Zwangsvollstreckung in Liechtenstein - Dr Schulte und Dr. Riedi

Zwangsvollstreckung in Liechtenstein: Grenzen und Herausforderungen bei der Durchsetzung deutscher Gerichtsbeschlüsse

Von Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin, und Dr. Peter Riedi, Unternehmer und Finanzexperte, Fürstentum Liechtenstein/Schweiz

Die Durchsetzung gerichtlicher Entscheidungen und damit auch die Zwangsvollstreckung haben in Europa zentrale Bedeutung für Gläubiger und Schuldner gleichermaßen. Doch während innerhalb der Europäischen Union klare Richtlinien und Abkommen die Vollstreckung regeln, stellt sich die Lage für Liechtenstein – einen souveränen Kleinstaat außerhalb der EU – anders dar. Diese Besonderheiten und Herausforderungen dieser Konstellation sollen hier näher beleuchtet werden.

Keine Anerkennung deutscher Gerichtsbeschlüsse in Liechtenstein – warum?

Grundsätzlich gilt: Ein deutscher Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, selbst wenn er ordnungsgemäß zugestellt wurde, besitzt in Liechtenstein keine Rechtskraft. Das bedeutet, dass deutsche Gläubiger ihre Rechte in Liechtenstein nicht einfach auf Basis eines deutschen Titels durchsetzen können. Dies liegt daran, dass zwischen Deutschland und Liechtenstein kein Staatsvertrag zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen besteht. Die liechtensteinische Exekutionsordnung (EO) verlangt eine sogenannte Gegenrechtserklärung, um die Anerkennung ausländischer Entscheidungen zu ermöglichen, was im Verhältnis zu Deutschland derzeit nicht gegeben ist. Im Gegensatz dazu existieren solche Abkommen zwischen Liechtenstein und seinen Nachbarländern Österreich und der Schweiz.

Dies führt in der Praxis dazu, dass deutsche Gerichtsbeschlüsse in Liechtenstein schlichtweg „nicht gültig“ sind – eine Information, die in vielen Fällen weder Gläubiger noch ihre Anwälte in Deutschland ausreichend berücksichtigen. Eine ähnliche Situation kann man sich vorstellen, wenn ein französisches Gericht einen Pfändungsbeschluss in Deutschland ohne die EU-Verträge erwirken wollte: Ohne vertragliche Grundlage zur gegenseitigen Anerkennung bliebe der Beschluss wirkungslos.

Was bedeutet das konkret für Gläubiger?

Für deutsche Gläubiger bedeutet dies, dass sie bei der Vollstreckung eines Beschlusses in Liechtenstein einen alternativen Weg beschreiten müssen. Wenn ein Gläubiger in Liechtenstein aktiv werden möchte, muss er zunächst in Liechtenstein selbst einen rechtlichen Titel erwirken. Hierfür ist es notwendig, eine sogenannte „Rechtsöffnung“ zu beantragen, die im Grunde eine gesonderte gerichtliche Bestätigung des deutschen Anspruchs darstellt. Sobald diese Rechtsöffnung durch ein liechtensteinisches Gericht bestätigt ist, kann der Gläubiger einen Exekutionsantrag stellen – ähnlich wie bei einem Vollstreckungsverfahren in Deutschland.

Doch dieser Weg ist langwierig und aufwendig. Neben den zusätzlichen Kosten und der Notwendigkeit, einen Anwalt in Liechtenstein zu beauftragen, steht der Gläubiger vor der Herausforderung, die rechtlichen Voraussetzungen und Verfahren in einem fremden Land zu verstehen und einzuhalten.

Rechtshilfe zwischen Deutschland und Liechtenstein: Ein Blick in die Praxis

Ein praktisches Beispiel verdeutlicht die Komplexität dieser Situation. Ein Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, der vom Amtsgericht Lippstadt am 19. Februar 2016 erlassen wurde, wurde ordnungsgemäß im sogenannten „Rechtshilfeweg“ über das Fürstliche Landgericht Liechtenstein zugestellt. Dennoch bleibt der Beschluss unwirksam, da ihm die Grundlage fehlt, um in Liechtenstein vollstreckbar zu sein.

Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass die formale Zustellung eines deutschen Beschlusses in Liechtenstein über den Rechtshilfeweg nicht ausreicht. Ohne einen gültigen Staatsvertrag bleibt der Beschluss im Sinne des liechtensteinischen Rechts irrelevant. Für deutsche Gerichte oder Behörden in solchen Fällen aktiv zu werden, ist unnötig und möglicherweise irreführend. Im genannten Fall wird dem Gläubiger lediglich empfohlen, das Amtsgericht Lippstadt darauf hinzuweisen, dass deutsche Beschlüsse in Liechtenstein nicht anerkannt werden und eine Zwangsvollstreckung ohne liechtensteinischen Titel unmöglich ist.

Grenzen der internationalen Rechtshilfe und die Bedeutung nationaler Eigenständigkeit

Während sich die europäische Integration in vielen Bereichen des Rechtsvollzugs – insbesondere innerhalb der EU – stark weiterentwickelt hat, zeigt der Fall Liechtenstein, dass es weiterhin rechtliche Grenzen gibt. Liechtenstein, das kein Mitglied der EU ist, bewahrt sich in vielen rechtlichen Fragen eine Eigenständigkeit, die in solchen Fällen zum Tragen kommt. Diese Eigenständigkeit schützt Liechtenstein einerseits vor fremden Einflussnahmen, stellt jedoch andererseits auch deutsche Gläubiger vor Herausforderungen.

Liechtenstein bleibt ein attraktiver Standort für Vermögensinhaber, unter anderem aufgrund seiner rechtlichen Besonderheiten. Doch gerade diese Besonderheiten – wie der fehlende Staatsvertrag zur Anerkennung ausländischer Gerichtsbeschlüsse – machen die Vollstreckung ausländischer Titel so kompliziert.

Handlungsoptionen für Gläubiger in Deutschland

Was können deutsche Gläubiger tun, wenn der Schuldner in Liechtenstein ansässig ist oder dort Vermögenswerte besitzt? Hier sind einige mögliche Schritte:

Rechtsöffnung beantragen: Deutsche Gläubiger müssen in Liechtenstein selbst tätig werden und eine Rechtsöffnung beantragen. Dies bedeutet jedoch zusätzliche Kosten und die Beauftragung eines Anwalts in Liechtenstein.

Vorabprüfung der Vollstreckbarkeit: Bevor ein Gläubiger Schritte einleitet, sollte er prüfen lassen, ob sein Titel in Liechtenstein anerkannt werden kann. Da Liechtenstein lediglich Abkommen mit Österreich und der Schweiz unterhält, kann dies frühzeitig für Klarheit sorgen.

Alternativen abwägen: Möglicherweise gibt es Alternativen zur Zwangsvollstreckung im Ausland, etwa durch Absicherung des Vermögens in Deutschland oder durch Vereinbarungen zur freiwilligen Rückzahlung. Diese Optionen können, auch wenn sie keine vollständige Lösung bieten, kurzfristige Abhilfe schaffen.

Fazit – Ein klarer Rechtsrahmen ist gefragt

Die fehlende Anerkennung deutscher Gerichtsbeschlüsse in Liechtenstein stellt eine erhebliche Hürde für Gläubiger dar. Deutsche Titel haben dort keine Durchsetzungskraft, was deutschen Gläubigern zusätzliche Schritte abverlangt. Der aktuelle Rechtsrahmen schafft eine Situation, in der Gläubiger oft mit Unsicherheit und zusätzlichen Kosten konfrontiert sind. Ein Staatsvertrag zur gegenseitigen Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen könnte in der Zukunft Abhilfe schaffen und die rechtliche Position deutscher Gläubiger stärken.

Bis dahin bleibt für deutsche Gläubiger die Empfehlung, den Weg über die Rechtsöffnung in Liechtenstein zu beschreiten – und sich frühzeitig über die rechtlichen Hürden und möglichen Kosten zu informieren. Denn nur so können sie die bestmöglichen Entscheidungen für die Durchsetzung ihrer Ansprüche treffen.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 9719 vom 14. November 2024 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich