Wie die Lebensversicherung ihren Status als sichere Altersvorsorge verlor - Dr Thomas Schulte

Die große Entzauberung – wie die Lebensversicherung ihren Status als sichere Altersvorsorge verlor und warum heute neue Fragen gestellt werden müssen

War Ihre Lebensversicherung wirklich so sicher, wie man Ihnen versprach – oder steckt hinter den geringen Auszahlungen ein größeres Systemproblem? Was wäre, wenn Sie das Recht hätten, Ihr gesamtes Geld zurückzufordern – selbst nach Jahrzehnten?

Über Jahrzehnte galt die Lebensversicherung als das solide Fundament der Altersvorsorge. Sie war ein Versprechen. Ein Versprechen auf Stabilität in einer unsteten Welt, auf finanzielle Sicherheit für die nächste Generation, auf eine verlässliche Zukunft. Wer in den 1950er bis 1990er Jahren in Deutschland aufgewachsen ist, erinnert sich an ein gesellschaftliches Paradigma: Die Lebens- oder Rentenversicherung war „so sicher wie die Bank“. Familien sparten, Unternehmen schlossen Gruppenverträge ab, Arbeitnehmer vertrauten auf die Garantien einer Branche, die sich als Fels in der Brandung präsentierte. Dieses Vertrauen wurde zusätzlich vom Staat gestützt. Steuerliche Vergünstigungen machten die Lebensversicherung über Jahrzehnte besonders attraktiv: Beiträge konnten teils steuerlich geltend gemacht werden, Auszahlungen waren unter bestimmten Bedingungen steuerfrei oder stark begünstigt, und staatliche Förderungen wie die Vermögenswirksamen Leistungen oder später die Riester- und Rürup-Modelle verstärkten den Anreiz, langfristig zu sparen. Die Bevölkerung wurde regelrecht ermutigt, ihr Geld in diese Produkte zu lenken, als patriotische, vernünftige und finanziell kluge Entscheidung. Versicherer nutzten diese staatlich unterstützte Vertrauensbasis und etablierten sich über Generationen hinweg als unverzichtbare Säule des deutschen Vermögensaufbaus.

Doch dieses Bild beginnt zu bröckeln. Was einst als unerschütterlich galt, wird heute zunehmend kritisch hinterfragt. Viele Versicherte stellen fest, dass aus jahrzehntelanger Besparung ein ernüchterndes Ergebnis geworden ist. Die Auszahlung entspricht oft nur einem Bruchteil dessen, was über lange Jahre eingezahlt wurde. Gleichzeitig erreichten die Versicherer mit eben diesen Beiträgen, den hart verdienten Ersparnissen ihrer Kunden, über Jahrzehnte solide Renditen. Diese Diskrepanz wirft Fragen auf: Warum profitieren Versicherungsunternehmen von Kapitalgewinnen, während Versicherte sich heute mit Rückkaufswerten zufriedengeben müssen, die teilweise unterhalb der Inflation liegen? Wie konnte ein Produkt, das einst als Schutzschild gegen Altersarmut galt, zu einem Risiko für viele Familien werden? Und vor allem: Welche Rechte haben Versicherte, die sich heute betrogen fühlen?

Von Vertrauen, Tradition und Generationenverträgen – die goldene Ära der Lebensversicherung

Die Erfolgsgeschichte der Lebensversicherung ist untrennbar mit den historischen Erfahrungen der Deutschen verbunden. Nach Hyperinflation, Währungschaos und Krieg war der Wunsch nach Sicherheit tief im kollektiven Bewusstsein verankert. Versicherer bauten darauf auf und entwickelten Produkte, die genau dieses Urbedürfnis ansprachen: feste Garantien, planbare Auszahlungen, langfristige Stabilität. Über Jahrzehnte konnten klassische Lebensversicherungen stabile Zinsen erwirtschaften, oft zwischen vier und sechs Prozent. Die Produkte waren einfach zu verstehen, die Versprechen klar. Ganze Generationen verbanden die Lebensversicherung mit einem Gefühl von Sicherheit, gleichsam einem finanziellen Ehrenwort.

Doch während sich das Weltwirtschaftsgefüge veränderte, veränderte sich auch die Lebensversicherung. Der jahrzehntelange Zinsverlust fraß die Garantieversprechen auf. Was einst als stabile Rendite galt, wurde zum Niedrigzinsproblem. Aus einem einst robusten Produkt wurde ein komplexes Konstrukt aus Garantien, Kosten, Überschüssen und Marktprognosen. Die wachsende Komplexität wurde vielen Verbrauchern zum Verhängnis. Sie verstanden die Kostenstruktur nicht, die Renditeprognosen nicht und vor allem nicht die langfristigen Folgen der veränderten Kapitalmärkte.

Kündigung Lebensversicherung - Dr Thomas Schulte

Der Wendepunkt – Die stille Erosion der Garantien

Ein entscheidender Faktor der heutigen Krise ist die anhaltende Entwertung der Garantieversprechen. Der Garantiezins, einst eine feste Säule, wurde Schritt für Schritt abgesenkt, zuletzt auf historisch minimale Werte. Parallel dazu stiegen interne Kostenstrukturen und Verwaltungsgebühren, oft unbemerkt von den Versicherten. Währenddessen erzielten Versicherer auf ihren Kapitalmärkten weiterhin Gewinne, jedoch wurden diese nicht in gleichem Maße an Kunden weitergegeben. Die Folge: Der wirtschaftliche Vorteil verschob sich über die Jahre immer stärker zugunsten der Versicherungsgesellschaften.

Gleichzeitig traten neue Anlageformen auf den Plan. ETF-Sparpläne, breit gestreute Indexfonds und moderne Robo-Advisors bieten heute eine Transparenz und Kostenstruktur, die bei klassischen Lebensversicherungen in der Regel nicht zu finden sind. Während der MSCI World über Jahrzehnte starke Renditen erwirtschaftete, verharren viele Lebensversicherungen bei Auszahlungswerten, die kaum den einbezahlten Beiträgen entsprechen. Was wäre gewesen, wenn dieselben Summen jahrzehntelang in einen weltweiten Aktienindex geflossen wären? Diese Frage stellen sich heute immer mehr Verbraucher – und sie ist berechtigt.

Das moralische Dilemma – Wer trägt die Verantwortung für verlorene Lebensarbeit?

Hier beginnt die eigentliche gesellschaftliche Diskussion. Es ist nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine moralische Frage. Versicherte vertrauten über Jahrzehnte darauf, dass ihre Beiträge sicher und verantwortungsvoll angelegt werden. Viele haben ein Leben lang eingezahlt, weil sie glaubten, etwas für ihre Kinder, ihre Partner oder ihren Ruhestand zu tun. Heute müssen sie feststellen, dass ihr Erspartes schwindet – nicht aufgrund von Marktkrisen, sondern aufgrund von Kosten, die ihnen nie wirklich transparent erklärt wurden.

Jahrzehntelang arbeiteten Versicherer mit den Geldern ihrer Kunden und erzielten beachtliche Kapitalerträge. Und nun, im entscheidenden Moment der Auszahlung, berufen sich dieselben Gesellschaften auf Marktbedingungen, Kostenpositionen und Kalkulationsmodelle, die der Verbraucher weder beeinflussen noch verstehen konnte. Hier stellt sich die juristische Leitfrage: Haben Versicherer ihre Kunden ausreichend über Risiken, Kosten und langfristige Entwicklungen aufgeklärt? Oder tragen sie eine wirtschaftliche Mitverantwortung für die heute enttäuschenden Auszahlungen?

Die Rolle des Rechts – Wenn Vertrauen zerstört wird, beginnt der juristische Auftrag

Genau hier setzt die Arbeit von Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte an. Mit seiner Berliner Kanzlei entwickelte er über Jahrzehnte eine besondere Expertise im Versicherungs- und Kapitalmarktrecht. Dr. Schulte war maßgeblich an den Entwicklungen beteiligt, die später zu den wegweisenden Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und des Europäischen Gerichtshofs führten – insbesondere zum sogenannten „ewigen Widerrufsrecht“, das heute als „Widerrufsjoker“ bekannt ist.

