§ 166 Strafgesetzbuch – Beschimpfung von Religionsgemeinschaften – rechtlich ohne Bedeutung

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

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Architektur / Pixabay

Der Straftatbestand der Beschimpfung von Religionsgemeinschaften im Sinne von § 166 Strafgesetzbuch spielt in der Rechtspraxis keine Rolle. Pro Jahr gibt es laut offiziellen Statistiken ca. 15 Fälle; für 80 Millionen Deutsche ist es also fast wahrscheinlicher von einem Weißen Hai in der Nordsee beim Baden gefressen zu werden. Aus diesem Grunde ist die Strafanzeige gegen Dieter Nuhr wegen angeblicher Islamhetze unsinnig. 

§ 166 Strafgesetzbuch
Beschimpfung von Bekenntnissen, Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen

(1) Wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Inhalt des religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnisses anderer in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer öffentlich oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) eine im Inland bestehende Kirche oder andere Religionsgesellschaft oder Weltanschauungsvereinigung, ihre Einrichtungen oder Gebräuche in einer Weise beschimpft, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören.

In der ursprünglichen Fassung hatte das Gesetz sogar von der „Lästerung Gottes“ gesprochen. Um hier bestraft zu werden muss es demjenigen sozusagen darauf ankommen vorsätzlich den Frieden zu stören. 

Tatbestandlich bestraft § 166 StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren grundsätzlich Beschimpfungen religiöser und weltanschaulicher Bekenntnisse (nicht dagegen auch von weltanschaulichen Erklärungsmodellen wie dem Marxismus) oder ganzer Religionsgemeinschaften (also insbesondere der christlichen, moslemischen und jüdischen Religionsgesellschaften der der anglikanischen, griechisch-orthodoxen oder katholischen Kirche sowie der Zeugen Jehovas) oder Weltanschauungsvereinigungen wie der Humanistischen Union, der Freimaurer oder der Anthroposophischen Gesellschaft. Inwieweit auch Sekten wie Scientology erfasst sind, ist selbst in der Rechtsprechung umstritten (für eine Weltanschauungsgemeinschaft Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 24.08.1994 – Bs III 326/93; dagegen Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25.05.1984 – 8 C 108/82). Politische Vereinigungen werden dagegen unstreitig nicht erfasst.

Geschützt sind neben den Vereinigungen selbst auch deren Einrichtungen, d.h. die von ihnen geschaffenen Ordnungen (z.B. das Papsttum, die Leiden Christi, die Konfirmation, die Spendung des Abendmahls oder das Vaterunser, nicht dagegen die Zehn Gebote oder der Altar), wenngleich hier in jüngerer Zeit zu Recht die „Einrichtungen“ von den reinen Glaubensinhalten getrennt werden, so dass hierunter nicht mehr die Christusverehrung (Oberlandesgericht Nürnberg, Beschluss vom 23.06.1998 – Ws 1603-97), die Leiden Christi, die Marienverehrung sowie die Verehrung Mohammeds (Fischer, Strafgesetzbuch, § 166 Randnummer 10) fallen, so dass insbesondere die Auseinandersetzung um die Mohammed-Karikaturen keinen Fall des § 166 StGB darstellen. Gleichfalls geschützt sind religiöse Gebräuche (z.B. Reliquienverehrung oder Formen der Beerdigung; umstritten ist, ob auch das reine Sich-Bekreuzigen hierunter fällt).

Die Tathandlung des Beschimpfens

Die Tathandlung des Beschimpfens steht für eine besonders gravierende herabsetzende Äußerung, die durch Worte (z.B. die Bezeichnung der christlichen Kirche als Verbrecherorganisation: Oberlandesgericht Celle, Urteil vom 08.10.1985 – 1 Ss 154/85) oder Bilder (z.B. die Darstellung des Kruzifix als Mausefalle: Bayerisches Oberlandesgericht, Urteil vom 08.09.1988 – RReg. 5 St 96/88) erfolgen kann, wenngleich angesichts des sich aus Art. 4 des Grundgesetzes ergebenden Toleranzgebotes ein Lächerlichmachen nur bei einer agressiven Tendenz ausreichend sein soll – sprich: nicht jede Kritik oder jedes Verspotten stellt bereits eine taugliche Tathandlung dar.

