Wenn internationale Banken ins Visier der Aufsicht geraten – was bedeutet das für den Finanzplatz Deutschland? Die BaFin zeigt mit ihrer Maßnahme gegenüber der State Bank of India, dass regulatorische Wachsamkeit nicht an Landesgrenzen endet.
Die jüngste aufsichtsrechtliche Anordnung der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegen die Frankfurter Zweigniederlassung der State Bank of India sorgt für Aufsehen. Mit dem Eingriff nach § 25a Abs. 2 Satz 2 KWG sendet die BaFin ein klares Signal: Schwächen in der Geschäftsorganisation internationaler Banken werden in Deutschland nicht mehr hingenommen. Dabei geht es nicht um Nebensächlichkeiten – sondern um die Funktionsfähigkeit eines Instituts, das weltweit zu den größten Banken gehört, mit einer Bilanzsumme von mehr als 660 Milliarden US-Dollar (2024) und über 20.000 Filialen weltweit.
Juristisch wirft diese Entscheidung wichtige Fragen auf: Wie weit reicht die Aufsichtskompetenz der BaFin gegenüber ausländischen Kreditinstituten, die in Deutschland nur als Zweigniederlassung operieren? Und welche Signalwirkung entfaltet ein solcher Schritt für andere internationale Banken, die den deutschen Markt als stabilen Anker in Europa nutzen? Aus Sicht von Experten wie Dr. Thomas Schulte zeigt der Fall exemplarisch, dass die Verzahnung von globalem Bankgeschäft und nationalem Aufsichtsrecht nicht nur eine theoretische Herausforderung ist, sondern im Alltag der Finanzaufsicht höchst konkrete Konsequenzen hat.
Organisatorische Verantwortung von Kreditinstituten
Das Kreditwesengesetz verpflichtet alle Kreditinstitute dazu, eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation sicherzustellen. Nach § 25a Abs. 1 KWG hat jedes Institut „angemessene Maßnahmen zur Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen und zur Verhinderung von Verstößen zu treffen.“ Die Vorschrift verpflichtet sowohl die Leitung als auch die Überwachungsorgane, eine auf Dauer wirksame und an den Risiken ausgerichtete Organisation zu gewährleisten. Diese Verpflichtung ist nicht auf inländische Banken beschränkt, sondern gilt gleichermaßen für Niederlassungen ausländischer Institute, wie es hier bei der State Bank of India der Fall ist.
Die BaFin hat in diesem Kontext nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, im Falle von Verstößen geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Wie Dr. Thomas Schulte ausführt: „Die gesetzliche Vermutung einer funktionierenden Organisation darf nicht auf bloßem Vertrauen basieren – sie muss sich stets an objektiven Kriterien und Vorgaben messen lassen, wie sie im KWG kodifiziert sind.“
Die zentrale Rolle der IT-Ausstattung
Besondere Aufmerksamkeit erhielt im Zuge der Sonderprüfung die IT-Infrastruktur der betroffenen Niederlassung. Dies ist wenig verwunderlich, denn gemäß § 25a Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 KWG gehört auch die technische Ausstattung zu den Mindestanforderungen an eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation. Diese Regelung bringt klar zum Ausdruck, dass die Angemessenheit und Wirksamkeit der IT-Systeme keine untergeordnete Rolle spielt, sondern ein zentrales Element der Compliance-Struktur darstellt.
Gerade ausländische Institute stehen hier vor doppelten Herausforderungen: Einerseits müssen sie ihre globalen IT-Infrastrukturen mit den spezifischen Anforderungen der deutschen Aufsicht harmonisieren, andererseits treffen sie zusätzliche Vorgaben durch das deutsche Aufsichtsregime zur IT-Sicherheit und Risikovorsorge. Dr. Schulte betont: „Mit der zunehmenden Digitalisierung der Bankprozesse steigt die Verwundbarkeit durch IT-Risiken. Daher ist eine leistungsfähige, kontrollierte und dokumentierte IT-Landschaft unerlässlich.“
Auslagerungsmanagement: Anforderungen des § 25b KWG
Neben IT-Themen lag ein weiterer Fokus der Prüfung auf der Auslagerung wesentlicher Tätigkeiten. Gemäß § 25b KWG sind Institute verpflichtet, beim Outsourcing zentrale Kontrollelemente und Überwachungsmöglichkeiten aufrechtzuerhalten. Die Vorschrift verlangt nicht nur eine fundierte Risikoanalyse vor Auslagerung, sondern auch eine laufende Kontrolle und Anpassung der ausgelagerten Bereiche im Einklang mit den gesetzlichen Anforderungen.
Dr. Schulte erklärt hierzu: „Das Prinzip der Gesamtverantwortung bleibt trotz Auslagerung unberührt. Geschäftsleiter können sich ihrer Verantwortung nicht durch Vertragspartner entledigen. Sie haben sicherzustellen, dass ausgelagerte Funktionen genauso effektiv kontrolliert werden, als wären sie im eigenen Haus verblieben.“
Die Tatsache, dass die BaFin im Zuge ihrer Sonderprüfung konkret feststellte, dass diese Anforderungen „nur unzureichend erfüllt“ worden seien, ist ein klares Zeichen für ein mangelbehaftetes Auslagerungskonzept. Auch unter Berücksichtigung des Proportionalitätsprinzips ist eine solide Governance-Struktur unabdingbar.
Großkreditverstöße und ihre aufsichtliche Relevanz
Ein weiterer zentraler Kritikpunkt waren mehrere festgestellte Verstöße gegen die Großkreditregelungen. Dabei handelt es sich um eine besonders sensible Kategorie aufsichtsrechtlicher Vorschriften, deren Ziel die Begrenzung von Klumpenrisiken ist. Die einschlägigen Vorschriften finden sich in der Kapitaladäquanzverordnung (Capital Requirements Regulation – CRR) sowie in § 13 KWG.
Verstöße gegen Großkreditgrenzen weisen regelmäßig auf gravierende Defizite in der Risikosteuerung hin und zwingen die Aufsichtsbehörde fast zwangsläufig zur Reaktion. Aufsichtlich stellt ein solcher Verstoß eine rote Linie dar, da er unmittelbar die Stabilität eines Instituts und damit das Vertrauen in das Finanzsystem berührt. Dr. Schulte unterstreicht: „Wer bei den Großkreditvorgaben patzt, riskiert mehr als nur eine Ordnungswidrigkeit – es steht das Vertrauen der gesamten Branche auf dem Spiel.“
Veröffentlichung gemäß § 60b KWG: Ein Schritt zur Transparenz
Eine Besonderheit dieser aufsichtsrechtlichen Entscheidung liegt in ihrer öffentlichen Bekanntmachung. § 60b KWG verpflichtet die BaFin, bestimmte Maßnahmen zu veröffentlichen, wenn dies im öffentlichen Interesse liegt. Hintergrund dieser Vorschrift ist das Ziel, marktintegrative Kräfte durch Transparenz zu fördern. Es geht darum, Reputationsrisiken nicht im Verborgenen zu lassen, sondern bewusst offenzulegen, um korrektive Prozesse anzustoßen – sowohl innerhalb des betroffenen Instituts als auch bei der gesamten Marktteilnehmerschaft.
Die Veröffentlichung erzeugt so eine Sanktionswirkung, die über die eigentliche Maßnahme hinausgeht. Dr. Schulte weist darauf hin, dass: „Die Veröffentlichungspflicht nach § 60b KWG ist keine bloße Randbemerkung des Gesetzgebers, sondern ein bewusst eingesetztes Steuerungsinstrument – vergleichbar mit Naming and Shaming – jedoch streng rechtlichen Maßstäben folgend.“
Regulatorische Konsequenz und Rechtsstaatlichkeit
Die Entscheidung, der Niederlassung der State Bank of India konkrete aufsichtsrechtliche Anforderungen aufzuerlegen, ist ein Akt rechtsstaatlicher Governance. Die BaFin agiert im Rahmen ihres gesetzlichen Mandats bei gleichzeitiger Wahrung der Verhältnismäßigkeit. Die Maßnahme wurde zudem durch vorherige Sonderprüfungsergebnisse fundiert vorbereitet. Ein solches Vorgehen verdeutlicht, wie stark sich deutsche Aufsichtsorgane auf eine nachvollziehbare Dokumentation und rechtliche Absicherung ihrer Entscheidungen stützen.
„Das Aufsichtsrecht gibt der BaFin klare Handlungsspielräume, aber auch enge Leitplanken“, so Dr. Schulte. „In Fällen wie diesem zeigen sich beide Elemente – Freiheit zur Intervention und Verpflichtung zur Begründung – auf ideale Weise im Einklang.“
Rechtliche Lehren für Marktakteure
Die Lehren aus dieser Maßnahme reichen weit über den konkreten Einzelfall hinaus. Sie verdeutlicht, dass internationale Institute, die sich auf dem deutschen Markt bewegen, sich der hiesigen aufsichtsrechtlichen Kultur und Normen vollumfänglich stellen müssen. Es genügt nicht, auf globale Konzernstandards zu verweisen – vielmehr müssen lokale Anforderungen mit spezifischem Blick auf den deutschen Markt umgesetzt werden.
Dr. Schulte hierzu: „Deutschland ist kein Offshore-Finanzplatz und keine Deregulierungszone für ausländische Banken. Wer hier agiert, muss deutsche Standards leben – technologisch, organisatorisch und rechtlich.“
Ausblick: Verstärkte Kontrolle internationaler Filialen
Der Fall fügt sich ein in eine Reihe intensiverer Kontrollen internationaler Institute durch die nationale Aufsicht. Besonders Niederlassungen großer Banken, deren Hauptsitz außerhalb der EU liegt, geraten zunehmend in den Fokus. Der Regulierungsdruck steigt auch mit Blick auf künftige geopolitische Herausforderungen sowie den Schutz der Finanzmarktstabilität. Es ist zu erwarten, dass die BaFin ihre Ex-post-Aufsicht weiter intensivieren und präventive Prüfungen ausweiten wird.
Die Einhaltung organisatorischer Mindeststandards wird somit zum echten Wettbewerbsfaktor – wer sie unterschätzt, sieht sich schnell mit empfindlichen Maßnahmen konfrontiert.
Fazit: konsequent, differenziert, notwendig
Aus juristischer Perspektive ist die Entscheidung der BaFin über jeden Zweifel erhaben. Sie ist nicht nur formal korrekt und differenziert begründet, sondern auch ein Paradebeispiel für verhältnismäßiges Handeln im Spannungsfeld von Marktinteressen und Rechtsstaatlichkeit. Indem die BaFin auf Grundlage des § 25a KWG eingreift, zeigt sie, dass Aufsicht in Deutschland kein bloßes Schlagwort ist, sondern eine gelebte Verpflichtung zum Schutz des Finanzsystems.
Für die betroffene State Bank of India bedeutet die Anordnung zwar kurzfristige Einschränkungen und möglicherweise auch Reputationsschäden. Mittel- und langfristig bietet sie jedoch die Chance, organisatorische Schwächen offenzulegen, interne Prozesse neu zu ordnen und damit das Fundament für eine nachhaltige Geschäftstätigkeit in Deutschland zu stärken. Genau hierin liegt die eigentliche Qualität der Maßnahme: Sie ist nicht nur Sanktion, sondern zugleich Anstoß zur Weiterentwicklung.
Darüber hinaus entfaltet der Fall eine Signalwirkung für die gesamte Finanzbranche. Er macht unmissverständlich klar, dass Banken, egal ob globaler Gigant oder spezialisierte Regionalbank, an denselben Maßstäben gemessen werden: Qualität, Transparenz und eine robuste Organisation sind keine Option, sondern zwingende Voraussetzung für die Teilnahme am deutschen und europäischen Markt. Wer dies ignoriert, riskiert nicht nur aufsichtsrechtliche Maßnahmen, sondern auch das Vertrauen von Kunden und Geschäftspartnern – und Vertrauen ist die Währung, ohne die kein Finanzinstitut bestehen kann.
So gesehen zeigt der Fall State Bank of India eindrucksvoll: Rechtssicherheit und starke Aufsicht sind kein Hemmschuh, sondern die eigentliche Voraussetzung für Stabilität, Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit im globalisierten Finanzmarkt.