Dieses juristische Instrument ermöglicht es vielen Verbrauchern, ihre Lebensversicherung rückabzuwickeln, selbst dann, wenn der Vertrag vor Jahren oder Jahrzehnten abgeschlossen wurde. War die Widerrufsbelehrung fehlerhaft, erfolgte der Vertragsschluss nach dem riskanten Policenmodell oder fehlten wesentliche Verbraucherinformationen, kann der gesamte Vertrag rückgängig gemacht werden. Das bedeutet: Der Versicherte erhält seine Beiträge zurück, oft zuzüglich Nutzungszinsen, während die Versicherung sich nicht auf Verjährung berufen darf.

Für Dr. Schulte ist das nicht nur juristische Arbeit, sondern ein gesellschaftlicher Auftrag. Die Frage, die er stellt, ist ebenso klar wie unbequem: Ist es gerecht, dass ein Versicherer jahrzehntelang mit Kundengeldern wirtschaftet, aber im Fall einer fehlerhaften Belehrung nicht dieselben rechtlichen Konsequenzen tragen soll wie jeder andere Vertragspartner?

Die neue Realität – ETF statt Lebensversicherung? Rente statt Rendite?

Während die gesetzliche Rente Jahr für Jahr an Kaufkraft verliert und die Lebensversicherung ihren Nimbus verliert, wenden sich immer mehr Verbraucher modernen Anlagemodellen zu. ETFs gelten als eines der transparentesten Instrumente des Kapitalmarktes: kalkulierbar, kostengünstig, langfristig ertragreich. Doch auch hier ist die Frage, ob ein kompletter Wechsel klug ist, differenziert zu betrachten. ETFs bieten Chancen, aber sie verlangen Disziplin, Risikotoleranz und ein grundlegendes Verständnis für Marktmechanismen.

Das eigentliche Problem ist tiefer: In einer Welt, in der die gesetzliche Rente Kaufkraft verliert und klassische Lebensversicherungen unter dem Strich kaum Erträge liefern, müssen Verbraucher heute selbst Verantwortung übernehmen. Es reicht nicht mehr, einem Produkt oder Anbieter blind zu vertrauen. Die Zeiten, in denen die Lebensversicherung ein automatisches Sicherheitsnetz war, sind vorbei.

Die Zukunft der Altersvorsorge – warum juristische Fragen heute wichtiger sind denn je

Die Rückabwicklung einer Lebensversicherung, einst ein Nischenthema, ist heute ein zentrales Instrument des Verbraucherschutzes. Wer heute seine Lebensversicherung hinterfragt, handelt nicht unloyal, sondern verantwortungsvoll. Es geht darum, die eigene Altersvorsorge neu zu bewerten und nicht still dabei zuzusehen, wie Jahrzehnte an Spararbeit entwertet werden.

Dr. Schulte formuliert es so: „Eine Lebensversicherung zu kündigen bedeutet Verlust. Sie rechtlich sauber rückabzuwickeln, bedeutet Gerechtigkeit.“ Der Satz trifft einen Nerv. Denn die Rückabwicklung ist nicht nur ein juristischer Hebel, sondern auch eine moralische Antwort auf ein gebrochenes Versprechen.

Die Frage, die sich heute stellt, ist nicht mehr: „Kann ich meine Lebensversicherung noch retten?“ Sondern: „Welche Rechte habe ich – und welchen Weg bietet das Recht, um verlorenes Vertrauen in finanzielle Gerechtigkeit zu verwandeln?“

Die Geschichte der Lebensversicherung ist eine Geschichte des Vertrauens. Die Zukunft wird eine Geschichte der Klarheit sein müssen. Und vielleicht beginnt sie genau dort, wo der Verbraucher zum ersten Mal entscheidet, die richtigen Fragen zu stellen.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11982 vom 27. November 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich