Unsichtbar, allgegenwärtig, unaufhaltsam? – PFAS und die stille Vergiftung unserer Umwelt
Wie gefährlich sind die sogenannten Ewigkeitschemikalien wirklich – und wer trägt Verantwortung? Zwischen Alltag, Industrie und Umweltrecht beginnt ein juristischer Wettlauf gegen die Zeit.
Sie sind überall. In Outdoorjacken, Bratpfannen, Verpackungen, Löschschäumen – und längst auch in unserem Blut: PFAS, die „per- und polyfluorierten Alkylverbindungen“, zählen zu den größten Umweltbedrohungen unserer Zeit. Was einst als technische Errungenschaft galt – wasser-, fett- und schmutzabweisend – entpuppt sich nun als globale Krise. Über 4.700 verschiedene PFAS-Verbindungen existieren, viele davon mit extrem langer Halbwertszeit. Einmal freigesetzt, bleiben sie jahrzehntelang im Boden, im Wasser – und in uns.
Die juristisch brisante Frage: Wer haftet für diese „unsichtbare Dauervergiftung“?
Ist der Verbraucher schuld, der ahnungslos PFAS-Produkte nutzt? Die Industrie, die jahrzehntelang profitierte? Oder die Politik, die zu spät eingreift?
Für Dr. Thomas Schulte, Berliner Rechtsanwalt und Experte im Umwelt- und Verwaltungsrecht, ist klar: „PFAS sind ein juristischer Stresstest für unser Umweltrecht – vergleichbar mit der Feinstaubdiskussion der 1980er Jahre, nur leiser, diffuser, komplexer.“ Denn obwohl man PFAS weder sieht, riecht noch schmeckt, ist die Belastung messbar – und betrifft bereits über 1.500 Standorte allein in Deutschland. Laut Umweltbundesamt haben 99 Prozent der Deutschen PFAS im Blut.
Dr. Schulte promovierte über die Umsetzung der EU-Kommunalabwasserrichtlinie ins deutsche Recht und weiß: „PFAS zeigen exemplarisch, wie schwer es ist, Umweltrecht auf neue, unsichtbare Bedrohungen anzuwenden – besonders wenn die Beweislast ungeklärt ist und die Grenze zwischen Nutzungsvorteil und Gesundheitsgefahr verschwimmt.“
Im folgenden Beitrag beleuchtet Dr. Schulte, was PFAS im juristischen, politischen und gesellschaftlichen Kontext bedeuten – und warum wir bei diesen Ewigkeitsstoffen dringend neu denken müssen: technisch, rechtlich, ethisch. Denn eines ist sicher: Wer glaubt, nicht betroffen zu sein, hat die Dimension des Problems bisher nicht verstanden.
PFAS-Verbot: Herausforderungen, Rechtslage und Aussichten in der EU
Warum tut sich die Politik so schwer mit einem grundsätzlichen Verbot?
Der Mensch sieht es nicht, riecht es nicht, bemerkt es nicht. PFAS – PFAS steht für per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen, es gibt tausende davon. In einem Rechtsstaat gilt, dass es eines Verbotes bedürfte um die Verwendung einzuschränken. Die Politik zögert ein generelles PFAS-Verbot aus mehreren Gründen. Erstens sind PFAS chemisch äußerst stabil und vielseitig einsetzbar – ein einfacher Ersatz ist oft nicht möglich, da es an alternativen Stoffen mit vergleichbaren Eigenschaften mangelt. Viele Alltags- und High-Tech-Produkte (von Outdoor-Kleidung und Pfannen bis zu Halbleitern und Medizinprodukten) hängen derzeit von PFAS ab. Ein sofortiges Verbot ohne Ausnahmen würde daher ganze Wertschöpfungsketten betreffen und erhebliche Umstellungen in der Industrie erfordern. Zweitens befürchten politische Entscheidungsträger die wirtschaftlichen Folgen: Industrieverbände warnen vor „fatalen Auswirkungen“ auf Produktion, Arbeitsplätze und Innovation in Europa, sollte die gesamte PFAS-Stoffgruppe pauschal verboten werden. Diese Sorge um Wettbewerbsfähigkeit und Versorgung mit kritischen Technologien führt zu Zurückhaltung.
Hinzu kommt eine intensive Lobbyarbeit der Chemieindustrie, die ein strenges Verbot ausbremst. Investigative Recherchen (das “Forever Lobbying Project”) deckten 2024/25 eine massive Kampagne großer PFAS-Hersteller auf. Hohe Lobby-Ausgaben und Treffen mit EU-Beamten sollten Ausnahmen und Verzögerungen bewirken. Zahlreiche Stellungnahmen in der öffentlichen Konsultation fluteten das Verfahren. Laut Corporate Europe Observatory stützt sich die Industrie auf „falsche Angaben, übertriebene Zahlen, fehlende Belege“, die teils ungeprüft in der politischen Debatte übernommen wurden. Mit anderen Worten: Es handelt sich um einen klassischen Interessenkonflikt, bei dem finanzstarke Akteure gegen strenge Regulierung mobilmachen. Die Politik tut sich also schwer, einen Ausgleich zwischen Gesundheits- und Umweltschutz einerseits und wirtschaftlichen Interessen andererseits zu finden.
Wie hoch wären die Belastungen der Wirtschaft?
Ein umfassendes PFAS-Verbot würde kurz- und mittelfristig zweifellos Belastungen für die Wirtschaft bedeuten. Betroffen wären tausende Unternehmen in Branchen wie Chemie, Elektronik, Automobil, Textil, Medizintechnik und erneuerbare Energien – überall dort, wo PFAS derzeit für unverzichtbar gehalten werden. Die Industrie warnt vor hohen Kosten für Ersatzstoffe und Produktionsumstellungen sowie vor Abwanderung der Produktion ins außereuropäische Ausland. Genaue Zahlen sind schwer zu beziffern, doch Schätzungen im Rahmen der Folgenabschätzung gehen von zweistelligen Milliardenbeträgen aus. So wurde etwa kalkuliert, dass die Mehrkosten für Unternehmen im Falle einer Beschränkung im Bereich 11 bis 31 Milliarden Euro liegen könnten (je nach Szenario) – je nachdem, wie breit Ausnahmen gewährt und wie lang Übergangsfristen gestaltet würden. Diese Belastung wäre verteilt auf viele Jahre und Branchen, aber sie verdeutlicht die Größenordnung des Einschnitts.
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Allerdings muss man dem entgegenhalten, dass Nichtstun langfristig deutlich höhere Kosten verursacht. PFAS-Schäden belasten bereits jetzt die Volkswirtschaft: Eine Studie bezifferte die jährlichen Kosten bei ungebremster PFAS-Emission (für Trinkwasser-Aufbereitung, Bodensanierung, Gesundheitsschäden etc.) in Europa auf etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr – hochgerechnet rund 2 Billionen Euro in 20 Jahren. Die gesellschaftlichen Folgekosten (u.a. für Krankheiten, Umweltreinigung und Wasserversorgung) sind extrem hoch und würden ohne Gegensteuern weiter ansteigen. Zum Vergleich: Pro Kilogramm PFAS entstehen nach einer Schätzung externe Kosten von rund 18.700 €, während PFAS selbst für etwa 19 € pro kg verkauft werden. Diese Diskrepanz zeigt, dass ein Verbot aus gesamtwirtschaftlicher Sicht sinnvoll sein kann – auch wenn einzelne Unternehmen zunächst investieren müssen. Kurzfristige Umstellungskosten stehen also langfristigen Einsparungen gegenüber, denn jede vermiedene PFAS-Emission spart zukünftige Sanierungskosten. Die Herausforderung für die Politik ist, diese langfristigen volkswirtschaftlichen Vorteile gegen die unmittelbaren Belastungen der Industrie abzuwägen und notfalls mit Förderungen oder Übergangsfristen abzufedern.
Welche Voraussetzungen braucht so ein Gesetz?
Ein PFAS-Verbot (bzw. eine weitreichende Beschränkung) muss sorgfältig vorbereitet und rechtlich sauber umgesetzt werden. Voraussetzung ist zunächst ein fundiertes wissenschaftliches Dossier, das die Gefahren der Stoffgruppe belegt. Genau dies haben fünf europäische Länder – Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen – erarbeitet und im Januar 2023 bei der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) eingereicht. Dieses rund 2000 Seiten starke Beschränkungsdossier liefert die Grundlage, um PFAS als Klasse EU-weit zu regulieren. Auf dieser Basis läuft derzeit das formelle REACH-Verfahren: Die ECHA-Gremien für Risikobewertung (RAC) und sozioökonomische Analyse (SEAC) prüfen den Vorschlag und über 5.600 eingegangene Stellungnahmen wissenschaftlich und technisch. Dieser Prozess ist aufwändig – er umfasst die Bewertung toxikologischer Daten, Umweltverhalten, Verfügbarkeiten von Alternativen sowie Kosten-Nutzen-Analysen für verschiedene Anwendungsbereiche.
Parallel dazu müssen gesetzgeberische Voraussetzungen geschaffen werden: Ein EU-weiter Verbots- bzw. Beschränkungsbeschluss erfolgt als Anpassung der REACH-Verordnung (Anhang XVII). Die endgültige Entscheidung trifft die EU-Kommission in Abstimmung mit den Mitgliedstaaten. Dafür braucht es voraussichtlich eine qualifizierte Mehrheit im zuständigen Ausschuss der Mitgliedstaaten. Politisch ist also Konsens nötig, insbesondere zwischen Umweltressorts und Wirtschaftsressorts der Länder – hier prallen oft unterschiedliche Ansichten aufeinander (wie auch in Deutschland zwischen dem Umwelt- und dem Wirtschaftsministerium).
Weiterhin bedarf es klarer Definitionen und Ausnahmen: Da PFAS sehr viele Einzelstoffe umfassen, muss das Gesetz präzise festlegen, welche Verbindungen erfasst sind (die OECD-Definition dient hier als Richtschnur). Auch müssen essenzielle Anwendungen identifiziert werden, für die befristete Ausnahmen oder längere Übergangsfristen gelten können – z.B. in der Medizin, der Halbleiterfertigung oder der Luft- und Raumfahrt, wo PFAS teils (noch) unentbehrlich sind. Die fünf Staaten haben in ihrem Vorschlag bereits bestimmte Bereiche wie Pestizide, Biozide und Arzneimittelwirkstoffe ausgenommen, da diese gesonderten Regimen unterliegen. Solche Abwägungen (Essential-Use-Konzept) sind Voraussetzung, damit ein Verbot verhältnismäßig und juristisch haltbar ist. Schließlich müssen Umsetzungsfristen festgelegt werden, damit Industrie und Verwender Zeit zur Umstellung haben – meist gestaffelt je nach Produktkategorie (etwa 18 Monate generell, mit längeren Fristen für komplexe Anwendungen, wie die Industrie fordert).
Zusammengefasst von Dr. Thomas Schulte: „Ein gesetzliches Verbot von PFAS ist rechtlich wie politisch ein komplexes Unterfangen – und kein Schnellschuss. Aus juristischer Sicht braucht ein solches Verbot zunächst eine wissenschaftlich valide Grundlage, die belegt, warum bestimmte Stoffgruppen gefährlich sind, wie sie wirken und welche Risiken von ihnen ausgehen. Diese Grundlage ist Voraussetzung für eine regulative Maßnahme auf europäischer Ebene, insbesondere im Rahmen der REACH-Verordnung, also des zentralen EU-Regelwerks zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe.
Doch damit allein ist es nicht getan. Politische Mehrheiten im Europäischen Parlament und im Rat der EU sind notwendig, damit eine solche Maßnahme auch demokratisch getragen wird. In der Praxis heißt das: Man muss sowohl die Umweltschutzinteressen als auch die industriellen Realitäten der Mitgliedstaaten unter einen Hut bringen – ein Drahtseilakt, bei dem rechtliche Feinabstimmung gefragt ist.
Daher wird es – und das ist aus meiner Sicht realistisch – kein abruptes Totalverbot geben, sondern vielmehr eine gestaffelte Beschränkung einzelner PFAS-Stoffgruppen. Hierbei wird man die Substitutionsfähigkeit im jeweiligen Industriebereich ebenso berücksichtigen müssen wie wirtschaftliche Übergangsfristen, Zulassungsverfahren und – wo nötig – definierte Ausnahmen, etwa für sicherheitsrelevante Anwendungen in der Medizintechnik oder Luftfahrt.
Kurz gesagt: Der Gesetzgeber steht in der Verantwortung, praktikable und rechtssichere Lösungen zu schaffen – mit Augenmaß, aber ohne Zeitverzug. Denn die Umwelt wartet nicht, und jede Verzögerung bedeutet neue Schäden, die künftig mühsam saniert werden müssen. Die Weichen sind gestellt – jetzt braucht es Konsequenz, Koordination und Klarheit.“
🔍 PFAS – Ewigkeitschemikalien einfach erklärt
PFAS sind chemische Stoffe, die Dinge wie Jacken, Pfannen oder Verpackungen wasser-, fett- und schmutzabweisend machen. Sie sind aber auch extrem langlebig – deshalb nennt man sie „Ewigkeitschemikalien“.
PFAS verschmutzen weltweit Böden und Gewässer, ohne dass man sie sehen, riechen oder schmecken kann. Fast jeder Mensch hat sie schon benutzt – und sie wurden sogar im menschlichen Blut nachgewiesen.
Wie bei der Luftverschmutzung früher sind wir alle Beteiligte und gleichzeitig Betroffene.
Eine kleine Menge PFAS scheint harmlos – aber sie verschwindet nie und reichert sich an. Dadurch werden selbst kleinste Mengen langfristig zum Problem.
Im Umweltrecht gilt das Vorsorgeprinzip: Wir sollten schon handeln, bevor Menschen oder Natur geschädigt werden (umweltbundesamt.de).
Dabei muss eigentlich die Industrie beweisen, dass PFAS ungefährlich sind – nicht umgekehrt die Bevölkerung, dass sie krank machen.
Die Politik tut sich mit einem Verbot schwer, weil wirtschaftliche Interessen dagegenhalten. Aber viele Fachleute fordern: Jetzt handeln – für sauberes Wasser und gesunde Böden.
Welche Regeln gelten aktuell in Deutschland bzw. der EU?
Derzeit gibt es in der EU und in Deutschland nur teilweise Regulierung für PFAS, aber noch kein umfassendes Verbot der gesamten Stoffgruppe. Einige besonders problematische PFAS wurden bereits in der Vergangenheit beschränkt:
- Einzelverbote persistentester PFAS: Die langkettigen Verbindungen Perfluoroctansulfonsäure (PFOS), Perfluoroctansäure (PFOA) sowie Perfluorhexansulfonsäure (PFHxS) sind auf globaler Ebene durch das Stockholmer Übereinkommen als Persistent Organic Pollutants gelistet und damit seit 2010 (PFOS), 2020 (PFOA) bzw. 2022 (PFHxS) weltweit verboten – abgesehen von wenigen Ausnahmen. Diese Verbote wurden in der EU durch die POP-Verordnung umgesetzt.
- Gezielte EU-Beschränkungen: Neu hinzugekommen ist eine EU-Verordnung 2024/2462, die eine Untergruppe von PFAS (die PFHxA-Stofffamilie) beschränkt. Verkündet am 20. September 2024, untersagt sie schrittweise ab 2026 den Einsatz bestimmter PFHxA-haltiger PFAS in Alltagsprodukten. So dürfen z.B. ab Oktober 2026 in der EU keine PFHxA-basierten Chemikalien mehr in Regenjacken, Imprägniersprays, Kosmetika, Lebensmittelverpackungen (z.B. Pizzakartons) u.a. verkauft werden. Auch PFAS-haltige Feuerlöschschäume werden EU-weit reglementiert: Ab April 2026 ist deren Verwendung zu Trainingszwecken verboten, bis 2029 schrittweiser Ausstieg in Luftfahrt und Feuerwehren. Diese Regelungen adressieren vor allem kurzkettige PFAS (PFHxA), die als Ersatz für PFOA aufkamen und nun ebenfalls als bedenklich gelten.
- Trinkwassergrenzwerte: Erstmals wurden verbindliche Grenzwerte für PFAS im Trinkwasser eingeführt. Die überarbeitete EU-Trinkwasserrichtlinie (2020) schreibt zwei Parameter vor: einen Wert von 0,1 µg/L für die Summe von 20 bestimmten PFAS (PFAS-20) und einen Wert von 0,5 µg/L für alle PFAS gesamt. Deutschland hat diese Richtlinie 2023 in nationales Recht umgesetzt (Trinkwasserverordnung) und wendet ab 12. Januar 2026 den Summenwert 0,1 µg/L für 20 Leit-PFAS verbindlich an. Zusätzlich geht Deutschland noch strenger vor: Ab 2028 gilt ein Summengrenzwert von 0,02 µg/L für vier besonders toxische PFAS (PFOS, PFOA, PFNA, PFHxS) – abgeleitet aus der tolerierbaren wöchentlichen Aufnahmemenge laut Europäischer Lebensmittelbehörde. Diese neuen Grenzwerte zielen darauf ab, gesundheitliche Risiken durch PFAS im Trinkwasser einzudämmen.
- Umweltqualitätsnormen: In Oberflächengewässern (Flüsse, Seen) existiert EU-weit bislang nur für PFOS eine Umweltqualitätsnorm, da PFOS am häufigsten nachgewiesen wurde. Für andere PFAS in Gewässern gibt es noch keine EU-weit einheitlichen Grenzwerte. In Deutschland fehlen zudem bundeseinheitliche Boden- oder Grundwassergrenzwerte für PFAS – bislang wird punktuell an belasteten Standorten gemessen, aber ein flächendeckendes Monitoring steht noch aus.
Zusammengefasst gelten aktuell vor allem Stoff- und Anwendungs-spezifische Regelungen: Die schlimmsten Einzelsubstanzen sind verboten, bestimmte Anwendungen werden schrittweise eingestellt, und im Trinkwasser treten demnächst strikte Grenzwerte in Kraft. Ein allgemeines Verbot aller PFAS ist hingegen (noch) nicht in Kraft – das ist Gegenstand des laufenden EU-Beschränkungsverfahrens. National gibt es in Deutschland keine eigenständige PFAS-Verbotsnorm; man orientiert sich an den EU-Vorgaben. Allerdings fordern deutsche Umweltverbände und auch einige Bundesländer schon länger strengere Regeln und bereiten sich auf die Umsetzung der EU-Grenzwerte vor (z.B. durch den Ausbau der Wasseraufbereitungstechnik – siehe unten).
Warum haben wir nicht mal verlässliche Grenzwerte?
Die Menge macht das Gift. Die Festlegung verlässlicher Grenzwerte für PFAS war lange Zeit schwierig und blieb daher aus – aus methodischen, wissenschaftlichen und politischen Gründen. Erst seit Kurzem werden solche Grenzwerte definiert, und diese treten in den nächsten Jahren in Kraft (siehe Trinkwassergrenzwerte ab 2026 oben). Bis vor Kurzem fehlte es aber an mehreren Voraussetzungen:
Analytische Herausforderungen: PFAS umfassen Tausende Substanzen. Für viele gab es bis vor Kurzem gar keine etablierten Messmethoden oder Standards im Routinebetrieb. Die EU-Trinkwasserrichtlinie verlangte, dass technische Regelungen für die Überwachung entwickelt werden, bevor die neuen PFAS-Parameter angewendet werden. Diese Methodenleitlinien wurden erst im August 2024 veröffentlicht. Das heißt, vorher hätten verbindliche Grenzwerte wenig gebracht, weil viele Wasserlabore PFAS gar nicht in so niedrigen Konzentrationen nachweisen konnten. Jetzt, da ein Messverfahren für die Summe der PFAS vorliegt, können die Grenzwerte überhaupt praktikabel überwacht werden. Die Verzögerung erklärt, warum solche Limits erst 2026 scharf geschaltet werden – man brauchte Zeit, um verlässliche Messtechnik zu entwickeln.
Komplexität der Risikobewertung: PFAS variieren in ihrer Toxizität. Frühere Bewertungsansätze konzentrierten sich auf einzelne Stoffe (wie PFOS/PFOA). Ein Summengrenzwert für 20 PFAS unterschied jedoch nicht zwischen verschiedenen Kettenlängen und Giftigkeiten. Dies führte zu Unsicherheiten: Manche Behörden zögerten, weil ein undifferenzierter Summenwert wissenschaftlich umstritten war (kurzkettige PFAS sind weniger toxisch, könnten aber den Summenwert dominieren). Erst als die Erkenntnisse zunahmen und man sich auf pragmatische Summengrenzwerte einigte, konnten “verlässliche” Grenzwerte definiert werden. Zudem hat die EFSA (Europäische Lebensmittelbehörde) 2020 eine dramatische Absenkung der tolerierbaren Aufnahmemenge für vier Leit-PFAS vorgenommen – was signalisierte, dass frühere Richtwerte viel zu hoch lagen. Diese neue EFSA-Empfehlung (nur 4,4 ng/kg Körpergewicht pro Woche) floss in den strengen deutschen PFAS-4-Grenzwert (0,02 µg/L) ein. Die Wissenschaft brauchte Zeit, um diese Zusammenhänge herzustellen; erst dann konnten Behörden “verlässliche” niedrige Grenzwerte begründen.
Politische Zurückhaltung: Ohne EU-weite Vorgaben scheuten nationale Gesetzgeber davor zurück, eigene Grenzwerte festzulegen. Man befürchtete Wettbewerbsnachteile für heimische Industrien oder Rechtsunsicherheit, wenn andere EU-Länder großzügigere Werte hätten. Zudem war das Problembewusstsein noch gering – PFAS standen lange nicht im öffentlichen Fokus, daher gab es wenig politischen Druck. Erst nach und nach, durch Skandale und neue Studien, wurde klar, dass einheitliche Grenzwerte nötig sind. Bis dahin behalf man sich oft mit unverbindlichen Leitwerten oder “Vorsorgewerten” der Länder, die aber keine rechtsverbindliche Durchsetzung erlaubten.
All diese Faktoren führten dazu, dass bis heute keine umfassenden gesetzlichen Grenzwerte für PFAS in allen Bereichen vorliegen. Jetzt bewegt sich etwas: Trinkwasser, Lebensmittel und einzelne Umweltmedien bekommen Schwellenwerte. Aber verlässlich im Sinne von “abschließend sicher” sind diese bisher nicht – sie werden vermutlich weiter verschärft, wenn die Forschung neue Erkenntnisse liefert. Die aktuellen Trinkwassergrenzwerte sind ein erster Schritt, aber sie decken nur einen Bruchteil aller PFAS ab. Dass wir “nicht mal verlässliche Grenzwerte” hatten, lag also daran, dass Know-how und Regulierung schlicht hinter der rasanten Verbreitung dieser Chemikalien hinterherhinkten. Jetzt erst, mit wachsender Erkenntnis und politischer Aufmerksamkeit, entstehen diese Vorgaben – wenn auch Jahre später, als es wünschenswert gewesen wäre.
🧪 PFAS – ein unsichtbares Umweltproblem mit rechtlicher Dimension
PFAS („Ewigkeitschemikalien“) verschmutzen weltweit Böden und Gewässer. Sie sind wasser-, fett- und schmutzabweisend – und genau deshalb in vielen Industrien unentbehrlich.
Das Problem: PFAS sind chemisch extrem stabil und bauen sich kaum ab. Der Mensch merkt nichts – sie sind geruchlos, geschmacklos, unsichtbar.
Wir alle sind Täter und Opfer zugleich – wie damals bei der Luftverschmutzung durch Kohleöfen: Jeder trug bei, jeder atmete mit.
Und doch stellt sich eine alte Grundsatzfrage: „Die Menge macht das Gift?“ Oder reicht schon wenig, wenn es ewig bleibt?
Welchen Ansatz verfolgt unser Umweltrecht? Müssen erst Schäden bewiesen werden – oder reicht die Sorge?
Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte beantwortet im Folgenden die wichtigsten Fragen zum PFAS-Verbot und dem Stand der Dinge in Deutschland und Europa.
Dr. Thomas Schulte hat über die Umsetzung der Kommunalabwasserrichtlinie der EU ins deutsche Recht promoviert und begleitet seit Jahrzehnten wasserrechtliche Verfahren.
Wie realistisch ist ein EU-weites Verbot, wie lange kann das noch dauern?
Ein EU-weites PFAS-Verbot in Form der geplanten REACH-Beschränkung ist prinzipiell realistisch, doch es wird schrittweise und mit Verzögerungen kommen. Der Prozess läuft bereits, jedoch ist Geduld gefragt:
Der formelle Beschränkungsvorschlag wurde Anfang 2023 eingereicht. Ursprünglich hoffte man, innerhalb von etwa 1,5 Jahren zu einer Entscheidung zu gelangen. Tatsächlich haben aber die vielen Stellungnahmen und die Komplexität der Materie den Zeitplan nach hinten geschoben. Laut ECHA werden die wissenschaftlichen Gutachten erst im Laufe von 2025 fertig – das RAC-Gutachten (Risiken) und der Entwurf des SEAC-Gutachtens (sozioökonomische Bewertung) verzögern sich gegenüber der Planung. Somit ist frühestens Ende 2025 mit einem finalen Beschluss der EU-Kommission zu rechnen, eher 2026.
Die Erfahrung zeigt, dass selbst nach einem Beschluss Übergangsfristen greifen. Im aktuellen Entwurf sind je nach Anwendungsbereich unterschiedlich lange Fristen vorgesehen (18 Monate bis 5 Jahre oder mehr). Wir können also davon ausgehen, dass – wenn der EU-Beschluss 2025/26 gefasst wird – Teilverbote ab ca. 2026/27 stufenweise in Kraft treten (z.B. für Konsumgüter relativ schnell, für Industrieanwendungen mit Aufschub). Ein vollständiger Ausstieg aus PFAS in der EU dürfte sich bis Ende der 2020er Jahre hinziehen. Einige Experten fordern explizit, den „Ausstieg aus Produktion und Verwendung der gesamten PFAS-Gruppe in der EU bis 2030“ politisch auf den Weg zu bringen. Dieses Ziel scheint aus heutiger Sicht erreichbar, sofern der politische Wille nicht durch Lobbydruck verwässert wird.
Allerdings ist zu betonen: Das Verbot wird wahrscheinlich kein absolutes 100-Prozent-Verbot ohne Ausnahmen sein. Realistischer ist eine Beschränkung mit Ausnahmen für essenzielle Anwendungen und mit Review-Klauseln, um spätere Verschärfungen zu prüfen. Der aktuell diskutierte Vorschlag sieht z. B. Optionen vor, bestimmte kritische Bereiche (Batterietechnologie, Halbleiter, Medizinprodukte usw.) auszunehmen oder längere Fristen einzuräumen, wo ein sofortiges Verbot als unverhältnismäßig gilt. Diese Flexibilität soll die Realisierbarkeit erhöhen.
Insgesamt kann man sagen: Ein EU-weites PFAS-Verbot ist auf dem Weg, aber es dauert. Wir stehen 2025 noch am Ende der Begutachtung; die Umsetzung wird etappenweise bis ca. 2030 erfolgen. Die Realistik ist gegeben – zumal die neue EU-Chemikalienstrategie und der Druck der Öffentlichkeit in Richtung strenger Regulierung gehen – doch wie lange es konkret noch dauert, hängt von politischen Prioritäten ab. Jede Verzögerung (etwa durch zusätzlichen Lobbyeinfluss oder zähe Beratungen im EU-Ministerrat) kann den Zeitplan weiter strecken. Dennoch: Angesichts der erdrückenden Beweislage zu PFAS-Schäden scheint ein EU-Verbot in irgendeiner Form nur eine Frage der Zeit, nicht ob, sondern wann es kommt.
Handelt es sich um einen klassischen Lobbykampf auf finanzieller Basis?
Ja, der Kampf um ein PFAS-Verbot trägt alle Züge einer klassischen Lobby-Schlacht zwischen Umweltinteressen und finanzstarken Industrieverbänden. Wie oben bereits angedeutet, haben PFAS-Hersteller und -Verwender erhebliche wirtschaftliche Interessen, die Substanzen weiter einsetzen zu dürfen – und entsprechend intensiv versuchen sie, strikte Regulierungen zu verhindern oder abzuschwächen.
Eine EU-weite Recherche (koordiniert von Le Monde und Corporate Europe Observatory) im Jahr 2024 enthüllte die Dimension: 46 Journalisten aus 16 Ländern werteten über 14.000 interne Dokumente aus und belegten, dass führende Chemiekonzerne eine koordinierte Lobbykampagne gegen das PFAS-Verbot fahren. Sie investieren in hochkarätige Lobbyisten, setzen gezielt Narrative ab (z. B. PFAS seien für Hightech unersetzlich, Fluorpolymere angeblich ungefährlich) und finanzieren Studien, die ihre Position stützen sollen. CEO beschreibt diese Taktik als Mix aus „alternativen Narrativen, branchenfinanzierter Forschung, Panikmache und unbegründeten Behauptungen“. So wurde etwa verbreitet, die OECD habe bestimmte PFAS als unbedenklich eingestuft – was so gar nicht stimmt. Oder es werden Industrie-Studien zitiert, laut denen große PFAS-Moleküle (Fluorpolymere) zu inert seien, um Schäden zu verursachen – wobei die Autoren dieser Studien von der Industrie bezahlt wurden. Solche Beispiele zeigen klar, dass hier mit finanziellem Einfluss versucht wird, wissenschaftliche und öffentliche Meinungen zu lenken.
Demgegenüber stehen Umweltverbände, Wissenschaftler und betroffene Kommunen, die für strenge Maßnahmen plädieren, aber oft weniger Ressourcen für Lobbyarbeit haben. Sie argumentieren mit der erdrückenden Beweislage zu den katastrophalen Auswirkungen von PFAS auf Mensch und Umwelt. So verweist man darauf, dass die Sanierungskosten explodieren und bereits Gemeinden und Wasserversorger Milliarden schultern (s. unten) – während die Verursacher bisher meist ungeschoren davonkommen. Dieser Gegensatz – Profit vs. Gesundheit/Umwelt – macht den Konflikt aus.
In der politischen Arena ist dieser Lobbykampf deutlich sichtbar: Verbände der Chemie- und Hightech-Industrie intervenieren auf EU-Ebene (z.B. über BDI und Chemieverbände in Deutschland, PlasticsEurope, Fluoropolymer Product Group etc. auf EU-Ebene) und fordern entweder eine Aufweichung des Verbots in ein „risikobasiertes“ System oder lange Ausnahmen. Umweltorganisationen und Trinkwasserverbände dagegen drängen auf das vollständige Verbot und das Verursacherprinzip (Kostenabwälzung auf Hersteller). Die Diskussion um PFAS ist dadurch in Brüssel hochgradig politisiert.
Zusammenfassend: Es handelt sich in der Tat um einen Lobbykampf auf finanzieller Basis. Die PFAS-Thematik reiht sich ein in die historischen Auseinandersetzungen um Asbest, Blei oder Tabak – auch hier haben Industrieakteure lange versucht, Regulierung zu verzögern. Im Fall PFAS sprechen die Fakten jedoch eine klare Sprache, und dank investigativer Arbeit wird die Lobby-Strategie öffentlich gemacht. Letztlich wird die politische Entscheidung zeigen, ob sich der Gesundheitsschutz gegen die kurzfristigen Profitinteressen durchsetzt. Der öffentliche Druck (Medienberichte über „Ewigkeitschemikalien“) wächst jedenfalls, was den Lobbyeinfluss teilweise kompensiert.
Was können Gemeinden, Privatleute etc. tun, wenn das Grundwasser durch PFAS kontaminiert ist?
Wenn PFAS ins Grundwasser gelangt und die lokale Wasserressource belastet, stehen Kommunen und auch Privatpersonen vor großen Herausforderungen. Einfach ignorieren lässt sich das Problem nicht, denn PFAS bleiben ohne Gegenmaßnahmen praktisch unbegrenzt im Wasserkreislauf. Folgende Schritte und Möglichkeiten gibt es:
Wasseraufbereitung installieren: Gemeinden bzw. Wasserversorger können technische Lösungen einsetzen, um PFAS aus dem Trinkwasser zu entfernen. In der Praxis wird meist auf Aktivkohlefilter oder Ionentauscher zurückgegriffen, teilweise auch Hochdruck-Membranfilter (Umkehrosmose). Ein Beispiel: Die Stadtwerke Rastatt (Baden-Württemberg) mussten ihr Wasserwerk Rauental wegen PFAS im Grundwasser fünf Jahre vom Netz nehmen, bis eine leistungsfähige Filtertechnik eingebaut war. Seit der Nachrüstung mit Aktivkohle kann das Wasserwerk wieder Trinkwasser liefern, allerdings unter ständiger Überwachung. Solche Filteranlagen sind sehr teuer im Bau und Betrieb – Rastatt hat rund 8 Millionen € investiert, die Nachbarstadt Bühl etwa 900.000 €. Kleinere Gemeinden tun sich damit schwer; oft müssen sie auf Landes- oder Bundesförderung hoffen oder Wasser von woanders beziehen.
Alternatives Wasser erschließen: Ist das lokale Grundwasser stark kontaminiert, können Gemeinden versuchen, Ersatzwasser zu organisieren. Das kann bedeuten, tiefere oder andere Brunnen zu bohren (falls tiefe Grundwasserschichten unbelastet sind) oder Fernwasser von außerhalb zu beziehen. Allerdings ist PFAS inzwischen so verbreitet, dass auch Fernwasserversorger zunehmend betroffen sind. Dennoch kann z.B. ein Anschluss an einen großen überregionalen Versorger eine Lösung sein, wenn dieser Wasser aus weniger belasteten Quellen liefert. Für private Hausbrunnen-Besitzer bleibt oft nur, auf Flaschenwasser auszuweichen oder ebenfalls ein Filtersystem im Haus einzubauen, sobald eine PFAS-Belastung bekannt wird.
Kontamination eindämmen: In Fällen, bei denen ein punktueller Verursacher bekannt ist (z.B. eine Fabrik, eine Feuerwehrübungsstelle oder Deponie), sollten Gemeinden die Quelle möglichst schnell stilllegen oder abdichten, um weitere Einträge zu stoppen. Zudem kann man versuchen, kontaminierte Erde auszutauschen (bei oberflächennaher Belastung) – wie etwa im Rhein-Sieg-Kreis nach einem Brand kontaminierte Böden ausgebaggert und entsorgt wurden. Das verhindert, dass Regen PFAS weiter ins Grundwasser spült. Oft ist es allerdings schon zu spät und die Stoffe haben sich weiträumig verteilt.
Rechtliche Schritte und Kostenerstattung: Gemeinden können – und sollten – versuchen, Regressansprüche gegen Verursacher geltend zu machen, wenn diese identifizierbar sind. In Deutschland sieht das Wasserhaushaltsgesetz vor, dass der Verursacher für die Verunreinigung haftet (Grundsatz des Verursacherprinzips). In der Praxis ist dies jedoch schwierig (siehe nächste Frage). Dennoch: In einigen Fällen laufen Klagen. Zum Beispiel haben die Stadtwerke Rastatt und Stadt Bühl eine Verwaltungsklage gegen das Land Baden-Württemberg eingereicht, um die PFAS-Grundwasserbelastung offiziell in den Wassermanagement-Plan aufzunehmen und so eine Grundlage für Unterstützung bei der Sanierung zu schaffen. Parallel führen die Stadtwerke Rastatt eine Zivilklage gegen einen Kompost-Betrieb, der mit PFAS belastete Papierschlämme auf Felder aufgebracht haben soll – dieses Verfahren dauert inzwischen über sechs Jahre. Gemeinden können also juristisch Druck machen, sei es gegen Verursacher direkt oder gegenüber dem Staat, um Fördermittel und Maßnahmen zu erhalten. Privatleute haben es schwerer, aber können sich ggf. zu Sammelklagen (in den USA) oder über den Umweltrechtsweg in Deutschland (Verbandsklagen) Gehör verschaffen, um Behörden zum Handeln zu zwingen.
Information und Vorsorge: Wichtig ist zudem, dass Gemeinden die Bevölkerung transparent informieren, sobald eine PFAS-Verunreinigung bekannt wird. Für Privatleute gilt: Wer in einem potenziellen PFAS-Risikogebiet lebt (etwa Nähe Flughäfen, Chemiewerke, Militärstandorte), sollte sein Trinkwasser testen lassen. Viele kommunale Wasserwerke veröffentlichen PFAS-Werte mittlerweile im Internet oder auf Nachfrage. Individuelle Vorsorge kann darin bestehen, auf bestimmte Produkte zu verzichten (z.B. kein Kompost aus Klärschlamm im Gemüsegarten verwenden, wenn regional PFAS-Fälle bekannt sind) und politisch Druck zu machen, dass belastete Standorte saniert werden.
Leider ist die Sanierung von PFAS im Grundwasser extrem langwierig und teuer. Ein Beispiel verdeutlicht das: In Düsseldorf geriet 2013 PFAS in den Boden, als mit PFAS-haltigem Schaum ein Großbrand gelöscht wurde. Die Chemikalien verbreiteten sich im Grundwasser auf einem 3 km langen Strahl in Richtung Rhein. Die Stadt Düsseldorf hat inzwischen über 10 Millionen € in die Eindämmung investiert. Sechs Pump- und Reinigungsanlagen laufen dauerhaft, um das verseuchte Grundwasser aus dem Boden zu holen, über Aktivkohle zu reinigen und wieder einzuspeisen. Diese Maßnahmen müssen jahrzehntelang betrieben werden – allein für das Gebiet Düsseldorf-Gerresheim kalkuliert die Stadt weitere 22 Millionen € in den nächsten 15 Jahren. Wenn ein Verursacher ermittelt werden kann, wird er – soweit rechtlich möglich – zur Kasse gebeten, so das Umweltamt Düsseldorf. In Gerresheim jedoch ist kein zahlungsfähiger Verursacher auszumachen (das PFAS kam bei einem Brand von verschiedenen Quellen), daher bleibt die Stadt auf den Kosten sitzen. Dieses Beispiel zeigt: Gemeinden können technisch und rechtlich einiges tun, aber letztlich zahlt oft die Allgemeinheit, wenn PFAS im Grundwasser sind.
Für Privatleute heißt das im Ernstfall: Sie sollten nicht zögern, ihr Wasser prüfen zu lassen, alternative Wasserversorgung nutzen und ggf. gemeinsam mit ihrer Gemeinde gegen die Verantwortlichen vorgehen. Letztlich braucht es aber übergeordnete Lösungen (Gesetze, Fördermittel) – einzelne Gemeinden und Bürger sind mit der PFAS-Sanierung finanziell überfordert. Dennoch können sie durch öffentlichen Druck (z.B. über lokale Medien, Bürgerinitiativen) dafür sorgen, dass das Problem nicht unter den Teppich gekehrt wird. In manchen Fällen hat auch das Engagement von Betroffenen den Stein ins Rollen gebracht (man denke an den US-Fall von Erin Brockovich – dort führte der Druck der Bürger zur Aufdeckung des Schadens und zu einem Gerichtsverfahren).
Kann man Schuldige benennen und evtl. vor Gericht bringen? (Siehe den Film Erin Brockovich)
Die Suche nach den Schuldigen bei PFAS-Verunreinigungen ist schwierig, aber prinzipiell können Verursacher zur Verantwortung gezogen werden – juristisch sowohl zivilrechtlich (Schadensersatz) als auch strafrechtlich (Umweltstraftaten). Es gibt bereits Beispiele dafür, auch wenn diese selten und langwierig sind:
USA und Zivilklagen: In den USA wurden große PFAS-Hersteller wie DuPont und 3M aufgrund von Kontaminationen verklagt. Bekannt ist etwa der Fall in West Virginia (Chemours/DuPont-Werk), den der Film “Dark Waters” dokumentiert – dort konnte Anwalt Robert Bilott nachweisen, dass die Chemiefirma über Jahrzehnte das Trinkwasser mit PFOA verseucht hatte. DuPont musste schließlich Hunderte Millionen Dollar Entschädigung zahlen. Ganz aktuell (2023) haben sich mehrere Chemiefirmen bereit erklärt, in einem Vergleich über 10 Milliarden Dollar an Wasserversorger in den USA zu zahlen, um PFAS-Klagen beizulegen. Diese Klagen zeigen: Ja, Schuldige kann man benennen und vor Gericht ziehen, zumindest in Rechtssystemen, die Sammelklagen zulassen. Es braucht aber harten, jahrelangen Rechtskampf und oft tausende Geschädigte, um gegen Konzerne anzukommen.
Strafverfahren in Europa: Auch in Europa gab es jüngst einen Durchbruch. In Italien wurde die bisher größte PFAS-Kontamination (in der Region Veneto) juristisch aufgearbeitet. Die dortige Chemiefabrik Miteni hatte über Jahrzehnte PFAS (PFOA, PFOS usw.) in Boden und Grundwasser gelangen lassen. Rund 350.000 Menschen waren betroffen, Trinkwasser in drei Provinzen verseucht. Nach jahrelangem Prozess hat ein italienisches Gericht im Juni 2025 elf ehemalige Manager und Verantwortliche der beteiligten Firmen (u.a. Mitsubishi Corporation als Muttergesellschaft) schuldig gesprochen und insgesamt 141 Jahre Haftstrafen verhängt. Einzelne Manager erhielten bis zu 17,5 Jahre Gefängnis. Das Urteil wegen Umweltkatastrophe ist historisch und zeigt, dass strafrechtliche Verfolgung möglich ist, wenn eindeutige Beweise für vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln vorliegen. In dem Fall hatte Miteni offenbar Filteranlagen umgangen und Abwässer illegal versickern lassen. Hier konnte man die Schuld klar zuweisen.
Deutschland und Haftung: In Deutschland ist die Rechtslage komplizierter, weil es keine Sammelklagen gibt und die Beweisführung oft schwierig ist. Dennoch werden einige Fälle verfolgt. Im erwähnten Mittelbaden-Fall (Region Rastatt/Baden-Baden) versucht man, einen Kompostunternehmer zivilrechtlich haftbar zu machen, der PFAS-belastete Papierschlämme auf Felder gebracht hat. Dieses Verfahren dauert jedoch schon 6,5 Jahre und ist bisher nicht abgeschlossen. Die Hürden sind hoch: Man muss nachweisen, welcher Anteil der PFAS-Belastung genau von diesem Verursacher stammt und dass er schuldhaft gehandelt hat. Oft sind solche Unternehmen mittlerweile insolvent oder es fehlen Beweise für Vorsatz, was strafrechtliche Verurteilungen erschwert.
Insgesamt kann man sagen: “Erin Brockovich”-Momente – also klare Fälle mit benennbarem Bösewicht – gibt es bei PFAS selten, aber sie sind nicht ausgeschlossen. Häufiger sind PFAS-Verseuchungen jedoch das Ergebnis diffuser Quellen über lange Zeit (siehe nächste Frage), was die rechtliche Zurechnung erschwert. Dennoch sollten Geschädigte und Gemeinden alle juristischen Möglichkeiten ausschöpfen: Anzeige erstatten, zivil klagen, Behörden einschalten. In Zukunft könnte man auch über Fonds-Lösungen nachdenken, z.B. einen von der Industrie gespeisten Entschädigungsfonds (ähnlich dem Asbest- oder Atomfonds), um Geschädigte zu kompensieren, ohne jeden einzelnen vor Gericht ziehen zu müssen – so etwas wird in Fachkreisen diskutiert.
Kurzum: Schuldige benennen und vor Gericht bringen ist möglich, wenn man sie denn eindeutig identifizieren kann. Es gibt präzedenzfälle, aber es bleibt ein schwerer Weg. Oft ist es eher die Ausnahme, dass Verantwortliche wirklich zahlen oder gar ins Gefängnis gehen – der Regelfall bisher ist leider, dass die Allgemeinheit auf den Schäden sitzenbleibt. Doch mit wachsendem öffentlichen Bewusstsein steigt auch die Wahrscheinlichkeit, dass Ermittlungsbehörden aktiv werden und fahrlässige Umweltverschmutzer angeklagt werden. Das italienische Urteil könnte hier ein Signal setzen.
Warum ist es so schwierig, einzelne Verursacher zu identifizieren?
Die Identifikation einzelner Verursacher einer PFAS-Verunreinigung ist aus mehreren Gründen schwierig:
Weitverbreitete Nutzung: PFAS wurden und werden in unzähligen Produkten und Prozessen eingesetzt – von Feuerlöschschäumen, Galvanik, Textil- und Papierimprägnierung bis hin zur Chemie- und Elektronikindustrie. In einer Region können also mehrere Quellen gleichzeitig existieren: z. B. ein Truppenübungsplatz, ein Flughafen, ein Chemiewerk und eine Deponie, die alle PFAS freisetzen. Wenn dann im Grundwasser PFAS gefunden werden, ist oft unklar, welche Quelle wie viel beigetragen hat.
Lange Zeiträume & “schleichende” Verschmutzung: PFAS sammeln sich über Jahrzehnte unbemerkt in der Umwelt an. Häufig werden Kontaminationen erst entdeckt, wenn sie bereits weitverbreitet sind. Die höchsten PFAS-Konzentrationen findet man oft tief im Boden oder Grundwasser, was darauf hindeutet, dass die Einträge lange zurückliegen. Der eigentliche Verschmutzer kann aber Jahre oder Jahrzehnte zuvor aktiv gewesen sein. Unternehmen schließen, Feuerwehren wechseln Schäume aus, Personen wechseln – bis man die Altlast bemerkt, existiert der Verantwortliche unter Umständen gar nicht mehr oder hat keine Aufzeichnungen hinterlassen.
Diffuse Verbreitung: PFAS können vom Ort ihres Eintrags wegwandern. Sie sind hochwasserlöslich und mobil, folgen also dem Grundwasserstrom oder Flüssen. So kann z.B. ein kleines Industriegebiet an einem Bach weit flussabwärts eine Belastung verursachen. Wenn dann irgendwo gemessen wird, muss man rückverfolgen, von wo es kommt – ein komplexes hydrologisches Puzzle. Manchmal konzentriert sich PFAS auch in Klärschlamm, der dann auf Feldern ausgebracht wurde, wodurch die Verunreinigung über große Flächen verteilt wird (wie in Mittelbaden auf ~1100 Hektar Ackerfläche). Hier haben viele Landwirte den Schlamm aufgebracht, aber der PFAS-Ursprung war ein Betrieb, der beschichtetes Papier recycelt hat. Solche indirekten Pfade sind schwer aufzudröseln.
Fehlendes Monitoring in der Vergangenheit: Da PFAS lange nicht reguliert waren, wurden sie früher kaum überwacht. Viele mögliche Hotspots wurden erst spät erkannt. Ohne frühe Messdaten fehlt aber oft der Beweis, wann die Kontamination begann und wer damals verantwortlich war. Beispielsweise könnte ein heute stillgelegter Standort in den 1990ern PFAS emittiert haben – damals hat niemand gemessen, daher gibt es nur Indizien, aber keine klare Zuordnung.
Mischungen von Stoffen: PFAS treten oft als Gemisch auf. Verschiedene Quellen nutzen unterschiedliche PFAS-Typen. Zwar gibt es heute chemische Fingerprinting-Methoden, um Profile zu vergleichen (z.B. Verhältnis von PFOA zu PFOS), aber in der Praxis sind Grundwässer meist Mixe aus verschiedenen PFAS. Daher kann ein Grundwasserkörper durch mehrere Verursacher gemeinsam belastet sein. Juristisch macht das die Haftung kompliziert, weil jeder auf den anderen zeigt („nicht mein PFAS, sondern das der anderen Quelle“).
Im Ergebnis ist es oft schwer nachzuweisen, wer genau “Schuld” hat. Die Aussage eines Behördenvertreters bringt es auf den Punkt: “Verursacher zu identifizieren und zur Kasse zu bitten, ist auch deshalb schwer, weil sich die Chemikalien vielerorts über einen langen Zeitraum unbemerkt ansammeln können.”. Meist bleibt den Behörden nichts anderes übrig, als vorsorglich alle potenziellen Quellen zu überwachen (Feuerwehren, Industriebetriebe in der Umgebung etc.) und bei neuen Funden sofort einzugreifen, ohne immer einen alten Schuldigen benennen zu können.
Manchmal gelingt die Eingrenzung aber: etwa wenn spezielle PFAS gefunden werden, die nur ein bestimmter Hersteller verwendet(e). Im Fall Antwerpens (Belgien) konnte man die PFOS-Belastung klar auf die 3M-Fabrik zurückführen, weil fast nur dort PFOS in relevanter Menge genutzt wurde. Solche eindeutigen Fälle sind aber selten. Häufiger ist der Zustand wie in Nordrhein-Westfalen: Dort wurden an 155 Stellen PFAS-Funde dokumentiert, aber fast die Hälfte der Kreise hat bislang keine aktiven Ermittlungen betrieben, teils aus Mangel an Personal oder weil kein Problembewusstsein da war. Wenn also nicht systematisch gesucht wird, bleiben Verursacher im Dunkeln.
Dr. Thomas Schulte über die juristische Realität von PFAS-Folgen: Wer soll eigentlich zahlen?
„Aus meiner Sicht als Jurist zeigt sich bei PFAS ein zentrales Dilemma unserer Zeit: Die extreme Persistenz und unsichtbare Verbreitung dieser Stoffe machen eine konkrete juristische Verursacherzuordnung nahezu unmöglich. In der Praxis erleben wir regelmäßig, dass es sich bei PFAS-Schäden um komplizierte Altlastkonstellationen mit mehreren Beteiligten handelt – Kommunen, Entsorgern, Industrieunternehmen, Militärstandorten. Doch niemand kann zweifelsfrei beweisen, wer zu welchem Zeitpunkt etwas verursacht hat.
Und genau daran scheitert die juristische Aufarbeitung oft schon im Ansatz: Ohne eindeutigen Verursacher keine Haftung, keine Regresspflicht, keine Sanierungsverfügung – das Umweltrecht greift ins Leere, weil es auf klare Verantwortlichkeiten angewiesen ist. Als Folge bleiben Betroffene auf den Kosten sitzen – und die öffentliche Hand zahlt.
Daher halte ich es für dringend erforderlich, über neue Modelle der Produktverantwortung nachzudenken. Wenn wir schon nicht den einzelnen Emittenten benennen können, müssen wir die Herstellergruppen in die Pflicht nehmen – vergleichbar mit dem Prinzip des Verpackungsfonds oder dem Altölgesetz. Ein PFAS-Fonds, gespeist von den Produzenten, könnte helfen, zumindest finanziell Verantwortung zu übernehmen – dort, wo die juristische Schuldfrage wegen der jahrzehntelangen Ketten kaum noch sauber geklärt werden kann.“
Denn klar ist: Die Zeit arbeitet nicht für die Gerechtigkeit. Und PFAS verschwinden nicht einfach.
Wasser in Gefahr – und die Dringlichkeit beginnt nicht morgen, sondern heute
PFAS, Mikroplastik, Nitrat: Unser Trinkwasser ist längst bedroht – und die juristischen, politischen und ökologischen Antworten kommen zu spät. Warum wir jetzt handeln müssen – nicht erst für die Zukunft, sondern für die Gegenwart.
Als langjähriger Jurist sehe ich mit großer Sorge, dass der Schutz unseres Trinkwassers in Deutschland und Europa immer noch zu zögerlich betrieben wird. Der Satz „Sauberes Wasser ist ein Problem der Zukunft“ ist – mit Verlaub – falsch. Das Problem ist jetzt da. Es ist nicht mehr nur ein Szenario in Klimaberichten, sondern eine reale Bedrohung für Millionen Menschen in Deutschland. PFAS, diese sogenannten Ewigkeitschemikalien, kontaminieren laut aktuellen Zahlen über 1.500 Orte in Deutschland – europaweit sind es sogar mehr als 20.000 betroffene Regionen. Und dabei sind es nicht allein PFAS: Nitratbelastung, Mikroplastik und pharmazeutische Rückstände bedrohen unser Wassersystem von allen Seiten.
Was mich als Jurist besonders bewegt, ist die erschreckende Erkenntnis, dass die rechtliche Reaktion auf diese Bedrohung verzögert und lückenhaft bleibt. Seit dem Skandal um PFAS-belasteten Klärschlamm im Möhnesee-Gebiet 2006 sind beinahe zwei Jahrzehnte vergangen, bis die ersten einheitlichen Grenzwerte und systematischen Untersuchungsprogramme auf den Weg gebracht wurden. Warum? Weil viele Behörden schlicht überfordert waren. Weil das Thema schwer sichtbar war. Und – vielleicht am bittersten – weil die politische Brisanz fehlte, solange kein akuter Skandal auf der Titelseite stand.
Der Fall PFAS zeigt: Unser Umweltrecht ist gut gemeint, aber oft nicht durchsetzungsstark genug. Und das hat System: PFAS wirken nicht wie ein plötzlicher Chemieunfall. Sie sickern schleichend in Böden und Grundwasser, verzögern ihre Wirkung über Jahre hinweg und verstecken sich in Alltagsprodukten, von der Outdoorjacke bis zur Bratpfanne. Das erschwert nicht nur das öffentliche Bewusstsein, sondern stellt uns auch vor eine juristische Beweisproblematik, die oft unlösbar erscheint.
Und trotzdem – oder gerade deshalb – muss das Recht Antworten liefern. Wer schützt die Verbraucher, wenn niemand haftet? Wer trägt die Verantwortung, wenn die Verursacher längst insolvent oder gar nicht identifizierbar sind? Hier braucht es nicht nur neue Gesetze, sondern auch mutige Modelle wie einen Herstellerfonds, ein „Solidarsystem für Ewigkeitschemikalien“, wie ich es nennen würde. Denn die rechtlichen Mittel zur Einzelfallhaftung greifen oft ins Leere – und lassen die Kosten bei den Kommunen, der öffentlichen Hand und letztlich beim Bürger.
Gleichzeitig erfordert die Umsetzung bestehender Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rückabwicklung fehlerhafter Lebensversicherungen – ein anderes Feld, das mir seit Jahren vertraut ist – ebenso technologische und juristische Innovationskraft. Wenn wir auf der einen Seite strengere Berichtspflichten über digitale Plattformen einführen, wie es nun mit der MVP-Plattform der BaFin geschieht, dann müssen wir auch auf der anderen Seite strategische Instrumente schaffen, um Verbrauchern effektiv zu helfen – beim Schadensersatz wie beim Reputationsschutz. Denn sauberes Wasser ist kein Bonus, sondern Grundrecht.
Was jetzt kommt, ist eine gewaltige Aufgabe – vergleichbar mit dem Ausbau der Stromnetze für die Energiewende. Bis 2026 müssen viele Wasserwerke neue Filtersysteme implementieren, Investitionen in Milliardenhöhe sind notwendig. Laut aktuellen Schätzungen könnte allein die Sanierung der bekannt gewordenen PFAS-Fälle in Deutschland bis zu 17 Milliarden Euro kosten. Das ist mehr als eine Warnung – das ist ein Weckruf.
Fazit: Wir haben zu lange gezögert. Doch es ist noch nicht zu spät. Als Jurist, als Bürger und als Vater sage ich: Unser Wasser ist das Öl der Zukunft – und seine Qualität die Basis für Gerechtigkeit, Gesundheit und gesellschaftliche Stabilität. Wenn das Recht nicht schützt, wo keiner haftet, müssen wir das Recht stärken – mit klaren Zuständigkeiten, konsequenter Kontrolle und mutiger politischer Führung. Denn die Zukunft beginnt jetzt – und sie fließt durch unsere Leitungen.
Gibt es eindeutige Zusammenhänge von Ursache und Wirkung?
Bezogen auf Gesundheits- und Umweltauswirkungen von PFAS kann man sagen: Ja, für einige PFAS sind Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge mittlerweile eindeutig belegt, bei anderen deutet vieles darauf hin. Früher wurde oft eingewandt, es gebe keine klaren Beweise für Schäden – das ist so nicht mehr haltbar. Einige Beispiele für gut dokumentierte Zusammenhänge:
Gesundheitliche Wirkungen: Insbesondere für die langkettigen PFAS wie PFOA und PFOS gibt es umfassende Studien. Sie zeigen Zusammenhänge mit verschiedenen Erkrankungen beim Menschen: erhöhtes Krebsrisiko (Nieren-, Hodenkrebs), Leber- und Nierenschäden, Schilddrüsenfunktionsstörungen, erhöhte Cholesterinwerte, Störungen des Immunsystems (verminderte Impfantwort), Fruchtbarkeitsprobleme und Entwicklungsstörungen bei Kindern. Diese Erkenntnisse stammen u.a. aus epidemiologischen Langzeitstudien an exponierten Bevölkerungsgruppen (z.B. im Umfeld von DuPont in Parkersburg, WV, USA – C8 Health Study). Die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA hat 2020 vier dieser Stoffe gemeinsam bewertet und kam zu dem Schluss, dass bereits sehr geringe Konzentrationen im Blut problematisch sind (hauptsächlich wegen Auswirkungen auf das Immunsystem, z.B. Anfälligkeit für Infekte und geringere Impfwirksamkeit). Das führte zur drastischen Senkung der empfohlenen Aufnahmemenge, wie erwähnt. Kurzum: Für PFOS, PFOA, PFHxS und PFNA gelten Kausalzusammenhänge als gesichert (Krebserregung bei Tieren, wahrscheinlich auch beim Menschen; immuntoxisch; endokrin schädlich). Bei neueren PFAS (Ersatzstoffen) ist die Datenlage dünner, aber erste Studien weisen darauf hin, dass auch kürzerkettige PFAS negative Effekte haben können (teils andere, z.B. PFHxA auf die Entwicklung).
Umweltwirkungen: In der Umwelt wirken PFAS vor allem durch ihre Persistenz und Bioakkumulation. PFOS reichert sich z.B. in Fischen und Greifvögeln an und wurde mit verminderter Fortpflanzung und Hormonveränderungen in Verbindung gebracht. In Nahrungsketten können PFAS zu Populationseffekten führen (etwa weniger Nachkommen bei Eisbären, die hohe PFAS-Level im Blut haben). Gewässer in Europa weisen inzwischen stellenweise so hohe PFAS-Werte auf, dass die EU-Umweltagentur vor den ökologischen Folgen warnt. Das Schwierige ist, dass PFAS keine akute Toxizität zeigen wie ein Pestizid – die Effekte sind schleichend. Trotzdem: Ursache PFAS – Wirkung Umweltbelastung ist unstrittig, denn die Chemikalien verbreiten sich global und verbleiben praktisch ewig. Man hat PFAS in entlegenen Arktisregionen im Schnee, im Regenwasser (teilweise über Trinkwassergrenzwerten) und in Tieren weltweit nachgewiesen. Dieser Beweis der weiten Verbreitung ist für Regulierer notwendig, da er zeigt, dass jede Emission letztlich zu Umweltkontamination führt.
Lokale Kausalität: In einzelnen Kontaminationsfällen lässt sich oft klar der Zusammenhang zwischen Quelle, Exposition und Wirkung zeigen. Beispiel Veneto (Italien): Nach PFAS-Belastung des Trinkwassers hatten junge Männer dort signifikant erhöhte PFAS-Blutwerte und es traten vermehrt Gesundheitsprobleme (Cholesterin, Leberwerte) auf, verglichen mit weniger belasteten Regionen. Oder im Raum Antwerpen (Belgien) wurde um eine 3M-Fabrik herum festgestellt, dass Anwohner und selbst Hühner-Eier so hohe PFOS-Gehalte hatten, dass die Regierung vom Verzehr abrät. Das heißt, Ursache: Emission aus Fabrik – Wirkung: Belastung von Menschen und Tieren, kann nachvollzogen werden.
Die Beweislage insgesamt ist so „erdrückend“ (O-Ton CEO), dass Industrieargumente, es gebe keine eindeutigen Beweise, immer unglaubwürdiger wurden. Natürlich wird weiter geforscht, um detailliert zu verstehen, welche PFAS welche Wirkung haben. Aber dass PFAS als Klasse problematisch sind, steht außer Zweifel. Auch strukturell ähnliche Ersatzstoffe (GenX, PFBS etc.) zeigen z.T. toxische Profile. Genau deshalb fordern Wissenschaftler seit 2014 (Madrid-Statement) den klassenweiten Ausstieg aus PFAS.
Fazit: Es gibt ausreichend eindeutige Ursache-Wirkung-Zusammenhänge, um zu handeln. Während vor 20 Jahren noch Unsicherheit herrschte, ist heute klar: PFAS-Kontamination verursacht realen Schaden – für die Umwelt (langfristig irreversibel) und die Gesundheit (chronische Effekte). Weitere Forschung wird helfen, die Mechanismen besser zu verstehen, aber als Grundlage für Regulierung reichen die bestehenden Erkenntnisse vollkommen aus. Das sieht man auch daran, dass Behörden wie die EFSA oder US EPA strengere Richtwerte herausgeben, basierend auf klaren Nachweisen. Insofern: Wir sollten nicht mehr auf den letzten Beweis warten – der Drops ist gelutscht, wie man so sagt.
Grenzenlose Verantwortung: Warum Forschung, Transparenz und Engagement bei PFAS jetzt entscheidend sind
Die Forschung zu PFAS erlebt seit einigen Jahren einen Boom – sowohl was die Aufklärung von Gesundheits- und Umweltrisiken angeht, als auch hinsichtlich Technologien zum Abbau von PFAS. Die Frage ist, ob diese Forschung aktiv unterstützt oder eher behindert wird. Die Antwort lautet: Beides kommt vor.
PFAS machen an keiner Landesgrenze Halt. Sie gelangen über Luft, Wasser und Handelsgüter in jedes Ökosystem – und damit auch in unsere Körper, unsere Äcker, unser Trinkwasser. Doch trotz dieser dramatischen Allgegenwärtigkeit gibt es Hoffnung: Immer mehr öffentliche Einrichtungen, Forschungsinstitutionen und engagierte Bürger erkennen, dass wir handeln müssen – und zwar vom Kleinen bis zum Großen.
Dr. Thomas Schulte hat über das Thema Umsetzung der Kommunalabwasserrichtlinie der EU in das Deutsche Recht promoviert, fasst die aktuelle Lage so zusammen: „Wir stehen an einem Wendepunkt. Was jahrzehntelang ignoriert oder verschleiert wurde, rückt nun endlich in den Fokus. Die Politik hat erkannt, dass ohne solide Forschung keine Regulierung möglich ist. Und ohne Regulierung kein Schutz.“
Tatsächlich wurden in den letzten Jahren zahlreiche Maßnahmen auf den Weg gebracht: In der EU fördern Programme wie Horizon Europe die Entwicklung von innovativen Filtersystemen, analytischen Verfahren und Alternativen zu PFAS. Nationale Institutionen wie das Umweltbundesamt oder das Bundesinstitut für Risikobewertung finanzieren Grundlagenstudien zur Giftigkeit und Verbreitung dieser Stoffe. Auch auf internationaler Ebene vernetzen sich Forscher:innen – das Forever Pollution Project, unterstützt durch Organisationen wie das Pulitzer Center, kartiert mittlerweile tausende belastete Orte weltweit. Die Europäische Umweltagentur sorgt mit frei zugänglichen Berichten für Transparenz.
Doch der Weg ist nicht frei von Hindernissen. Über Jahrzehnte haben große Chemiekonzerne versucht, kritische Daten zurückzuhalten oder Studienergebnisse zu verharmlosen. Noch 2021 verweigerte der Konzern 3M der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Herausgabe weiterer toxikologischer Studien – nachdem diese zuvor warnende Grenzwerte formuliert hatte. Auch wurde bekannt, dass manche industrienahen Publikationen PFAS bewusst verharmlosten. Der wissenschaftliche Diskurs wurde dadurch verzögert, juristische Aufarbeitung erschwert. Ein Muster, das an die großen Industrieprozesse vergangener Jahrzehnte erinnert – von Asbest bis Dieselgate.
Und doch: Die Dynamik hat sich gewandelt. Mit wachsendem öffentlichem Interesse und zunehmendem Problembewusstsein geht nun auch die Förderung von Lösungen voran. 2023 kündigte die Bundesregierung ein eigenes Forschungszentrum für PFAS an. Start-ups entwickeln Verfahren, um PFAS chemisch zu zerstören – etwa durch Hochtemperatur-Plasma oder spezielle Katalysatoren. Transparenz nimmt zu: Die ECHA veröffentlicht Stellungnahmen zur REACH-Konsultation, NGOs klagen Daten über das Informationsfreiheitsgesetz ein.
Dr. Schulte betont: „Wichtig ist, dass wir unabhängige Forschung stärken und alle Ergebnisse öffentlich zugänglich machen. Denn nur wer weiß, was ihn bedroht, kann sich schützen – juristisch, technisch, politisch.“
Die Herausforderung bleibt gewaltig: Über 10.000 verschiedene PFAS-Verbindungen sind bekannt, die Wirkmechanismen komplex, die langfristigen Effekte nur zum Teil erforscht. Aber: Der Kurs ist gesetzt. Jetzt gilt es, ihn mit Mut, Geld und klarem Blick zu halten.
Denn PFAS sind unsichtbar, aber allgegenwärtig – und das macht sie so gefährlich. Ob wir sie eindämmen können, entscheidet sich nicht nur in den Laboren oder Gerichtssälen, sondern auch im gesellschaftlichen Bewusstsein. Die gute Nachricht: Dieses Bewusstsein wächst – und mit ihm die Chance, aus dem Jahrhundertproblem eine Generationenaufgabe mit Lösungsperspektive zu machen.