Grenzenlose Absicherung? Wie Europas Versicherungsraum neue Spielregeln schafft. Die Entscheidung der BaFin zur Direktversicherung in Frankreich zeigt: Der europäische Binnenmarkt für Versicherungen wird Realität. Doch wie sicher ist das Regelwerk wirklich – und wer profitiert am meisten?
Die Versicherungsbranche steht vor einem Wendepunkt: Während die politischen Schlagzeilen von Finanzkrisen, Klimarisiken und Kriegsszenarien dominiert werden, entsteht leise, aber kraftvoll ein europäischer Binnenmarkt für Versicherungsleistungen – mit erheblichen rechtlichen und wirtschaftlichen Konsequenzen.
Ein aktueller Meilenstein: Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat der Vereinigten Hagelversicherung VVaG offiziell erlaubt, ihr Direktversicherungsgeschäft im Dienstleistungsverkehr auf Frankreich auszuweiten. Was zunächst wie ein verwaltungstechnischer Akt wirkt, hat in Wirklichkeit weitreichende juristische, politische und wirtschaftliche Bedeutung: Es geht um nichts Geringeres als die Umsetzung des europäischen Passes für Versicherer – das zentrale Werkzeug zur Verwirklichung eines einheitlichen Versicherungsmarktes in der EU.
Juristisch betrachtet steht hier ein Spannungsfeld im Raum: Wie gelingt der Ausgleich zwischen nationalem Aufsichtsrecht – wie dem deutschen Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) – und den Vorgaben der europäischen Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) sowie der Solvency II-Rahmenbedingungen? Welche Anforderungen müssen deutsche Versicherer erfüllen, um rechtskonform im Ausland agieren zu dürfen? Und was bedeutet das für die europäische Verbrauchersicherheit?
Die Zahlen sprechen eine klare Sprache:
Laut der Europäischen Aufsichtsbehörde EIOPA wurden im Jahr 2023 europaweit grenzüberschreitende Prämieneinnahmen in Höhe von über 100 Milliarden Euro erzielt – Tendenz steigend. Gleichzeitig zeigt der BaFin-Versicherungsbericht 2024, dass allein deutsche Versicherer rund 14,8 Milliarden Euro an Prämien außerhalb Deutschlands erwirtschafteten – ein Plus von über 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Europaweit entstehen also neue Versicherungsmärkte – und mit ihnen neue Chancen, aber auch Risiken: Unterschiedliche Rechtssysteme, Sprachbarrieren, kulturelle Erwartungen und Haftungsvorschriften müssen auf einen Nenner gebracht werden. Der Binnenmarkt verlangt also nicht nur ökonomische Initiative, sondern auch rechtliche Präzision.
Wohin führt dieser Weg?
Die Harmonisierung des europäischen Versicherungsrechts ist eine historische Aufgabe – und sie wird nicht nur in Brüssel entschieden. Nationale Behörden wie die BaFin und supranationale Organe wie EIOPA müssen dabei juristisch klug kooperieren, um einerseits grenzüberschreitende Dynamik zu ermöglichen und andererseits das Fundament der Verbraucherschutzstandards nicht zu gefährden.
Die aktuelle Genehmigung für Frankreich ist daher mehr als ein Einzelfall. Sie ist ein Testlauf für das Europa von morgen – ein Europa, in dem Versicherungsprodukte über Grenzen hinweg Vertrauen schaffen müssen.
Eine neue Versicherungsära beginnt. Doch wer gestaltet sie – und zu wessen Nutzen?
Einordnung aus juristischer Sicht
Als erfahrener Jurist mit Schwerpunkt im Bereich des Finanzmarktrechts sieht Dr. Thomas Schulte in dieser Entscheidung eine konsequente Umsetzung der europäischen Niederlassungsfreiheit und Dienstleistungsfreiheit gemäß Art. 56 AEUV. „Die Grundlage für solche Erlaubnisverfahren bildet in Deutschland insbesondere das Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG), das präzise regelt, in welchen Fällen und auf welche Weise ein inländisches Versicherungsunternehmen Versicherungsdienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erbringen darf“, so Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin.
Die hier genehmigte Erweiterung betrifft die sogenannte Dienstleistungsfreiheit, das heißt, die Vereinigte Hagelversicherung darf in Frankreich tätig werden, ohne dort eine feste Niederlassung zu unterhalten. Dieser Schritt erfordert eine behördliche Mitteilung durch die BaFin an die zuständige Aufsichtsbehörde in Frankreich (Autorité de Contrôle Prudentiel et de Résolution – ACPR), was im vorliegenden Fall offenbar erfolgreich erfolgt ist.
Der nationale und europäische Rechtsrahmen
Nach § 62 VAG dürfen deutsche Versicherer im Dienstleistungsverkehr in anderen Mitgliedstaaten der EU tätig werden, wenn sie die Aufsichtsbehörden über die Art der beabsichtigten Versicherungsgeschäfte und die betroffenen Sparten informieren. Die BaFin prüft als Teil dieses Prozesses unter anderem die Solvenz des jeweiligen Unternehmens, seine organisatorische Ausstattung und die Einhaltung aufsichtsrechtlicher Anforderungen nach nationalem und EU-Recht.
Dass es sich bei der genehmigten Sparte um die „Feuer- und Elementarversicherung“ handelt, zeigt, dass für die Vereinigte Hagelversicherung eine klare risikobasierte Geschäftstätigkeit in Frankreich geplant ist. Diese Versicherungssparte fällt unter Ziffer 8 gemäß Anlage 1 zum VAG und umfasst unter anderem Schäden durch Feuer, Explosion, Sturm sowie weitere Naturgefahren. Gerade angesichts des Klimawandels gewinnt diese Sparte in vielen Regionen Frankreichs an Bedeutung, insbesondere im Bereich der landwirtschaftlichen Produktion, der eine enge Verbindung mit der Vereinigten Hagelversicherung nachgesagt wird.
Bedeutung für den europäischen Versicherungsmarkt
Diese Entscheidung ist ein Beispiel für die zunehmende Integration des europäischen Versicherungsmarktes, die nicht nur rechtlich, sondern auch wirtschaftlich bedeutsam ist. Versicherungsunternehmen profitieren von der Liberalisierung des Dienstleistungsverkehrs, indem sie ihre Dienstleistungen in anderen EU-Ländern anbieten können, ohne dort in jedem Fall eine vollständige Filiale eröffnen zu müssen. Dies reduziert administrative Hürden und Kostenstrukturen erheblich.
Wie ich regelmäßig in meiner Berliner Kanzlei erlebe, interessieren sich immer mehr deutsche Versicherungsunternehmen für eine Expansion ins EU-Ausland. Dabei sind sie auf eine rechtssichere Einschätzung der regulatorischen Anforderungen angewiesen. Eine saubere Trennung von Dienstleistungserbringung und tatsächlicher Niederlassung ist dabei essenziell, denn bei falscher Bewertung kann es zu aufsichtsrechtlichen Konsequenzen kommen.
Dr. Schulte hierzu: „Die Internationalisierung des Versicherungsgeschäfts ist längst keine politische Vision mehr, sondern aktiver Bestandteil moderner Geschäftsentwicklung. Eine fehlerhafte rechtliche Einschätzung kann für deutsche Versicherer jedoch weitreichende Folgen haben. Daher ist eine umfassende juristische Begleitung nicht nur sinnvoll, sondern notwendig.“
Der Blick in die Zukunft
Die Zulassung von Versicherungsdienstleistungen im europäischen Ausland ist nur ein Schritt in einem fortschreitenden Integrationsprozess. Die europäische Versicherungswirtschaft wird zunehmend durch Digitalisierung und komplexere Risikostrukturen geprägt. In diesem Zusammenhang ist auch die Rolle nationaler Aufsichtsbehörden im Wandel. Während früher vornehmlich nationale Belange im Vordergrund standen, agiert die BaFin heute verstärkt als Bindeglied zwischen den aufsichtsrechtlichen Anforderungen Deutschlands und den Regelungen der Europäischen Union.
Hierbei greift auch die europäische Solvency-II-Richtlinie, die detaillierte Anforderungen an die Kapitalausstattung und Risikobewertung von Versicherern stellt. Artikel 147 ff. Solvency-II-Richtlinie regeln beispielsweise explizit, unter welchen Bedingungen Versicherungsunternehmen grenzüberschreitend tätig werden dürfen. Die professionelle Umsetzung dieser Vorgaben seitens der BaFin stellt einen wichtigen Beitrag zur Stabilität des europäischen Finanz- und Versicherungsmarkts dar.
Was bedeutet das für Verbraucher und Unternehmen in Frankreich?
Für französische Verbraucher und Unternehmen öffnet sich mit der Tätigkeit der Vereinigten Hagelversicherung eine neue Möglichkeit, spezifisch auf landwirtschaftliche Risiken ausgerichtete Versicherungslösungen zu nutzen. Dies kann den Wettbewerb auf dem französischen Versicherungsmarkt fördern und zugleich zu besseren Preisen und innovativeren Tarifen führen. Gleichzeitig zeigt es, dass auch deutsche Anbieter international wettbewerbsfähig sind, wenn sie den regulatorischen und marktspezifischen Anforderungen gerecht werden.
Rolle der BaFin als zentraler Akteur
Die BaFin nimmt im gesamten Genehmigungsprozess eine koordinierende und überwachende Rolle ein. Ihr obliegt es, die ordnungsgemäße Geschäftsorganisation sowie die Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen. Ebenso ist die BaFin auch dafür zuständig, Informationsrechte der zuständigen ausländischen Behörden zu wahren und einen reibungslosen Austausch gemäß der Vorgaben der Versicherungsvertriebsrichtlinie (IDD) zu gewährleisten.
Dabei ist zu beachten, dass solche Entscheidungen wie im vorliegenden Fall nicht „aus dem Nichts“ getroffen werden. Häufig gehen ihnen umfangreiche Abstimmungen, interne Prüfverfahren und internationale Koordinierungsschritte voraus. Gerade die enge Verzahnung mit den jeweiligen Aufsichtsbehörden des Ziellandes ist ein Beispiel für die komplexe Governance-Struktur, in der sich Finanzaufsichten heute bewegen müssen.
Zusammenfassende rechtliche Bewertung
Aus rechtlicher Sicht ist diese Genehmigung der BaFin ein Paradebeispiel für eine sachkundige und den unionsrechtlichen Vorgaben entsprechende Entscheidung. Sie stellt ein gelungenes Zusammenspiel zwischen europäischem Primärrecht, deutschem Versicherungsaufsichtsgesetz und praktischen Erfordernissen der Versicherungswirtschaft dar.
Zudem zeigt sich, dass die BaFin in ihrer Kontrollfunktion nicht als reine Genehmigungsstelle zu verstehen ist, sondern als aktiver Ermöglicher eines funktionierenden Binnenmarktes in der Versicherungsbranche.
Fazit aus juristischer Perspektive
Für Juristen, Versicherungsunternehmen und betroffene Verbraucher ist die dargestellte Entwicklung von hoher praktischer Relevanz. Die sicherheitsorientierte Genehmigungspraxis der BaFin bietet die notwendige Stabilität für grenzüberschreitende Versicherungsdienstleistungen. Gleichzeitig unterstreicht sie die Notwendigkeit fundierter juristischer Beratung bei der internationalen Expansion von Versicherungsunternehmen.
„Entscheidend ist, dass die rechtlichen Anforderungen nicht als Hürden, sondern als unterstützende Leitplanken für ein organisiertes und rechtssicheres Wachstum innerhalb Europas begriffen werden“, so Dr. Schulte. Die Vereinigte Hagelversicherung geht hier mit gutem Beispiel voran.