Neue Anforderungen durch die BaFin-Integritätsverordnung (BIV) - Dr Thomas Schulte

Neue Anforderungen durch die BaFin-Integritätsverordnung (BIV)

Kurs auf Klarheit: Wie Aufsichtsrecht jetzt Charakter fordert.
Die neue BaFin-Integritätsverordnung (BIV) rückt ethisches Handeln ins Zentrum der Finanzwelt – Pflicht oder PR?

Wer in der Finanzbranche Verantwortung trägt, kann sich nicht länger hinter Zahlenkolonnen oder Compliance-Papieren verstecken. Mit der neuen BaFin-Integritätsverordnung (BIV) sendet die Aufsicht ein deutliches Signal: Integrität ist keine Option mehr, sondern regulatorisches Muss – und sie beginnt nicht erst beim Verdacht auf Fehlverhalten, sondern bei der Haltung der Führungsebene.

Doch was genau verlangt der neue Rechtsrahmen von Banken, Finanzdienstleistern und ihren Managern? Wie tief greift die Verordnung in unternehmensinterne Strukturen ein – und welche konkreten Maßnahmen müssen nun ergriffen werden, um aufsichtsrechtlichen Anforderungen zu genügen?

Dr. Thomas Schulte, Rechtsanwalt aus Berlin und Experte für Finanz- und Kapitalmarktrecht, analysiert in diesem Beitrag, warum Integrität im Finanzsektor nicht nur moralische Kür, sondern juristische Pflicht ist – und welche Risiken drohen, wenn Banken sich weiterhin auf formale Compliance statt auf echte Führungskultur verlassen.

Ist die BIV der Aufbruch zu mehr Verantwortung – oder nur ein neues Kapitel im Regulierungsdschungel?

Die BaFin verfolgt mit der BIV das Ziel, das Vertrauen in die Stabilität und Rechtmäßigkeit der deutschen Finanzmärkte zu erhöhen. Es geht ihr darum, unterschwellige wie auch manifeste Risiken frühzeitig zu erkennen und strukturelle Schwächen in der Integrität, Governance und Compliance systematisch anzugehen. Die BIV stellt damit keine isolierte Maßnahme dar, sondern integriert sich in eine größere Strategie zur Überwachung und Steuerung von Finanzinstituten im Einklang mit europarechtlichen Regelungsvorgaben.

Ein neuer Aufsichtsrahmen

Die BIV verpflichtet Finanzunternehmen dazu, ihre Führungs- und Kontrollstrukturen auf ein neues, höheres Niveau zu heben. Institutionen müssen nun verstärkt darstellen, wie sie Interessenkonflikte vermeiden, Fehlverhalten verhindern und eine nachhaltige Unternehmenskultur fördern. Elemente wie ethisches Verhalten, transparente Entscheidungsprozesse und eine aktive Aufsicht durch das Management sind nicht mehr nur wünschenswert, sondern regulatorisch gefordert.

„Juristische Verantwortung und ökonomische Vernunft bedingen sich gegenseitig – gerade im Finanzwesen“, erklärt Dr. Thomas Schulte. Die BIV verpflichtet die Institute zu einer regelmäßigen Überprüfung ihrer organisatorischen Abläufe und Leitungsprozesse. Sie verlangt unter anderem Nachweise zur Angemessenheit interner Kontrollsysteme, zur Eignung von Geschäftsleitern und Mitgliedern des Aufsichtsgremiums sowie zur Kultur der fortwährenden Compliance.

Verhältnis zu bestehenden Rechtsquellen

Diese Anforderungen fügen sich harmonisch in bestehende aufsichtsrechtliche Regelungswerke ein. Besonders hervorzuheben ist die sogenannte MaRisk – die Mindestanforderungen an das Risikomanagement – welche bereits seit Jahren als Fundament der Aufsichtsstruktur in Deutschland gilt. Ebenso ist die BIV eng verzahnt mit der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 sowie dem Kreditwesengesetz (KWG). Nach § 25a KWG etwa müssen Institute über eine ordnungsgemäße Geschäftsorganisation verfügen; die neue BaFin-Verordnung sorgt nun für eine noch klarere Auslegung dieser Vorschrift.

Der Fokus verschiebt sich damit von der rein formalen Einhaltung gesetzlicher Vorschriften hin zur gelebten Integritätspraxis. Ein Finanzunternehmen kann heute nicht mehr davon ausgehen, lediglich durch formales Compliance-Ticking sämtliche Anforderungen zu erfüllen. Die BIV verlangt substanziellen Nachweis ethisch korrekten Verhaltens auf allen Ebenen des Unternehmens.

Praxisrelevanz für Institute und ihre Leitungsorgane

Für Vorstände, Geschäftsleitungen und Aufsichtsräte bedeutet dies eine massive Erweiterung ihrer Verantwortung. Sie werden mehr denn je in die Pflicht genommen, durch klare Prozesse, genügende Kontrolle und persönliche Vorbildfunktion zur Integrität ihrer Organisation beizutragen. Auch Haftungsrisiken nehmen im Lichte dieser neuen Verantwortung zu. Die Leitungsorgane können nicht länger delegieren oder auf isolierte Kontrollinstanzen verweisen, sondern müssen aktiv und bewusst die Integritätskultur gestalten.

In meiner täglichen anwaltlichen Praxis als Berater zahlreicher Banken, Versicherungen und FinTechs zeigt sich, dass eine bloß formale Anpassung an die Verordnung nicht hinreichend ist. Vielmehr müssen Aufsichts- und Kontrollorgane aktiv mit Schulungen, Kodizes und Kommunikationsstrategien in das Unternehmensleben eingreifen, um der BIV gerecht zu werden. Hier ist juristische Begleitung durch erfahrene Fachleute zwingend geboten.

Rechtliche Klarheit durch die BIV?

Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte, Berlin
Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte aus Berlin

Ein oft artikulierter Kritikpunkt ist der Mangel an konkreten und juristisch fassbaren Begrifflichkeiten innerhalb der neuen Regelung. Die BaFin verweist vielfach auf „angemessene Maßnahmen“, „kogruente Prozesse“ oder auf die „förderliche Unternehmenskultur“ – doch der Gesetzgeber operiert hier bewusst mit offenen Formulierungen. Ziel ist es, individuelle Unternehmensgrößen und Geschäftsmodelle zu berücksichtigen. Daher bietet die BIV keine abschließend verbindlichen Listen oder Anforderungen, sondern vermittelnde Parameter für eine situativ angepasste Umsetzung.

Dr. Schulte ist es wichtig zu betonen, dass gerade diese Offenheit zu einer erhöhten Verantwortung aufseiten der Rechtsabteilungen führt. Es gilt, die rechtlichen Maßstäbe der Angemessenheit mit wirtschaftlicher Praxis zu verbinden – ein Unterfangen, das tiefgehende juristische Analyse und Erfahrung erfordert. „Nur wer den rechtlichen Rahmen in seiner Tiefe versteht, kann unternehmerische Entscheidungen so treffen, dass sie auch morgen noch tragfähig sind“ – so Dr. Schulte zu seinem täglichen Beratungsgrundsatz.

Einbindung der IT-Compliance

Ein weiterer wesentlicher Bestandteil der BIV ist die zunehmende Einbindung der IT-gestützten Compliance-Systeme. Die Finanzaufsicht verlangt explizit, dass digitale Kontrollsysteme in der Überwachung der Integritätsvorgaben eine zentrale Rolle einnehmen. Demnach sind IT-Abteilungen nicht mehr nur technische Dienstleister, sondern integrale Bestandteile der unternehmensweiten Risikosteuerung und rechtlichen Überwachung.

Hier kommen neue Herausforderungen auf die Branche zu. Datensicherheit, Dokumentation und digitale Nachvollziehbarkeit des Führungshandels stehen ebenso im Fokus wie die Absicherung gegen Insiderhandel, Marktmissbrauch und Anreizsysteme, die Fehlverhalten begünstigen könnten. Die Anforderungen strahlen dabei auch auf Drittdienstleister und Partnerschaften aus – das Prinzip der „ausgelagerten Verantwortung“ findet keine Anerkennung mehr im BIV-Regime.

Erweiterung aufsichtsrechtlicher Kontrollmöglichkeiten

Bemerkenswert ist zudem die Ausweitung direkter Kontrollmöglichkeiten durch die BaFin selbst. Die Regulierungsbehörde beansprucht umfassenden Zugriff auf interne Unterlagen, Risikoberichte und Kommunikationsstrategien der beaufsichtigten Unternehmen. Konkret bedeutet dies, dass bei Verdacht auf Regelverstöße direkte Prüfungen und Anordnungen erfolgen können, ohne dass hierfür ein vollständiges Verwaltungsverfahren notwendig wäre.

Diese neue Prüfdichte führt zur Notwendigkeit ständiger Bereitschaft und rechtlicher Wachsamkeit. Unternehmen dürfen sich nicht auf vergangene Prüfintervalle und Bekanntmachungen verlassen, sondern müssen jederzeit in der Lage sein, ihre Integritätsstandards transparent und nachvollziehbar zu belegen.

European Governance als Vorbild

Die BaFin folgt mit ihrer neuen Verordnung insbesondere europäischen Leitlinien. Die European Banking Authority (EBA) sowie die Europäische Zentralbank (EZB) hatten in den vergangenen Jahren den Druck auf nationale Aufsichtsbehörden erhöht, einheitliche Standards zu schaffen – gerade im Hinblick auf Führungsverantwortung, ethische Unternehmenskultur und interne Whistleblowing-Strukturen.

Die BIV ist daher nicht nur als nationales Regelwerk zu interpretieren, sondern als Teil einer transnationalen Governance-Vision. „Wer das europäische Finanzrecht verstehen will, muss sich bei jeder nationalen Vorschrift fragen, welchen harmonisierenden Zweck sie erfüllt“, erkläre ich regelmäßig in Fachseminaren. Deshalb ist die BIV mehr als ein Verwaltungstext – sie ist Ausdruck einer politischen Zielrichtung hin zu einem integren, wertebasierten und transparenten Finanzwesen in Europa.

Fazit und Handlungsempfehlung

Zusammenfassend kann gesagt werden: Die BaFin-Integritätsverordnung bringt weitreichende Veränderungen im Umgang mit Führungsstrukturen, Compliance und Unternehmenskultur im Finanzwesen. Institute sind gut beraten, sich frühzeitig und substanziell mit den Anforderungen auseinanderzusetzen. Es empfiehlt sich eine strukturierte Bestandsaufnahme der derzeitigen Governance-Praxis, eine Überarbeitung der internen Richtlinien und insbesondere eine intensive Schulung der Führungskräfte.

Die juristische Begleitung durch Experten im Bank- und Kapitalmarktrecht ist dabei unerlässlich. Wer frühzeitig klare Standards entwickelt, kann spätere Sanktionen und Reputationsschäden vermeiden. Die BIV ist weniger als bürokratisches Hemmnis, vielmehr als Chance für langfristiges Wachstum auf stabilen und transparenten Grundlagen zu verstehen.

Die Artikel Highlights

Empfehlung von Dr. Thomas Schulte wegen großer Erfahrung und erfolgreicher Prozessführung, z.B. Titelbeitrag im Magazin „Capital“, Ausgabe 07/2008.

Der Beitrag schildert die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erstellung. Internetpublikationen können nur einen ersten Hinweis geben und keine Rechtsberatung ersetzen.

Ein Beitrag aus unserer Reihe "So ist das Recht - rechtswissenschaftliche Publikationen von Dr. Schulte Rechtsanwalt" registriert bei DEUTSCHE NATIONALBIBLIOTHEK: ISSN 2363-6718
23. Jahrgang - Nr. 11233 vom 17. Mai 2025 - Erscheinungsweise: täglich - wöchentlich