So soll etwa der Text „Das beten: Ein leicht zu erlernendes Ritual. Sie Halten ihre Hände genau so, wie wenn sie ihren Wellensittich erwürgen“ nicht ausreichen (Landgericht Frankfurt am Main, Beschluss vom 6.10.1981 – 5/24 Qs 16/81).

Tatbestandseinschränkung: Eignung zur Friedensstörung

Über diese Tatbestandseinschränkung hinaus muss die „Beschimpfung“ im Einzelfall konkret geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, d.h. eine konkrete Störung des Vertrauens der Bevölkerung auf gegenseitigen Respekt und Toleranz in Fragen der Religions- und Weltanschauung herbeizuführen. Diese Tatbestandseingrenzung dient daher der Ausscheidung nicht für strafwürdig gehaltener Handlungen, wie Beschimpfungen aus bloßer Dummheit, rein kritische Artikel in einer Zeitschrift, bei deren Lesern keine erkennbare Gefahr der Förderung von Intoleranz besteht (nach Landgericht Bochum, Beschluss vom 25.08.1988 – 6 Qs 174/88) oder– unter die Kunstfreiheit (Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes) fallende – satirische Auseinandersetzungen mit religiösen Themen.

Subjektiver Tatbestand

In subjektiver Sichtweise bedarf es eines zumindest bedingten Vorsatzes, wobei der Täter von seinem eigenen Standpunkt nicht zwingend auch überzeugt sein muss.

Anwendung auf den Fall „Dieter Nuhr“

Fazit: Die Reichweite des Straftatbestandes der „Beschimpfung einer Religionsgemeinschaft“ wird maßgeblich durch die Bevölkerung selbst und hierbei den konkreten Adressatenkreis bestimmt, ob dieser sich zum Unfrieden der Religionen aufstacheln lassen kann. Insoweit besteht ein deutlicher Unterschied zwischen einem „Hassprediger“, der eine willige Zuhörerschaft in einer Moschee vor sich hat, und einem Kabarettisten, der vor einem kritischen Publikum spielt. Ein Strafbarkeit Dieter Nuhrs ist daher klar zu verneinen und daher zu erwarten, dass ein Ermittlungsverfahren mangels Anfangsverdachts noch nicht einmal eingeleitet oder zumindest, wenn es doch eingeleitet wurde, zeitnah mangels hinreichendem Tatverdacht wieder eingestellt wird.

Reformbestrebungen und Fazit

Ob dies angemessen ist, wird alle paar Jahre wieder diskutiert, zuletzt anhand der Karikaturen des Propheten Mohammed oder der Papstsatire-Zeichentrickserie „Popetown“. Neben Vorschlägen für eine auch dies erfassende Ausweitung wird immer wieder auch eine gänzliche Streichung der Norm in die Diskussion eingebracht (so ein früherer Gesetzesvorschlag: Bundestagsdrucksache 13/2087), reiche der allgemeine Beleidigungstatbestand (§§ 185 ff. StGB) doch aus. Angesichts von deren gesetzlicher (zumindest verfassungsrechtlich bedenklicher) Unterbestimmtheit („Die Beleidigung […] wird bestraft“, was immer das auch sei) empfiehlt sich eher eine eindeutigere Fassung der Norm, um die aufgezeigten Streitigkeiten klarzustellen.

Hierneben bedarf es der Einsicht, dass der Konflikt der Religionen mit Mitteln des Strafrechts kaum zu lösen sein wird, sondern nur durch eine hinreichende Verständigung der Religionen untereinander. Insoweit begrüßenswert ist es, wenn erste Islamwissenschaftler zu einer klaren Mäßigung im Umgang mit Dieter Nuhr aufrufen.

 

Dr. Thomas Schulte

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Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 1424 vom 28. Oktober 2014 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich

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