Das Verhältnis zwischen Mandant und Rechtsanwalt basiert auf einem der wertvollsten Güter im Geschäftsleben: Vertrauen. Sie als Mandant vertrauen darauf, dass Ihr Anwalt mit Kompetenz, Weitblick und vor allem dem notwendigen Engagement für Ihre Interessen kämpft. Doch was geschieht, wenn dieses Vertrauen erschüttert wird? Wenn der Anwalt über Wochen nicht erreichbar ist, wichtige Fristen zu verstreichen drohen oder Sie das Gefühl haben, in Ihrer Sache passiert einfach nichts?
Viele Mandanten fühlen sich in einer solchen Situation hilflos. Sie scheuen den Konflikt oder fürchten, auf hohen Kosten sitzenzubleiben. Doch das müssen Sie nicht. Das deutsche Recht schützt Sie als Mandant vor anwaltlicher Untätigkeit und Fehlleistung. In diesem Artikel beleuchten wir umfassend Ihre Rechte – von der fristlosen Kündigung des Mandats über den möglichen Wegfall des anwaltlichen Gebührenanspruchs bis hin zur Haftung des Anwalts bei gravierenden Fehlern wie dem Verjährenlassen Ihrer Forderungen.
Die Grundlage: Der Anwaltsvertrag und die Pflichten des Anwalts
Wenn Sie einen Anwalt mandatieren, schließen Sie mit ihm einen sogenannten Geschäftsbesorgungsvertrag nach § 675 BGB. Aus diesem Vertrag erwachsen für den Anwalt nicht nur Rechte (z.B. auf Vergütung), sondern vor allem weitreichende Pflichten.
- Hauptpflichten: Die Kernaufgabe des Anwalts ist die sachgerechte und umfassende Beratung und Vertretung in der Ihnen übertragenen Rechtsangelegenheit. Er muss den sichersten Weg wählen, um das von Ihnen angestrebte Ziel zu erreichen und Sie vor vermeidbaren Nachteilen zu bewahren.
- Nebenpflichten: Fast noch wichtiger für das Vertrauensverhältnis sind die Nebenpflichten. Dazu gehören insbesondere:
- Die Pflicht zur zügigen Bearbeitung des Mandats.
- Die Pflicht zur umfassenden Information über den Sachstand, über Chancen und Risiken sowie über alle wesentlichen Schritte.
- Die Pflicht zur Warnung vor drohenden Gefahren, wie beispielsweise einer drohenden Verjährung.
Eine Verletzung dieser Pflichten kann weitreichende Konsequenzen haben – für den Anwalt.
Das Recht zur Kündigung bei anwaltlicher Untätigkeit
Eines der häufigsten Ärgernisse für Mandanten ist die Untätigkeit ihres Anwalts. Anrufe laufen ins Leere, E-Mails bleiben unbeantwortet, und über den Fortgang des Verfahrens herrscht dröhnendes Schweigen.
Wichtig zu wissen: Sie sind einem untätigen Anwalt nicht ausgeliefert.
- Das ordentliche Kündigungsrecht: Als Mandant haben Sie gemäß § 627 BGB jederzeit das Recht, den Anwaltsvertrag zu kündigen – auch ohne Angabe von Gründen. Dies ist Ihr grundlegendes Recht, die Vertretung zu beenden.
- Das außerordentliche Kündigungsrecht aus wichtigem Grund: Viel entscheidender bei Untätigkeit ist die Möglichkeit der Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB. Eine solche liegt vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer Ihnen unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Mandatsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann.
Eine beharrliche und nachhaltige Untätigkeit des Anwalts stellt zweifellos einen solchen wichtigen Grund dar. Wenn Ihr Anwalt Ihre Sache nicht oder nur schleppend bearbeitet und dadurch das für die Zusammenarbeit unerlässliche Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört, können Sie das Mandat fristlos kündigen.
Praxistipp: Setzen Sie Ihrem Anwalt schriftlich (am besten per E-Mail mit Lesebestätigung oder per Einschreiben) eine angemessene Frist (z.B. 10-14 Tage) zur Stellungnahme oder zur Vornahme einer bestimmten Handlung. Reagiert er auch dann nicht, haben Sie einen starken Beweis für die Zerrüttung des Vertrauensverhältnisses und können die Kündigung aus wichtigem Grund aussprechen.
Die Folge der Kündigung: Muss ich den untätigen Anwalt bezahlen?
Dies ist die entscheidende Frage für die meisten Mandanten. Die Antwort hängt von der Art der Kündigung ab.
- Bei ordentlicher Kündigung: Kündigen Sie „einfach so“, behält der Anwalt grundsätzlich seinen Vergütungsanspruch für die bis zum Zeitpunkt der Kündigung erbrachten Leistungen (§ 628 Abs. 1 S. 1 BGB).
- Bei Kündigung aus wichtigem Grund: Hier greift eine entscheidende Schutzvorschrift zu Ihren Gunsten. Gemäß § 628 Abs. 1 S. 2 BGB verliert der Anwalt seinen Vergütungsanspruch, wenn zwei Bedingungen erfüllt sind:
- Sie haben aus einem Grund gekündigt, den der Anwalt zu vertreten hat (z.B. seine Untätigkeit).
- Seine bisherigen Leistungen sind infolge der Kündigung für Sie ohne Interesse und damit unverwertbar.
Was bedeutet „ohne Interesse“ und „unverwertbar“?
Stellen Sie sich vor, Ihr Anwalt hat erste Recherchen angestellt, dann aber monatelang nichts mehr getan. Sie kündigen wegen dieser Untätigkeit und beauftragen einen neuen Anwalt. Dieser neue Anwalt kann mit den unvollständigen Vorarbeiten des alten Anwalts nichts anfangen und muss die gesamte Prüfung und Strategieentwicklung von vorn beginnen. In diesem Fall sind die Leistungen des ersten Anwalts für Sie objektiv wertlos geworden. Er hat seinen Gebührenanspruch verwirkt. Sie müssen ihn nicht bezahlen.
Der Anwalt kann sich nur dann auf eine Teilvergütung berufen, wenn seine bisherige Arbeit für den neuen Anwalt eine brauchbare und verwertbare Grundlage darstellt, was bei grober Untätigkeit selten der Fall ist.
Der „GAU“ der Anwaltshaftung: Das Verjähren lassen von Forderungen
Der schwerwiegendste und leider auch häufigste anwaltliche Fehler ist das Versäumen von Fristen, insbesondere der Verjährungsfrist. Die Überwachung und Einhaltung von Fristen gehören zu den absoluten Kardinalpflichten eines jeden Rechtsanwalts.
Was ist die Verjährung?
Die Verjährung ist eine gesetzliche Frist, nach deren Ablauf ein Schuldner die Leistung verweigern kann (§ 214 BGB). Ihre Forderung existiert zwar rechtlich noch, ist aber nicht mehr gerichtlich durchsetzbar. Für Sie als Mandant bedeutet das den Totalverlust Ihres Anspruchs.
Die Haftung des Anwalts
Lässt ein Anwalt eine Forderung seines Mandanten schuldhaft verjähren, begeht er einen klaren Beratungsfehler und eine grobe Pflichtverletzung. Daraus entsteht für Sie ein Schadensersatzanspruch gegen den Anwalt nach § 280 Abs. 1 BGB.
- Der Schaden: Der Ihnen entstandene Schaden ist in der Regel die Höhe der verjährten Forderung. Sie sind so zu stellen, als hätte der Anwalt seine Pflicht nicht verletzt und die Verjährung rechtzeitig gehemmt (z.B. durch Klageerhebung).
- Der Beweis: Sie müssen beweisen, dass der Anwalt den Fehler gemacht hat und Ihnen dadurch ein Schaden entstanden ist. Bei einer klaren Verjährung ist dies oft unproblematisch. Der Anwalt müsste seinerseits beweisen, dass die Forderung auch bei fristgerechtem Handeln nicht durchsetzbar gewesen wäre, was eine hohe Hürde darstellt.
- Die Anwaltshaftpflichtversicherung: Jeder Rechtsanwalt in Deutschland ist gesetzlich verpflichtet, eine Berufshaftpflichtversicherung zu unterhalten. Diese Versicherung tritt für Schäden ein, die der Anwalt seinen Mandanten durch fehlerhafte Berufsausübung zufügt. Dies gibt Ihnen die Sicherheit, dass Ihr berechtigter Schadensersatzanspruch auch tatsächlich realisiert werden kann.
Checkliste: Was tun bei anwaltlicher Untätigkeit oder Fehlleistung?
Wenn Sie vermuten, Opfer anwaltlichen Fehlverhaltens geworden zu sein, sollten Sie strukturiert vorgehen:
- Dokumentation: Sammeln Sie alle Beweise. Kommunizieren Sie mit dem Anwalt nur noch schriftlich (E-Mail, Brief). Notieren Sie Gedächtnisprotokolle von Telefonaten mit Datum, Uhrzeit und Inhalt.
- Fristsetzung: Setzen Sie dem Anwalt schriftlich eine letzte, angemessene Frist, um die versäumte Handlung nachzuholen oder Stellung zu beziehen.
- Kündigung aussprechen: Reagiert der Anwalt nicht, kündigen Sie das Mandat schriftlich und begründen Sie die Kündigung explizit mit der schuldhaften Pflichtverletzung (z.B. „fristlose Kündigung aus wichtigem Grund wegen andauernder Untätigkeit“).
- Herausgabe der Handakte verlangen: Sie haben einen Anspruch auf Herausgabe Ihrer vollständigen Handakte. Diese ist essenziell für den neuen Anwalt, um den Fall zu prüfen und fortzuführen.
- Neuen, spezialisierten Anwalt konsultieren: Zögern Sie nicht, einen auf Anwaltshaftungsrecht spezialisierten Kollegen zurate zu ziehen. Dieser kann den Sachverhalt objektiv prüfen, die Erfolgsaussichten eines Vorgehens gegen Ihren früheren Anwalt einschätzen und die notwendigen Schritte einleiten.
Fazit: Sie haben mehr Rechte, als Sie denken
Die Beziehung zum eigenen Anwalt sollte von Vertrauen und proaktivem Handeln geprägt sein. Ist dies nicht der Fall, sind Sie keinesfalls machtlos. Das Gesetz schützt Mandanten vor den Folgen anwaltlicher Untätigkeit und schwerwiegender Fehler. Die Möglichkeit zur fristlosen Kündigung, der potenzielle Wegfall des Vergütungsanspruchs und der Schadensersatzanspruch bei verjährten Forderungen sind Ihre scharfen Schwerter.
Handeln Sie entschlossen und informiert. Wenn das Vertrauen fundamental zerstört ist, ist ein sauberer Schnitt oft der beste Weg, um Ihren finanziellen und rechtlichen Interessen doch noch zum Erfolg zu verhelfen.