Neutral, aber nicht naiv? Wie das neue Schweizer Sanktionsrecht Finanzintermediäre in die Pflicht nimmt – und was jetzt rechtlich zählt.
Die Schweiz – traditionsreiches Zentrum für Vermögensverwaltung, diskrete Finanzgeschäfte und politisch neutrale Außenpolitik – steht vor einem juristischen Dilemma mit geopolitischer Sprengkraft. Darf ein Land neutral bleiben und sich dennoch an internationalen Sanktionspaketen beteiligen? Und welche rechtlichen Folgen hat das für Banken, Vermögensverwalter und Treuhänder?
Mit dem Anschluss an das 16. Sanktionspaket der Europäischen Union am 14. Mai 2025 hat der Bundesrat ein deutliches Signal gesendet: Auch ohne EU-Mitgliedschaft folgt die Schweiz dem außenwirtschaftlichen Kurs Brüssels – insbesondere in Bezug auf Russland. Doch was politisch als Solidarität gewertet wird, bedeutet juristisch eine Verschärfung der Pflichten für alle Akteure im Schweizer Finanzsystem. Was genau müssen Finanzintermediäre künftig leisten, um rechtssicher zu handeln? Welche Informations-, Prüf- und Meldepflichten gelten – und wo beginnt die persönliche Haftung?
Als deutscher Rechtsanwalt mit Fokus auf Finanzmarktregulierung verfolgt Dr. Thomas Schulte aus Berlin diese Entwicklungen mit großem Interesse. Denn klar ist: Die Balance zwischen politischem Schulterschluss und rechtlicher Eigenverantwortung wird zunehmend zum Prüfstein für die Zukunft des Schweizer Finanzplatzes.
Sanktionen als Mittel internationaler Wirtschaftspolitik
Sanktionen sind ein Mittel der internationalen Politik, um politischen Druck auf Staaten oder Unternehmen auszuüben, die gegen das Völkerrecht verstoßen oder internationale Stabilität gefährden. In Bezug auf Russland sind Sanktionen insbesondere infolge der Annexion der Krim 2014 und der Invasion der Ukraine 2022 verhängt worden. Die Europäische Union hat mittlerweile sechzehn Sanktionspakete erlassen, die jeweils auf eine Verschärfung und Erweiterung der Maßnahmen abzielen. Die Schweiz greift diese Regelungsmodelle über ihre Sanktionsverordnung im Kontext der Situation in der Ukraine (SR 946.231.176.72) auf und passt ihre nationalen Regelungen regelmäßig an jene der EU an. Dies ist verfassungsrechtlich zulässig und politisch ausdrucksstark.
Teil der aktuellen Maßnahmen ist unter anderem die Erweiterung der Exportbeschränkungen auf Güter mit sogenannter doppelter Verwendung – sogenannte Dual-Use-Güter – sowie solcher, die zur militärischen und technologischen Stärkung Russlands beitragen. Dass künftig nun auch Chromerze in die Liste der verbotenen Exportgüter aufgenommen wurde, ist rechtlich und wirtschaftlich bemerkenswert, weil es die operative Tätigkeit schweizerischer und mit ihr verbundener Handelspartner maßgeblich beeinflusst. Aus rechtlicher Sicht relevant ist jedoch vor allem die Verpflichtung der Finanzintermediäre, Verbote umzusetzen sowie Vermögenssperren gegenüber natürlichen und juristischen Personen vorzunehmen.
Pflichten von Schweizer Finanzintermediären nach dem neuen Sanktionsregime
Ab dem 15. Mai 2025 entsteht für Finanzintermediäre in der Schweiz eine bindende Pflicht, die veränderten Sanktionen rechtskonform umzusetzen. Grundlage hierfür ist die oben genannte Ukraine-Verordnung des Bundesrates, welche regelmäßig durch die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht FINMA und das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) überwacht wird. Finanzintermediäre sind unter anderem gehalten, Geschäftsbeziehungen mit gelisteten Personen oder Unternehmen zu identifizieren, laufende Transaktionen zu analysieren und gegebenenfalls zu blockieren sowie sämtliche verdächtigen wirtschaftlichen Aktivitäten zu melden.
Das rechtliche Herzstück dieser Maßnahmen liegt im Geldwäschereigesetz (GwG) der Schweiz, insbesondere in den Artikeln 6 und 9. Artikel 6 verlangt von Finanzintermediären bei Verdacht auf Geldwäscherei oder Terrorismusfinanzierung besondere Abklärungen. Kann dieser Verdacht nicht ausgeräumt werden, verpflichtet Artikel 9 zur unverzüglichen Meldung an die Meldestelle für Geldwäscherei (MROS). Dies ist auch dann nötig, wenn bereits eine Meldung an das SECO erfolgt ist. Juristisch ist dies als sogenannte doppelte Meldepflicht zu qualifizieren, die sich aus dem Zusammenspiel zwischen wirtschaftspolitischer Sanktionsdurchsetzung und strafrechtlicher Prävention ergibt.
„Die Einhaltung der Sanktionsbestimmungen ist für Finanzintermediäre kein politisches Statement, sondern eine zwingende gesetzliche Verpflichtung. Eine Nichtbeachtung kann gravierende aufsichtsrechtliche und strafrechtliche Folgen nach sich ziehen“, erläutert Dr. Thomas Schulte. „In der Praxis bedeutet das: Kenntnis der Listen, verhinderte Transaktionen, eingefrorene Vermögenswerte. Es handelt sich dabei um hochsensibles Terrain im Schnittbereich zwischen Wirtschaft und Völkerrecht.“
Verhältnis zwischen Schweizer und EU-Recht
Ein zentraler Aspekt ist das Verhältnis zwischen eigenständigem Schweizer Recht und der sogenannten „autonomen Nachvollziehung“ der EU-Sanktionen. Die Schweiz trifft politisch unabhängige Entscheidungen, jedoch orientiert sie sich im Interesse einer kohärenten Außenwirtschaftspolitik eng an der Linie der Europäischen Union. Dieses Vorgehen vermeidet nicht nur regulatorische Arbitrage, sondern stellt auch sicher, dass internationale Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in der Schweiz keinen sanktionsrechtlichen Schlupfwinkel erhalten.
Für praktisch tätige Juristen ergibt sich dadurch die Notwendigkeit, sowohl die Sanktionen der EU als auch jene der Schweiz parallel zu verfolgen und regelmäßig abzugleichen. Namentlich im Bereich des internationalen Zahlungsverkehrs, bei Vermögensverwaltungen sowie bei Fusionen und Übernahmen spielt dabei die Rechtssicherheit eine zentrale Rolle. Banken, Versicherungen und Investmentgesellschaften benötigen auf sie zugeschnittene Compliance-Konzepte.
Die Rolle der interinstitutionellen Zusammenarbeit
Ein weiterer rechtlicher Aspekt liegt in der institutionellen Ausgestaltung der Zusammenarbeit zwischen Privatwirtschaft und staatlichen Stellen. Insbesondere die Rolle des SECO verdient Beachtung, da es nicht nur Listen veröffentlicht, sondern auch Anweisungen zur Umsetzung geben kann. In komplexen Fällen empfiehlt es sich daher, bereits vor einer Transaktion oder Geschäftsaufnahme rechtlichen Rat einzuholen. Bei Unsicherheiten bietet das SECO eine Meldeplattform und teilweise auch schriftliche Klarstellungen. Allerdings ersetzt dies keine eigenverantwortliche rechtliche Prüfung durch die Institute selbst.
Hierbei stellt sich oft die Frage nach der Sorgfaltspflicht: Wie weit reicht die Ermittlungspflicht eines Finanzintermediärs? Wann handelt es sich um einen gerechtfertigten Verdacht im Sinne des GwG? Welcher Beurteilungsmaßstab ist anwendbar? All diese Fragen gehören zur täglichen Praxis des Finanzrechts und erfordern eine genaue Auslegung der gesetzlichen und unter gesetzlichen Normen. Der Begriff der „wirtschaftlichen Berechtigung“ beispielsweise zieht sich wie ein roter Faden durch das Sanktionenrecht und verlangt eine faktische Analyse der Eigentumsverhältnisse und wirtschaftlichen Abhängigkeiten.
Folgen bei Verstößen gegen Sanktionen
Die Missachtung der Sanktionsvorschriften in der Schweiz kann empfindliche Konsequenzen nach sich ziehen. Neben aufsichtsrechtlichen Maßnahmen durch die FINMA drohen auch strafrechtliche Sanktionen. In bestimmten Fällen sind Verstöße gegen die Ukraine-Verordnung sogar als Vergehen im Sinne des Strafgesetzbuches zu qualifizieren. Das bringt für Compliance-Verantwortliche eine besondere Verantwortung mit sich.
Aus deutscher Sicht ist in diesem Zusammenhang auch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) relevant, das als Pendant zur Schweizer Ukraine-Verordnung gilt. Nach § 18 AWG kann ein Verstoß gegen Ausfuhrverbote mit Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren geahndet werden. Zwar gilt das deutsche Recht nicht unmittelbar für Schweizer Finanzinstitute – bei grenzüberschreitenden Transaktionen, die auch deutsches Recht berühren, kann jedoch eine etwaige Mitwirkung an einem Sanktionsverstoß auch rechtliche Folgen auf deutscher Seite haben.
Rechtsstaat und Sanktion: Ein Spannungsverhältnis
Die Frage, ob Sanktionen durch Exekutivverordnungen – wie im Fall der Schweiz durch den Bundesrat ohne parlamentarische Beteiligung – mit dem rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung vereinbar sind, bleibt offen. Aus völkerrechtlicher Perspektive sind Sanktionen, sofern sie verhältnismäßig, zeitlich begrenzt und konkretisiert sind, zulässig. Dennoch ist festzustellen, dass die betroffenen natürlichen Personen oft ohne gerichtliche Anhörung in Sanktionslisten aufgenommen werden. Zwar bestehen in der Schweiz gerichtliche Überprüfungsmöglichkeiten, jedoch in einem engen Rahmen, was rechtspolitisch umstritten ist. Hier zeigt sich ein Spannungsfeld zwischen international-politischer Notwendigkeit und dem Schutz individueller Rechte.
Fazit: Rechtliche Bedeutung und Handlungsempfehlung
Für Banken und Finanzdienstleister ist klar: Die neuen Regelungen sind verbindlich umzusetzen. Eine proaktive Strategie besteht in der laufenden Aktualisierung von Sanktionslisten, im Aufbau robuster interner Kontrollmechanismen sowie in der Schulung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Hinblick auf aktuelle Entwicklungen. Die Zusammenarbeit mit erfahrenen Anwälten kann hierbei maßgeblich zur rechtssicheren Ausgestaltung beitragen. Gerne steht Dr. Thomas Schulte, für eine rechtliche Beratung zur Verfügung.