wirtschaftlichen Realitäten der Marktteilnehmer gerecht wird?

Die Herausforderung ist EU-übergreifend: Unterschiedliche nationale Interpretationen der SFDR, divergierende Offenlegungspflichten und variable Prüfstandards erschweren derzeit die Schaffung eines konsistenten Binnenmarkts für nachhaltige Finanzprodukte. Künftig wird es entscheidend sein, regulatorische Vorgaben so zu harmonisieren, dass Versicherer, Banken, Fondsanbieter und selbst kleine Sparkassen gleichermaßen klare Orientierung erhalten.

Sobald alle Marktteilnehmer – vom multinationalen Asset-Manager bis zur regionalen Genossenschaftsbank – erkennen, dass Nachhaltigkeitsregulierung keine kurzfristige politische Agenda, sondern dauerhafte juristische Realität ist, kann sich der Markt von reaktiver Pflichterfüllung zu proaktiver Verantwortung entwickeln. Erst dann werden ESG-Kriterien nicht mehr als Belastung, sondern als integraler Bestandteil zukunftsfähiger Finanzinstrumente gesehen – und der Finanzsektor kann einen messbaren, rechtskonformen Beitrag zu den Klimazielen leisten.

 

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11741 vom 15. August 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich