Berlin/Naturschutzgebiet: Holger Meier lässt seinen Hund frei laufen. Der Terrier Fuxy bellt ein Pferd samt Reiter an. Vor Ort besteht allerdings Leinenpflicht. Der Reiter fällt vom Pferd. Nun möchte der Reiter Schadenersatz und Schmerzensgeld. Die Rechtslage ist vollkommen eindeutig. Die Richterin war bei der Tragödie nicht vor Ort und muss jetzt anhand der Akten entscheiden. Der Holger Meier leugnet, überhaupt vor Ort gewesen zu sein. “Mein Hund beißt niemanden!”
Neben dem materiellen Recht ergeben sich somit im Zivilprozess besondere Herausforderung:
Die Beweisaufnahme und die Beweiswürdigung sind zentrale Elemente des Zivilprozesses. Sie entscheiden maßgeblich über den Ausgang eines Rechtsstreits. Es gibt kein absolutes Wissen, deshalb muss das Gericht vernünftig überzeugt sein. Hier gilt § 286 Zivilprozessordnung (ZPO). Der Gesetzgeber traut dem Richter zu, nach freier Überzeugung eigenständig zu urteilen. Also hat das Gericht eine hohe Verantwortung. Wie das Gericht zu seiner Überzeugung gelangt, ist gesetzlich geregelt. Folter zur Wahrheitsfindung, Voodoo oder Flaschendrehen sind verboten.
Wer muss etwas beweisen?
In dem Ausgangsfall muss das Opfer der Hundeattacke beweisen, dass der Hund Fuxy nicht angeleint das Pferd attackiert hat. Auch der Sturz und die Verletzungen als Folge des üblen Benehmens des Hundes müssen bewiesen werden. Merke: Wer was will, muss die Tatsachen beweisen. Hier muss das Gericht prüfen, ob es auf die Aussagen der Parteien ankommt oder ob weitere Beweise (z.B. Zeugen) erforderlich sind.
- Welche Tatsachen sind beweiserheblich?
- Welche Tatsachen sind beweisbedürftig?
- Wer ist für bestimmte Tatsachenbehauptungen beweispflichtig?
- Ist der Beweis bereits erbracht?
- Ist Beweis angetreten worden?
Die allgemeinen Regeln zum Beweis sind in den §§ 355-370 ZPO festgelegt.
1a) Beweiserheblichkeit
Es darf nur Beweis über Tatsachenbehauptungen erhoben werden, die für die Entscheidung des Rechtsstreits erheblich sind.
Beispiel: Relevanz der Beweiserhebung
In einem Streit um den Hundeunfall ist es unerheblich, ob der Hund ein oder zwei Jahre alt ist, wenn dies keinen Einfluss auf das Verhalten des Hundes hat.
1b) Beweisbedürftigkeit
Beweisbedürftig sind Tatsachenbehauptungen in der Regel dann, wenn sie bestritten werden. “Fuxy war das nicht!” Demzufolge fehlt es an einer Beweisbedürftigkeit, wenn:
Der Richter eine Tatsache als unbestritten bewertet (§ 138 Abs. 3 ZPO). Z.B. der Hundebesitzer sich öffentlich entschuldigt hat, mit einem Facebook-Post oder der Hundebesitzer auf das Vorbringen des Klägers hin nichts bestreitet. Es handelt sich um offenkundige Tatsachen (§ 291 ZPO), z.B. öffentlich zugängliche Informationen.
1c) Beweispflicht
Die Beweispflicht klärt, welche Partei für die Beweisführung verantwortlich ist. Sie ist von besonderer Bedeutung, da bei fehlendem Beweisantritt oder einer unzureichenden Beweisaufnahme eine Entscheidung zulasten der beweispflichtigen Partei ergeht. Hier ist der Pferdehalter beweispflichtig für den Unfall.
2. Beweismittel
Die ZPO regelt die zulässigen Beweismittel:
- Zeugenbeweis (§§ 373 ff. ZPO): Der häufigste Beweis im Zivilprozess.
- Beweis durch Sachverständige (§§ 402 ff. ZPO): Gutachten von Experten.
- Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445 ff. ZPO): Vernehmung der Prozessparteien.
- Beweis durch Augenschein (§§ 371 ff. ZPO): gerichtliche Inaugenscheinnahme.
- Beweis durch Urkunden (§§ 415 ff. ZPO): schriftliche Dokumente.
3. Zeugenbeweis (§§ 373-401 ZPO)
Der Zeugenbeweis ist in der gerichtlichen Praxis der häufigste, wenn auch oft unzuverlässigste Beweis. Zeugen können nicht Parteien selbst sein, sondern müssen formell unbeteiligte Dritte sein. Das können im Beispielsfall Passanten sein oder andere Reiter.
Zeugen sind verpflichtet, zu erscheinen und auszusagen. Diese Pflicht kann zwangsweise durchgesetzt werden. Gewissen Personen steht jedoch ein Zeugnisverweigerungsrecht zu (§§ 383 ff. ZPO).
Zeugnisverweigerungsrecht
Eine Ehefrau muss nicht gegen ihren Mann aussagen, wenn sie dadurch sich oder ihren Ehepartner belasten würde (§ 383 ZPO). Zeugen werden einzeln vernommen und geben zunächst einen spontanen Zeugenbericht ab, um anschließend durch das Gericht und die Anwälte befragt zu werden.
4. Beweis durch Sachverständige (§§ 402-414 ZPO)
Sachverständige spielen eine wichtige Rolle, wenn es um technische oder spezialisierte Fragen geht, die juristische Laien nicht beurteilen können. In dem Beispielsfall könnte z.B. eine Bisswunde einem Tier als Verursacher zugeordnet werden.
Die Sachverständigen werden vom Gericht bestellt und erstatten in der Regel schriftliche Gutachten. Parteien können jedoch auch Privatgutachten vorlegen, die dann als Parteivortrag gewertet werden.
5. Beweis durch Augenschein
Der Augenscheinbeweis bedeutet, dass das Gericht selbst eine Beweisaufnahme durchführt, indem es einen Gegenstand oder eine Örtlichkeit in Augenschein nimmt. Hier würde der Hund in der Verhandlung mitgebracht und angesehen.
6. Beweis durch Urkunden
Urkunden sind schriftliche Dokumente, die als Beweismittel dienen. Originalurkunden sind vorzulegen, oft reichen jedoch auch Kopien. Ein Beispiel wäre z.B. eine schriftliche Zeugenaussage eines Zeugen, der inzwischen nicht mehr erreichbar ist, weil er mit Elon Musk in einer Fähre durchs Weltall fliegt.
7. Beweis durch Parteivernehmung (§§ 445-455 ZPO)
Die Parteivernehmung ist ein subsidiäres Beweismittel, das nur eingesetzt wird, wenn andere Beweismittel nicht ausreichen.
Beispiel: Beweislast im Vertragsrecht
Der Kläger muss beweisen, dass ein Vertrag geschlossen wurde. Der Beklagte muss beweisen, dass der Vertrag nichtig ist, z.B. wegen Sittenwidrigkeit.
8. Beweiswürdigung: Feststellung der Wahrheit
Das Gericht bewertet die vorgelegten Beweise nach freier Überzeugung (§ 286 ZPO) und entscheidet, ob eine Tatsache als bewiesen gilt.
Einige Besonderheiten sollten noch erwähnt werden:
1. Anscheinsbeweis, Prima-facie-Beweis
Der beweisbelasteten Partei hilft jedoch unter bestimmten Voraussetzungen der sogenannte Anscheinsbeweis (Prima-facie-Beweis). Von einem Prima-facie-Beweis spricht man dann, wenn ein typischer Geschehensablauf vorliegt. Eine Lücke in der Sachverhaltsaufklärung kann dann wegen der Stärke des anzuwendenden Erfahrungsgrundsatzes durch den sogenannten Anscheinsbeweis gefüllt werden.
Der Richter schließt von feststehenden tatsächlichen Ereignissen auf andere Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung regelmäßig damit verbunden sind.
Der sogenannte Anscheinsbeweis spielt bei der Feststellung des Verschuldens (insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Fahrlässigkeit) eine große Rolle, soweit nicht bereits nach § 280 BGB die Beweislast umgekehrt ist (Auffahrunfall, Kollision eines Fahrzeuges mit einem Baum, Zusammenbrechen einer Brücke kurz nach Erstellung, Fremdkörper in einer Operationswunde). Wurde jemand in jüngster Vergangenheit operiert, und finden sich nachher in der Bauchhöhle vergessene ärztliche Werkzeuge, ist darauf zuschließen, dass der Arzt eine Pflichtverletzung begangen hat.
Der jeweils feststehende Sachverhalt reicht aufgrund der Lebenserfahrung zu dem rechtlichen Werturteil aus, dass in diesen Fällen typischerweise Fahrlässigkeit anzunehmen ist.
Ob der Anscheinsbeweis auch für die Kausalität gelten kann, ist strittig (vgl. hierzu die Entscheidung BGH NJW 1954, 1119, BGHZ 11, 227). Gemäß dem Bundesgerichtshof kann der Anscheinsbeweis auch im Hinblick auf die haftungsbegründende Kausalität angewendet werden.
Wichtig ist jedoch, dass es einen Anscheinsbeweis dort nicht gibt, wo individuelle Entscheidungsfreiheit maßgeblich ist und individuell geprägte Verhaltensweisen zu beurteilen sind. Bei individuellen Vorgängen scheidet die Anwendung von Erfahrungsgrundsätzen aus. Deshalb kann bei Vertragsauslegung auch nicht gesagt werden, dass typischerweise Verträge in einer bestimmten Art abgeschlossen werden.
Der Anscheinsbeweis stellt keine Umkehrung der Beweislast dar, sondern zunächst nur eine Beweiserleichterung. Diese Beweiserleichterung entfällt, wenn der Gegner diesen Anschein erschüttern kann. Dies ist stets dann der Fall, wenn der Gegner Tatsachen behauptet und beweist, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufes ergibt. Dann trägt die beweispflichtige Partei wie üblich die volle Beweislast.
Im Einzelnen ist bestritten, ob es sich bei dem Anscheinsbeweis um eine Beweislastregel, eine Regelung des materiellen Rechts oder ein Beweismittel handelt. Jedenfalls ist der Anscheinsbeweis von dem sogenannten Indizienbeweis zu unterscheiden. Beim Indizienbeweis werden aufgrund von einzelnen Tatsachen Rückschlüsse auf die Haupttatsache gezogen. Bei dem Prima-facie-Beweis handelt es sich um generalisierbare Erfahrungssätze, wonach bestimmte Wirkungen auf typische Geschehensabläufe zurückzuführen sind oder bestimmte typische Folgen nach sich ziehen.
2. Beweisvereitelung
Wenn die Beweisführung durch die andere Partei unmöglich gemacht wird, spricht man von Beweisvereitelung. In Bezug auf die Vereitelung reicht Fahrlässigkeit aus. Ein Beispiel hierfür ist der Bauunternehmer, der einen Mangel behebt und das mangelhafte Teil entsorgt. Ebenso sind Fälle denkbar, in denen eine Urkunde vernichtet wird, die von der anderen Partei als Beweismittel genutzt werden sollte.
Der Bundesgerichtshof billigt in solchen Fällen eine Beweiserleichterung zu. In besonders schweren Fällen kann sogar die Beweislast umgekehrt werden. Weitere Regelungen hierzu finden sich in den Paragrafen 371 Abs. 3, 427, 441 Abs. 3 und 444 ZPO. Ein richterliches Ermessen kann eine Beweisvereitelung anordnen.
3. Gesetzliche Vermutungen
Im Hinblick auf bestimmte Tatsachen oder Rechte stellt das Gesetz Vermutungen an. In diesen Fällen muss kein Beweis erbracht werden, § 292 ZPO.