Wie der Klimawandel zunehmend das Finanzsystem destabilisiert – und warum die Justiz, die Aufsichtsbehörden und die Politik dringend Antworten liefern müssen
Der Klimawandel war einst Thema für Umweltschützer, NGOs und Schulbuch-Illustrationen. Heute reicht ein Blick in die Bilanzen kleiner Versicherer oder die Risikoberichte regionaler Banken, um zu erkennen: Der Klimawandel ist längst in der realwirtschaftlichen und rechtlichen Praxis angekommen. Extremwetterereignisse, Flutkatastrophen, Hitzeschäden und Waldbrände hinterlassen nicht nur gesamtgesellschaftliche Verwüstungen, sondern zahlenmäßig bezifferbare Schäden – und damit bilanzwirksame Risiken, die das Aufsichtssystem herausfordern.
Juristisch stellt sich immer drängender die Frage: Sind unsere bisherigen Rechtsgrundlagen überhaupt noch ausreichend, um die ökonomischen Folgen der ökologischen Krise zu erfassen – geschweige denn zu steuern? Und wie weit reicht die Verantwortung der BaFin, der EZB oder der Bankenaufsicht, wenn Kreditportfolios von regionalen Banken durch klimawandelbedingte Ausfallrisiken systemisch gefährdet werden?
Die Herausforderung liegt nicht mehr nur im Ob, sondern im Wie. Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt in Berlin, bringt es auf den Punkt: „Die Finanzaufsicht steht vor einem Systemwandel – sie muss lernen, den Klimawandel nicht nur als ethisches, sondern als bilanziell und haftungsrechtlich relevantes Ereignis zu behandeln.“
Der Artikel nimmt Sie mit auf eine faktenbasierte, juristisch fundierte Reise durch ein Thema, das bald jeden betreffen wird: Anleger, Versicherungsnehmer, Bankkunden – und alle, die glauben, dass die Natur sich nicht in Paragraphen zwängen lässt. Doch spätestens seit dem Landmark-Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz ist klar: Das Klima hat Einzug gehalten ins Rechtssystem – jetzt braucht es klare Leitplanken für die Finanzwelt.
Klimarisiken unter juristischer Beobachtung – wenn Wetter zur Bilanzposition wird
Als langjährig tätiger Rechtsanwalt in Berlin betrachtet Dr. Thomas Schulte die Entwicklungen im Bereich des Finanz-, Banken- und Kapitalmarktrechts mit professioneller Sorge, aber auch mit dem klaren Ziel, Mandanten frühzeitig zu sensibilisieren. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) hat zu Recht die physischen Risiken des Klimawandels als einen zukünftigen Prüfstein für ein solides Risikomanagement identifiziert – eine Entwicklung, die auch aus rechtlicher Perspektive genau beobachtet und bewertet werden muss.
Physische Risiken und ihre juristische Relevanz
In ihrem veröffentlichten Beitrag beschreibt die BaFin eindrucksvoll, wie Deutschland mit immer häufigeren Extremwetterereignissen, wie Überschwemmungen, Dürren oder Stürmen konfrontiert wird und wie diese klimatischen Phänomene bereits heute signifikante ökonomische Konsequenzen haben. Klimamodelle, die früher als extrem galten, sind inzwischen Realität. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) bestätigt: Die zehn wärmsten Jahre seit Aufzeichnungsbeginn im Jahre 1881 lagen alle in den letzten 25 Jahren.
Diese Veränderungen bergen massive wirtschaftliche Risiken, die sich unausweichlich in den Kredit- und Versicherungsportfolios niederschlagen. Für Aufsicht, Risikomanagement sowie Vertragsprüfungen mit klimabezogenen Klauseln bedeutet dies eine neue Lage. Institutionen, die in hochwassergefährdeten Regionen tätig sind oder auf Lieferketten angewiesen sind, geraten vermehrt unter Druck, ihre Risiken nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich zu analysieren.
Aus aufsichtsrechtlicher Sicht verlangt das Gesetz über das Kreditwesen (KWG) eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation einschließlich Risikomanagementsystemen, die alle wesentlichen Risiken berücksichtigen. Nach § 25a KWG haben Institute eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation zu gewährleisten, die auch die „Erkennung, Steuerung, Überwachung und Kommunikation“ sämtlicher für das Institut wesentlichen Risiken umfassen muss.
Physische Risiken des Klimawandels nehmen hier einen direkten Platz ein – nicht hypothetisch, sondern faktisch unterlegt durch empirische Daten. Somit besteht eine gesetzliche Pflicht, sich mit den Risiken auseinanderzusetzen.
Regulatorisches Pflichtprogramm: ESG und das Risikomanagement
Versicherer sowie Kreditinstitute stehen vor der Herausforderung, ihr Risikomanagement um ESG-Risiken (Environmental, Social, Governance) zu erweitern. Dabei ist zu beachten, dass es nicht ausreicht, klimabezogene Risiken nur qualitativ zu beschreiben. Die BaFin macht deutlich: Eine quantitative Einschätzung wird zunehmend unerlässlich. Sie müssen also exakt wissen, welche Naturgefahren an einem konkreten Versicherungs- oder Finanzierungsort relevant sind – eine Einschätzung, die ohne verlässliche Daten kaum möglich ist.
Dies stellt viele Marktteilnehmer vor erhebliche Herausforderungen. Die BaFin verweist darauf, dass rund 70 Prozent der befragten Banken und 60 Prozent der Versicherer die Datenlage als unzureichend einstufen. Versicherer geben an, dass ihnen Modelle zu komplexen Wetterereignissen fehlen, während Kreditinstitute oft nicht einmal die exakten Adressen ihrer Kundenstandorte kennen.
In der juristischen Praxis zeigt sich zunehmend, dass hier ein klarer Regelungsbedarf besteht. Verträge müssen künftig oft Klauseln enthalten, die klimabezogene Risiken abbilden, sowohl in der vertraglichen Haftung als auch in der Risikoverteilung. Dies wirkt sich unmittelbar auf allgemeine Geschäftsbedingungen sowie Versicherungsbedingungen aus, die neu strukturiert und rechtlich validiert werden müssen.
Haftungsfragen und staatliche Rückendeckung: keine Selbstverständlichkeit mehr
Ein oft unbeachtetes, aber zentrales Thema betrifft die rechtliche Erwartung vieler Unternehmen, dass der Staat bei Schadensfällen nach Naturkatastrophen automatisch einspringt. Die BaFin warnt auf eindrückliche Weise vor dieser Haltung. Tatsächlich existiert in Deutschland keine generelle rechtliche Verpflichtung des Staates zur Kompensation von Klimaschäden im privaten Bereich.
Solche Erwartungen widersprechen dem deutschen Verfassungs- und Schadensersatzrecht. Gemäß § 249 BGB ist primär der Schädiger für die Wiederherstellung zu sorgen – was jedoch bei Ereignissen ohne konkreten Verantwortlichen nicht greift. Somit entfällt auch die Haftungsgrundlage für viele traditionelle Regressansprüche.
Künftig werden also vermehrt spezielle Versicherungsformen sowie individuelle Klimaanalysen zu den Aufgaben sowohl der Unternehmen als auch ihrer Rechtsberater gehören. Die sogenannte „Klimarisiko-Due-Diligence“ wird zum Bestandteil jedes nachhaltigen Finanzkonzepts – mit entsprechenden rechtlichen Implikationen.
Konstitutionelle Bedeutung: Art. 20a GG und die Verantwortung der Finanzaufsicht
Eine Verankerung findet das Thema Klimarisiken im Übrigen auch im Verfassungsrecht. Artikel 20a des Grundgesetzes verpflichtet den Staat, „auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen“. Daraus ergibt sich eine Schutzpflicht auch hinsichtlich des Finanzmarktes, der nur stabil funktionieren kann, wenn grundlegende Risiken wie die des Klimawandels antizipiert und integriert werden.
Die BaFin hingegen agiert nicht politisch, sondern gesetzlich beauftragt durch das Finanzdienstleistungsaufsichtsgesetz (FinDAG). In dessen § 4 wird die Aufgabe der BaFin beschrieben, die Funktionsfähigkeit, Stabilität und Integrität des deutschen Finanzsystems zu gewährleisten.
Daraus folgt auch, dass die Berücksichtigung von Klimarisiken nicht als politisches Programm, sondern als rechtliche Notwendigkeit zu werten ist – eine Perspektive, die unter Juristen bislang zu wenig thematisiert wurde.
Nachhaltigkeit braucht rechtliche Standards und Unternehmensverantwortung
Dringender denn je ist deshalb die Weiterentwicklung des aufsichts- und vertraglichen Rechtsrahmens. Nachhaltigkeit darf nicht nur ein Schlagwort im CSR-Bericht sein, sondern muss belegbare Rahmenbedingungen besitzen. Dies beginnt bei der Vertragsgestaltung, zieht sich durch Bankenprüfungen und endet bei der zivilrechtlichen Auseinandersetzung um den Versicherungsschutz nach einer Naturkatastrophe.
Es ist auch Aufgabe der Juristen, diese Prozesse zu begleiten, indem sie die richtigen rechtlichen Werkzeuge bereitstellen. Vertragsklauseln, Bonitätsprüfungen, Due-Diligence-Reports – all das muss mit einem klaren Verständnis für aktuelle Gefahren des Klimawandels erfolgen.
„Das Risikomanagement von heute ist die Schadensabwehr von morgen“, sagte Dr. Schulte jüngst in einem Interview mit einer wirtschaftsrechtlichen Fachzeitschrift. „Es geht nicht mehr um das Ob, sondern um das Wie der rechtlichen Vorbereitung auf konkrete Naturereignisse.“
Fazit: Aufsicht, Recht und Umwelt – eine neue Allianz entsteht
Der Klimawandel bringt neue Regelungsbereiche in die juristische Welt der Finanz- und Versicherungswirtschaft – tiefgreifend, konkret und mit wachsender Dynamik. Dabei zeigt sich, dass bestehende Normen bereits viele Ansätze für eine fundierte rechtliche Abbildung bieten. Das Bankenaufsichtsrecht ist, wie dargelegt, klar strukturiert, doch die Integration der ökologischen Realität bleibt eine Herausforderung für alle Beteiligten.
Die BaFin hat mit ihrer Studie und dem Appell an die beaufsichtigten Unternehmen ein unübersehbares Zeichen gesetzt: Klimarisiken sind reale Geschäftsrisiken – und infolgedessen auch rechtlich relevante Themen. Es wird darauf ankommen, die vorhandenen regulatorischen Standards zu konkretisieren, zu justieren und sie in die juristische Beratungspraxis zu integrieren. Die Arbeit hat also gerade erst begonnen.
Dr. Thomas Schulte steht Unternehmen und Institutionen dabei gern als rechtlicher Partner zur Seite – mit Erfahrung, Präzision und Mass an realistischer Analyse.