Recht und Gesetz

Haftung von Vermittlern von Kapitalanlagen – Unter welchen eingeschränkten Voraussetzungen lässt sich bei Kapitallebensversicherungen mehr als nur der Rückkaufswert erlösen

I.    Das Problem des „Rückkaufswertes“
Als Kapitalanlage ist eine Kapitallebensversicherung allenfalls dann tauglich, wenn man die Beitragszahlungen ungekündigt für einen langen Zeitraum durchsteht. Erst nach Jahren kann der Kunde überhaupt mit einer Verzinsung seines eingezahlten Kapitals rechnen. Ansonsten gilt bei der Kündigung einer Kapitallebensversicherung: Der Kunde erhält gemäß § 176 VVG nur den sog. „Rückkaufswert“ ausbezahlt. Dieser Rückkaufswert entspricht in den ersten Beitragsjahren so gut wie nie der Summe der eingezahlten Beträge. Vielmehr ist der Rückkaufswert ein vielfaches kleiner und von einer Verzinsung des eingezahlten Kapitals zu sprechen, verbietet sich praktisch ganz.
Für Versicherungsverträge, die nach dem 29. Juli 1994 abgeschlossen wurden, kann sich der Versicherungsnehmer jedoch auf einen erhöhten Schutzbedarf berufen. Der Versicherungsnehmer muss bereits vor Vertragsschluss auf diese finanziellen Nachteile bei einer Kündigung der Kapitallebensversicherung hingewiesen werden. In fast allen Versicherungsfällen wird der Kunde in den sog. Allgemeinen Versicherungsbedingungen oder in Verbraucherinformationen als Anlage zum Beitrittsformular über die negativen Folgen einer frühzeitigen Kündigung belehrt.

II.    Zwei Entscheidungen des BGH

Der Bundesgerichtshof hat in zwei Urteilen vom 9. Mai 2001 (Az. IV.ZR.121/00 und IV.ZR.138/99) Ausführungen zur Wirksamkeit von derartigen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der kapitalbildenden Lebensversicherung getroffen. Dabei hat der BGH eine Klausel für unwirksam erklärt, die sich mit der Frage befasst, wie die Kosten für den Abschluss des Vertrages, zum Beispiel auch eine etwaige Provision des Agenten, erhoben und ausgeglichen werden. Diese Klausel hat der Bundesgerichtshof für unwirksam erklärt, weil der Versicherungsnehmer die ihn treffenden wirtschaftlichen Nachteile nicht hinreichend erkennen konnte. Sie verletzen damit das Transparenzgebot als wesentliche Anforderung, die an einen Versicherungsvertrag zu stellen sind.

III.    Die Anpassung der Verträge
Heißt das nun, dass man Lebensversicherungsverträge kündigen und sich auf die Unwirksamkeit dieser Klauseln berufen kann und somit alle eingezahlten Beträge zurückerhält? Grundsätzlich nein! Zwar muss die Versicherung den Versicherungsnehmer bei Vertragsschluss über die Berechnung der Abschlusskosten, der Stornoabzüge oder die Erhebung sonstiger Kosten und Gebühren sowie den Umfang der Überschussbeteiligung informieren. Die meisten Versicherungsgesellschaften haben jedoch unmittelbar nach dem Bekannt werden der beiden Urteilen des BGH reagiert und ihre Versicherungsverträge angepasst. Bei den laufenden Verträgen wurde vielfach in einem sog. Treuhänderverfahren die vereinbarten Allgemeinen Versicherungsbedingungen in eine rechtsgültige Fassung transformiert. Wurde dem Versicherungsnehmer diese neuen Versicherungsbedingungen zugeschickt, sind die Chancen eher gering, dass der Versicherungsnehmer alle eingezahlten Gelder zurückerhalten kann.

IV.    Chancen nur bei schlechter Beratung
Etwas anderes ergibt sich erst dann, wenn der Versicherungsnehmer den Nachweis erbringen kann, dass er unzureichend über die Vertragsbedingungen informiert wurde, etwa weil ihm Versicherungsverträge, Allgemeine Vertragsbedingungen oder sonstige Verbraucherinformationen gar nicht erst ausgehändigt wurden. Allerdings kann der Versicherungsnehmer vor Gericht darüber beweisbelastet sein. In vielen Prozessen ist die Beweisführung für den Versicherungsnehmer nicht einfach zu erbringen. Im Ergebnis bedarf es immer erst einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles, bevor sich sagen lässt, ob es Sinn macht gegen die Versicherung vorzugehen. Fehlen Möglichkeiten einer exakten Beweisführung von Fehlern in der Beratung, erhöht sich das Prozessrisiko. Ohne die Möglichkeit wenigstens einen Zeugen zu benennen, sind die Chancen eher gering.

V.    Beraterhaftung
Der Bundesgerichtshof hat Grundsätze der persönlichen Beraterhaftung aufgestellt: Im Rahmen der Anlagevermittlung komme zwischen dem Anlageinteressenten und dem Anlagevermittler ein Auskunftsvertrag mit Haftungsfolgen zumindest stillschweigend zu Stande, wenn der Interessent deutlich mache, dass er, auf eine bestimmte Anlageentscheidung bezogen, die besonderen Kenntnisse und Verbindungen des Vermittlers in Anspruch nehmen wolle, und der Anlagevermittler die gewünschte Tätigkeit beginne. Der Vermittler sei zu richtiger und vollständiger Information über die Umstände verpflichtet, die für den Interessenten von besonderer Bedeutung seien. Er müsse über Wirtschaftlichkeit der Anlage und die Bonität des Kapitalsuchenden informieren. Beratungsfehler, die eine Haftung auslösen, können nach ihrer Art unterschiedlich sein.

a) Unzutreffende Behauptungen
Insbesondere ins Blaue hinein erfolgte Behauptungen der Anlagenvermittler können – wenn beweisbar – Grundlage eines Haftungsprozesses sein. So verurteilte das LG Heidelberg am 20.5.2003 (Az. 2 O 100/02) die Vermittlerin eines Immobilienfonds, die bei der Beratung unrichtigerweise von dessen „jederzeitigen Veräußerbarkeit“ gesprochen hatte. Vor dem LG Memmingen wurde (3 O 1146/01) die Vermittlerin eines Dreiländerfonds für die Behauptung der „jederzeitigen Kündbarkeit“ erfolgreich am 3. Mai 2002 auf persönliche Haftung in Anspruch genommen.

b) Unrichtige, unvollständige oder unterlassene Risikoaufklärung
Der Anlagevermittler ist besonders bei der Kapitallebensversicherung zu einer umfassenden Risikoaufklärung verpflichtet. Auch wenn es eine allgemein bekannte Tatsache sein dürfte, dass einer hohen Rendite ein entsprechend hohes Risiko gegenübersteht, muss darauf explizit hingewiesen werden. Als Beispiel für die anlegerfreundliche Tendenzen der Rechtsprechung kann ein Urteil des LG Hannover vom 1. Juli 1997 (17 O 294/96) dienen. In diesem Fall wurde eine Rendite von 10% pro Jahr ohne Hinweis auf das ihr gegenüber stehende Spekulationsrisiko in Aussicht gestellt. Das Gericht bürdete das gesamte Risiko dem Berater auf und lehnte eine Mithaftung des Anlegers nach § 254 BGB ab.

c) Prospekthaftung
Gestützt auf den Gedanken der Vertrauenshaftung und der Grundsätze des Verschuldens bei Vertragsverhandlungen hat die Rechtsprechung bereits vor Jahren für den Kapitalanlagemarkt eine Haftung für die Vollständigkeit und Richtigkeit von Prospekten entwickelt. Regelmäßig tritt die Prospekthaftung neben die Beraterhaftung, denn der Anlagevermittler ist verpflichtet, unrichtige oder unvollständige Prospektangaben zu korrigieren bzw. zu ergänzen. Neben Beweiserleichterungen für die Anleger hat die Prospekthaftung den Vorteil, dass der Kreis der Haftenden die hinter einer Gesellschaft sämtliche erkennbar prospektverantwortlichen Personen umfasst.
Vor dem OLG Karlsruhe vom 15.5.2003 (6 U 149/02) waren Prospektinformationen für eine Immobilienanlage streitig, in denen behauptet wurde, dass „die Miete durch einen Mietgaranten ausgewiesen“ werde. Genauere Erläuterungen enthielt der Prospekt jedoch nicht. Nach Auffassung des Gerichts wäre die Vermittlerin der Kapitalanlage ungefragt verpflichtet gewesen, diesen Angaben entweder durch eigene Nachprüfungen auf den Grund zu gehen und sie zu vervollständigen, oder aber ihr Nichtwissen gegenüber dem Anlageinteressenten einzugestehen, was sie jedoch – pflichtwidrig – unterlassen hatte. In nahezu gleicher Weise äußerte sich das OLG Rostock vom 10.10.2002 (1 U 181/00) im Falle eines HAG – Vermittlers: Habe der Anlagenvermittler selbst keine ausreichenden Informationen und Kenntnisse, so müsse er dies dem Interessenten offenbaren. Er sei ferner gehalten, einen ihm überlassenen Prospekt eigenständig auf Plausibilität und wirtschaftliche Tragfähigkeit zu überprüfen. Für Beachtung sorgte auch der vor dem OLG Braunschweig vom 19.3.2003 (3 U 82/02) entschiedene Fall eines Securenta-Kunden, dem das Gericht ein Kündigungsrecht seiner atypisch stillen Beteiligung einräumte. Der Senat begründete dies im Wesentlichen mit den unzureichenden Informationen im Zeichnungsschein, die eine Einschätzung des Verlustrisikos nicht möglich machten. Ebenso entschied das OLG Celle vom 15.8.2003 (11 U 291/01) unter Bestätigung der Vorinstanz, dass ein Anlageberater, der die Risiken einer Anlage ausschließlich anhand eines von den Initiatoren der Anlage aufgelegten Prospektes darstellt, der nicht alle erforderlichen Angaben enthält, zu einer eigenständigen Prüfung der Risiken einer Anlage verpflichtet ist, und diese dem Interessenten auch mitteilen muss. Ferner muss er auf kritische Presseberichte hinweisen. Im fraglichen Fall ging es um die Beteiligung an der so genannten „Dreiländer Beteiligung Objekt DLF 94/17 – W. Fink KG“.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
22. Jahrgang - Nr. 412 vom 20. September 2007 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich

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