Gericht geht gegen Immobilienscout24 wegen irreführender Praktiken vor - Dr. Thomas Schulte

Gericht geht gegen Immobilienscout24 wegen irreführender Praktiken vor

Digitale Plattformen vor Gericht – Wie weit darf Werbung online gehen? Wenn Algorithmen Dringlichkeit erzeugen: Wird der Verbraucher im Netz noch geschützt?

Das Landgericht Berlin hat mit einem Urteil gegen Immobilienscout24 ein deutliches Signal gesetzt: Verbraucherrechte gelten auch im digitalen Raum – und zwar uneingeschränkt. Die Richter stellten klar, dass Marketingstrategien, die künstlich Druck erzeugen oder Daten ohne klare Einwilligung verarbeiten, eine rechtliche Grenze überschreiten. Der Fall reiht sich in eine wachsende Zahl von Verfahren ein: Laut Bundesnetzagentur stieg die Zahl der Beschwerden über unlautere Online-Werbung allein 2024 um 37 %. Auch die Datenschutzkonferenz (DSK) verzeichnete über 9.000 gemeldete Datenschutzverstöße, viele davon im Zusammenhang mit personalisierten Anzeigen und manipulativen Nutzerführungen.

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte von ABOWI Law bewertet die Entscheidung als wegweisend: „Digitale Plattformen müssen dieselben rechtlichen Maßstäbe erfüllen wie klassische Unternehmen. Wenn Verbraucher unter Druck gesetzt oder intransparente Datenerhebungen betrieben werden, ist die Grenze des Zulässigen überschritten.“

Damit wird erneut deutlich: Der digitale Raum ist kein rechtsfreier Raum. Wer Verbrauchern durch gezielte Marketingstrategien falsche Dringlichkeit vermittelt oder personenbezogene Daten missbräuchlich verarbeitet, muss mit Konsequenzen rechnen.

Werbung mit psychologischem Druck

Im Mittelpunkt des Urteils stand die Werbestrategie von Immobilienscout24. Die Plattform nutzte Aussagen wie:

„Immer häufiger verlangen Vermieter schon bei der Besichtigung einen SCHUFA-BonitätsCheck.“

Diese Formulierung sollte Wohnungssuchende dazu bewegen, kostenpflichtige Bonitätsauskünfte direkt über die Plattform zu erwerben. Das Landgericht wertete diese Aussage jedoch als irreführend nach § 5 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG).

Die Begründung ist eindeutig: Die Werbung suggeriere eine Dringlichkeit, die in der Realität nicht existiere. Ein SCHUFA-BonitätsCheck sei rechtlich nicht erforderlich und werde in der Regel erst kurz vor Vertragsabschluss verlangt. Immobilienscout24 habe damit fälschlich den Eindruck erweckt, dass ein sofortiger Nachweis notwendig sei, um überhaupt eine Chance auf eine Wohnung zu haben.

Dr. Schulte erklärt, dass solche Strategien auf psychologische Manipulation beruhen: „In Zeiten von Wohnungsknappheit und Konkurrenzdruck nutzen manche Anbieter die Unsicherheit der Verbraucher aus. Wenn Plattformen Ängste schüren, um kostenpflichtige Dienste zu verkaufen, ist das rechtlich und ethisch bedenklich.“

Das Urteil schafft damit ein wichtiges Gegengewicht zu wachsendem Druck im digitalen Markt. Verbraucher sollen nicht durch Angst oder Zeitdruck zu unnötigen oder teuren Handlungen verleitet werden.

Datenschutz im Fokus: DSGVO-Verstöße bei Selbstauskünften

Ein weiterer zentraler Aspekt des Urteils betrifft den Umgang mit sensiblen Nutzerdaten. Immobilienscout24 forderte Wohnungssuchende auf, Angaben zu Einkommen, Arbeitsverhältnis oder sogar Rauchgewohnheiten zu machen – ohne eine wirksame rechtliche Einwilligung im Sinne der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) einzuholen.

Nach Auffassung des Gerichts war die Einwilligung nicht freiwillig, nicht transparent und nicht widerrufbar, wie es Artikel 7 DSGVO verlangt. Die Nutzer wurden durch „Dark Patterns“, also manipulative Interface-Designs, gezielt dazu verleitet, persönliche Informationen preiszugeben.

Dr. Schulte sieht darin ein wachsendes Problem: „Viele digitale Formulare sind so gestaltet, dass Verbraucher glauben, sie müssten alle Angaben machen, um fortzufahren. Das widerspricht dem Grundgedanken der DSGVO – nämlich, dass Datenverarbeitung auf klarer, freiwilliger und informierter Zustimmung beruhen muss.“

Das Urteil hebt hervor, dass die Verwendung solcher Dark Patterns nicht nur unethisch, sondern auch rechtswidrig ist. Plattformen, die psychologische Tricks einsetzen, um Einwilligungen zu erzwingen, riskieren Bußgelder in Millionenhöhe und den Verlust ihrer Glaubwürdigkeit.

Unternehmensverantwortung und rechtliche Grenzen

Auch aus zivilrechtlicher Sicht setzt das Urteil klare Maßstäbe. Nach § 307 BGB müssen Allgemeine Geschäftsbedingungen fair, verständlich und verhältnismäßig sein. Das gilt insbesondere für datenintensive Geschäftsmodelle, bei denen Verbraucher kaum Einfluss auf Vertragsinhalte haben.

Dr. Schulte betont, dass die Digitalisierung keine Rechtsferne legitimiert. Unternehmen, die Online-Dienste anbieten, sind an dieselben Verbraucherschutzvorschriften gebunden wie analoge Anbieter. Dazu zählen die Pflicht zur klaren Preisangabe, zur transparenten Datenverarbeitung und zur Einhaltung der Informationspflichten nach Art. 13 DSGVO.

Trotz der eingelegten Berufung hat das Berliner Urteil bereits Wirkung gezeigt. Immobilienscout24 hat angekündigt, seine Kommunikations- und Datenprozesse zu überarbeiten. Für andere Anbieter ist das ein deutliches Warnsignal, dass rechtliche Nachlässigkeit im digitalen Raum nicht folgenlos bleibt.

Orientierung für Verbraucher: Rechte kennen, Druck vermeiden

Das Urteil des Landgerichts Berlin hat für Wohnungssuchende weitreichende Bedeutung – es verändert die Spielregeln der digitalen Immobiliensuche. Wer sich bisher bei Plattformen wie Immobilienscout24 anmeldete, wurde oft mit Formularen konfrontiert, die nach umfassenden persönlichen Daten und einer sofortigen SCHUFA-Auskunft verlangten. Doch das Gericht stellt nun klar: Eine kostenpflichtige Bonitätsabfrage ist nur dann zulässig, wenn tatsächlich ein konkretes Vertragsinteresse besteht – nicht bereits beim ersten Klick oder einer unverbindlichen Anfrage. Diese Differenz ist mehr als juristische Feinarbeit; sie schützt Verbraucher davor, ihre sensiblen Daten vorschnell preiszugeben und in digitale Abhängigkeiten zu geraten.

In einer Zeit, in der laut Bitkom Research rund 84 Prozent der Deutschen ihre Immobiliensuche ausschließlich online beginnen, wird Datensparsamkeit zur juristischen Pflicht und zur praktischen Notwendigkeit. Nur Angaben, die für die Anfrage wirklich erforderlich sind, dürfen verlangt werden. Wer mehr verlangt, überschreitet die Grenze zur Datenneugier. Das Urteil stärkt damit das Prinzip der informierten Selbstbestimmung – ein Kernwert der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO).

Besondere Achtsamkeit ist bei Pflichtfeldern geboten: Wenn Plattformen scheinbar harmlose Eingaben erzwingen, sollten Nutzer innehalten und prüfen, ob diese Angaben wirklich nötig sind. Die DSGVO erlaubt den Widerruf jeder einmal erteilten Einwilligung jederzeit – ein Recht, das viele Verbraucher gar nicht kennen oder nutzen. Art. 7 Abs. 3 DSGVO ist hier der Schlüssel: Er erlaubt es, den eigenen digitalen Fußabdruck zurückzunehmen, wenn der Zweck der Datennutzung unklar bleibt oder sich nachträglich ändert.

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte von ABOWI Law rät daher, wachsam zu bleiben: „Digitale Selbstbestimmung beginnt mit Bewusstsein. Wer seine Rechte kennt, lässt sich nicht manipulieren.“ Die Entscheidung mahnt nicht nur Plattformen, sondern auch Verbraucher, Verantwortung zu übernehmen – für ihre Daten, ihre Entscheidungen und ihre Freiheit im digitalen Raum.

Verbraucherzentralen als starke Instanz

Die Klage gegen Immobilienscout24 wurde vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) eingereicht. Das unterstreicht die wachsende Bedeutung solcher Institutionen bei der Durchsetzung digitaler Rechte.

Laut einer aktuellen Umfrage sprechen sich 74 Prozent der Deutschen für schärfere Sanktionen gegen irreführende Online-Werbung aus. Verbraucherzentralen reagieren auf diesen Trend, indem sie technische Analysen, rechtliche Prüfungen und mediale Aufklärung kombinieren.

Dr. Schulte sieht darin eine notwendige Entwicklung: „Nur durch kollektive Verfahren kann dem Machtgefälle zwischen großen Plattformen und einzelnen Verbrauchern wirksam begegnet werden.“ Das Urteil zeigt, dass juristische Kontrolle auch im digitalen Raum greift – und dass Verbraucherinteressen zunehmend erfolgreich verteidigt werden.

Fazit: Recht, Verantwortung und Vertrauen im digitalen Markt

Das Berliner Urteil sendet ein deutliches Signal an die gesamte Plattformwirtschaft: Transparenz, Fairness und Datenschutz sind unverzichtbare Grundlagen jeder digitalen Geschäftsbeziehung.

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte fasst zusammen: „Wer Vertrauen aufbauen will, darf es nicht durch Intransparenz verspielen. Plattformen müssen Nutzer informieren, nicht manipulieren.“

Immobilienscout24 steht nun stellvertretend für viele digitale Anbieter vor der Aufgabe, Prozesse, Designs und Formulierungen zu überarbeiten. Das Urteil ist mehr als eine rechtliche Entscheidung – es markiert einen gesellschaftlichen Wendepunkt im Umgang mit Daten, Werbung und Verbraucherschutz im Internet.

Denn eines ist klar: Auch im digitalen Zeitalter bleibt das Recht auf Fairness und Selbstbestimmung unangetastet.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11897 vom 14. November 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich