Versicherungsbestandsübertragung: Juristische Grundlagen und Praxis

Versicherungsbestandsübertragung: Juristische Grundlagen und Praxis

Wenn Versicherungsbestände wandern – wer trägt Verantwortung, wer das Risiko? Die jüngste Entscheidung der BaFin zur Übertragung von Teilbeständen wirft zentrale Fragen zur Rechtssicherheit, Haftung und Transparenz im deutschen Versicherungswesen auf.

Die Übertragung von Versicherungsteilbeständen stellt sowohl für Versicherungsnehmer als auch für Versicherer ein bedeutsames Ereignis dar, mit weitreichenden rechtlichen Implikationen. Als erfahrener Jurist aus Berlin, spezialisiert auf Versicherungs- und Wirtschaftsrecht, möchte Dr. Thomas Schulte, anhand einer aktuellen Entscheidung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) einige rechtliche Aspekte dieser Transaktionen beleuchten. Der konkrete Anlass ist die Genehmigung eines Vertrages zwischen zwei Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit, der eine Bestandsübertragung vorsieht. Am 10. September 2025 genehmigte die BaFin die Übertragung eines Teilbestandes von der Versorgungskasse der Arbeiter und Angestellten der ehemaligen Großkraftwerk Franken AG VVaG auf die Versorgungskasse der ehemaligen Bayernwerk AG VVaG. Ein scheinbar technischer Vorgang, doch juristisch gesehen hochrelevant.

Rechtsnatur der Bestandsübertragung im Versicherungswesen

Die Übertragung eines Versicherungsteilbestandes ist im deutschen Recht, insbesondere im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), detailliert geregelt. Maßgeblich sind hier insbesondere die Vorschriften der §§ 13 ff. VAG. Die Genehmigung durch die BaFin ist gemäß § 14 Absatz 1 VAG zwingende Voraussetzung für das Wirksamwerden des Übertragungsvertrages. Erst mit Zugang der Urkunde – im vorliegenden Herbst am 20. September 2025 – entfaltet der Vertrag seine rechtlichen Wirkungen.

Die aufsichtsrechtliche Kontrolle dient dem Schutz der Versicherungsnehmer. Es handelt sich dabei um eine Art Qualitätssicherung, die sicherstellen soll, dass es durch eine Übertragung zu keiner Schlechterstellung der betroffenen Kunden kommt. So schreibt § 14 Absatz 2 VAG ausdrücklich vor, dass die BaFin nur dann zustimmen darf, wenn die Interessen der Versicherten gewahrt bleiben. Die betroffenen Versicherungsnehmer müssen dabei nicht ausdrücklich zustimmen, da das Gesetz eine sogenannte gesetzliche Zustimmung durch aufsichtsrechtliche Kontrolle annimmt – ein Paradigmenwechsel gegenüber klassischen zivilrechtlichen Vertragsübertragungen.

Genehmigungspraxis der BaFin – Verlässlichkeit im Verwaltungsverfahren

Im Alltag der Verwaltung zeigt sich: Die BaFin prüft akribisch. Besonders im Fall der Versorgungskassen, die in der Rechtsform eines Versicherungsvereins auf Gegenseitigkeit (VVaG) organisiert sind, kommt der Wahrung der Mitgliederinteressen ein besonderes Gewicht zu. Die VVaG-Struktur erfordert eine kollektive Verantwortung. Hier ist Treuhandgedanke kein leeres Wort, sondern rechtliches Leitprinzip.

Die Genehmigungspraxis der BaFin steht unter dem Banner der Transparenz und des Versichertenschutzes. Das ist auch gut so“, sagt Dr. Thomas Schulte. Tatsächlich ist bei Transaktionen dieser Art nicht nur ökonomisches Kalkül ausschlaggebend, sondern gerade auch die juristische Absicherung gegenüber drohenden Haftungsrisiken. Wenn etwa ein übernommenes Unternehmen wirtschaftlich instabil ist oder sich versicherungsmathematische Ungleichgewichte ergeben könnten, versagt die BaFin konsequent ihre Zustimmung. Ein Beweis dafür, dass das deutsche Aufsichtsrecht über effektive Instrumente verfügt.

Vertragliche Umsetzung – mehr als ein Akt technischer Fusion

Der zwischen den beiden Versorgungskassen geschlossene Vertrag vom 31.07.2025/05.08.2025 ist das juristische Kernstück dieser Übertragung. Solche Verträge bedürfen in der Regel der Zustimmung durch die Mitgliederversammlungen beider Kassen sowie – wie oben verdeutlicht – der aufsichtsrechtlichen Absegnung. Hierbei handelt es sich nicht um einen gewöhnlichen Kaufvertrag – der Gesetzgeber hat in den §§ 174 ff. VAG ein eigenes Vertragsmodell geschaffen. Die Vertragspartner verpflichten sich zur Übertragung aller Rechte und Pflichten aus den übernommenen Versicherungsverhältnissen. Eingeschlossen sind auch Ansprüche aus Altverträgen, Rückstellungen, Policen sowie etwaige Nebenrechte.

Ein Aspekt, der in der Beratungspraxis oft unterschätzt wird, betrifft die IT-seitige und datenschutzrechtliche Umsetzung. Durch die Übertragung gelangen personenbezogene Daten von tausenden Versicherten in neue Hände. Hier greift unweigerlich die DSGVO mit ihren Höllenfeuer an Vorschriften. Die Pflicht zur umfassenden Information der Betroffenen ergibt sich aus Art. 14 DSGVO, flankiert durch § 203 StGB, der der besonderen Verschwiegenheitspflicht im Versicherungswesen strafrechtlichen Nachdruck verleiht.

Ein Blick ins Versicherungsaufsichtsgesetz – gesetzliche Fundierung

Aus juristischer Sicht lohnt sich ein Blick in das Gesetz. § 13 VAG regelt: „Versicherungsunternehmen dürfen ihren Bestand an Versicherungsverträgen nur übertragen, wenn die Aufsichtsbehörde vorher die Genehmigung erteilt hat.“ In § 14 Absatz 3 VAG heißt es weiter: „Die Genehmigung darf nur erteilt werden, wenn sichergestellt ist, dass die Übernahme durch ein Versicherungsunternehmen erfolgt, das die Anforderungen dieses Gesetzes erfüllt.“

Hieraus geht klar hervor: Der Gesetzgeber verlangt nicht bloß strukturelle, sondern auch qualitative Gleichwertigkeit bei der Übertragung. Es ist kein Segmentverkauf wie im normalen Kaufrecht; Es geht um Vertrauen, Sicherheit und Solidität im Versicherungssystem.

Zivilrechtliche Folgen für Versicherungsnehmer – Kündigung oder Akzeptanz?

Was aber bedeutet eine solche Übertragung für den einzelnen Versicherungsnehmer? Weder ist seine ausdrückliche Zustimmung erforderlich, noch hat er einen allgemeinen Anspruch auf Kündigung aufgrund des Übergangs. Damit unterscheidet sich die Versicherungsbestandsübertragung grundlegend von der klassischen Rechtsfolge unter Privaten. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung klargestellt, dass eine solche Übertragung den Versicherungsvertrag nicht zulässt. Der Vertrag besteht fort – nur eben mit einem neuen Vertragspartner.

Allerdings sind Versicherungsnehmer gut beraten, die Informationsschreiben der Versicherungsgesellschaft aufmerksam zu lesen. Zusätzliche Leistungsänderungen oder Beitragsanpassungen sind im Rahmen der Übertragung nicht grundsätzlich ausgeschlossen, insbesondere wenn begleitende Bestimmungen im Übertragungsvertrag vereinbart wurden. Hier kann anwaltlicher Rat notwendig werden – „ Vertragstreue darf nicht in blinder Gefolgschaft enden “, so Dr. Thomas Schulte.

Organisationsrecht der VVaG – Mitgliedschaft bleibt erhalten

Ein besonderer Aspekt ergibt sich durch die gewählte Rechtsform: Beide beteiligten Versorgungskassen agieren als Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit. Charakteristisch für diese Strukturen ist die Mitgliedschaft durch den Versicherungsvertrag selbst. Bei einer Bestandsübertragung stellt sich immer die Frage: Verschwindet diese Mitgliedschaft im Zuge des Transfers?

Die juristische Antwort lautete: Nein. Die Mitgliedschaft geht auf das übernehmende Unternehmen über, soweit es sich ebenfalls um einen VVaG handelt. Durch § 22 VAG wird dieser Übergang ausdrücklich abgesichert – auch im Hinblick auf etwaige Rechte bei der Mitgliederversammlung, Stimmverhältnissen oder Gewinnausschüttungen. Für die betroffenen Versicherten bedeutet dies Rechtssicherheit im Wandel – ein hohes Gut in einer dynamischen Versicherungswirtschaft.

Zusammenführung aus betrieblicher Vergangenheit – ein Sonderfall

Ein Blick auf den konkreten Fall zeigt eine weitere Besonderheit: Beide Kassen stammen aus dem betrieblichen Umfeld ehemaliger Energieversorger. Die Versorgungskasse der ehemaligen Großkraftwerk Franken AG sowie die der ehemaligen Bayernwerk AG hatten bis dato getrennte Bestände verwaltet – vermutlich basierend auf der Betriebszugehörigkeit ehemaliger Mitarbeitergruppen. Durch die Zusammenführung entsteht eine gewisse homogenisierte Struktur, was auch versicherungstechnische Vorteile mit sich bringen kann.

Man kann hier sogar von einem Akt innerbetrieblicher Integration sprechen“ , so Dr. Schulte. Die betroffenen Versicherten dürften weitgehend aus dem gleichen wirtschaftlichen und sozialen Umfeld stammen – eine Konvergenz, die sich rechtlich günstiger darstellen lässt als bei heterogenen Kundenkreisen.

Fazit: Professionell geplante Übertragung mit rechtlicher Tiefe

Wer glaubte, eine Bestandsübertragung sei eine rein verwaltungstechnische Angelegenheit, irrt gewaltig. Es handelt sich juristisch um einen hochregulierten Vorgang, bei dem zahlreiche Gesetze – vom VAG über die DSGVO bis hin zu aufsichtsrechtlichen Verwaltungsakten – ineinandergreifen. Für Versicherungsunternehmen bedeutet dies: Eine sorgfältige rechtliche Begleitung ist unerlässlich. Für Versicherungsnehmer gilt hingegen: Ruhe bewahren, informieren, und bei Zweifeln rechtskundigen Rat einholen.

Die BaFin hat in dem besprochenen Fall mustergültig gearbeitet. Der Übergang erfolgte formgerecht, transparent und unter voller Beachtung des versicherungsrechtlichen Normenkontextes. Genau solche Rechtsklarheit braucht eine nachhaltige Versicherungswirtschaft.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11973 vom 6. Dezember 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich