Die Insolvenz der FWU Life Insurance Lux S.A. war ohne Zweifel ein Schock. Doch jede Krise birgt auch Chancen. Wir richten den Blick nach vorn: Welche Chancen und Entwicklungen ergeben sich aus dem Fall FWU für die Versicherungswirtschaft, die Gesetzgeber und vor allem für die Verbraucher? Es zeigt sich, dass der Zusammenbruch der FWU genau in eine Zeit fällt, in der auf europäischer Ebene neue Instrumente geschaffen werden, um mit strauchelnden Versicherern besser umzugehen.
Zudem zwingt die Krise Unternehmen wie Aufsicht dazu, interne Prozesse und Risikomanagement auf den Prüfstand zu stellen. Für Versicherungsnehmer wiederum könnten sich langfristig Verbesserungen im Kundenschutz ergeben, vorausgesetzt, die richtigen Lehren werden gezogen. Dies betrifft zahlreiche Bereiche: Erstens die regulatorischen Neuerungen, die nun greifen; zweitens die strategischen Anpassungen, die Versicherer vornehmen (müssen), um verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen; und drittens die Chancen für Verbraucher, künftig informiertere Entscheidungen zu treffen und von transparenteren Produkten zu profitieren.
Regulatorischer Aufbruch – der neue Abwicklungsrahmen
Fast parallel zur FWU-Entscheidung hat die EU einen großen Schritt vollzogen, um für Versicherungsinsolvenzen besser gewappnet zu sein. Am 28. Januar 2025 trat die EU-Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Versicherungsunternehmen (Insurance Recovery and Resolution Directive, IRRD) in Kraft. Diese Richtlinie, die bis 2027 in allen Mitgliedstaaten umgesetzt werden muss, schafft erstmals einen einheitlichen europäischen Rahmen für den Umgang mit kriselnden Versicherern. Ziel ist es, Versicherungsunternehmen ähnlich wie Banken geordnet auffangen zu können, um Policyholder (Versicherungsnehmer) besser zu schützen und das System stabil zu halten. Konkret verlangt die IRRD von Versicherern, präventive Sanierungspläne zu erstellen – quasi „Testamente“ oder living wills, in denen vorausschauend Maßnahmen für den Krisenfall festgelegt werden. Aufsichtsbehörden erhalten zugleich erweiterte Befugnisse für eine Resolution (Abwicklung): Sie können beispielsweise frühzeitig in die Unternehmensführung eingreifen, Portfolios übertragen, eine Brückenversicherung einsetzen oder Gläubigerbeteiligungen (Bail-in) anordnen, bevor ein unkontrollierter Zusammenbruch passiert. Hätte es einen solchen Rahmen 2024 schon gegeben, so wäre denkbar gewesen, dass FWU Life in eine Art Abwicklungsregime überführt worden wäre, anstatt regulär insolvent zu gehen. Vielleicht hätte eine europäische Behörde dann versucht, den Bestand an ein anderes Unternehmen zu übertragen, wie es Liechtenstein vorgemacht hat, oder zumindest einen restrukturierten Run-off organisiert. Für die Kunden könnte dies künftig bedeuten, dass sie im Fall der Fälle nicht mehr jahrelang auf eine Liquidation warten müssen, sondern ihre Verträge unter neuer Trägerschaft weiterlaufen – oder schneller ausgezahlt werden. Die IRRD wird in Luxemburg wie in Deutschland gleichermaßen umzusetzen sein.
Dr. Thomas Schulte sieht hierin einen „überfälligen Schritt“: „Bisher gab es für Versicherungen kein einheitliches Insolvenzszenario. Mit der IRRD zieht man Lehren aus Fällen wie Swiss Life III oder jetzt FWU. Für die Verbraucher ist wichtig, dass ihr Schutz europaweit vereinheitlicht und verbessert wird“, so Schulte sinngemäß. Man darf gespannt sein, wie die Mitgliedstaaten die Richtlinie konkret umsetzen. Jedenfalls ist dies eine Chance, die Abwicklung von Problemgesellschaften effizienter und kundenfreundlicher zu gestalten. Es bleibt indes abzuwarten, ob die IRRD auch bereits für Alt-Fälle wie FWU retrospektiv etwas bewirkt – vermutlich nicht, da laufende Verfahren nach altem Recht zu Ende geführt werden.
Versichert, belehrt, geprüft – Das neue Regelwerk nach dem Vertrauensbruch
Neben der IRRD kommen weitere regulatorische Impulse: Die EIOPA arbeitet an Leitlinien, um die Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden in Krisenfällen zu stärken. Auch die Transparenzpflichten im Vertrieb werden fortlaufend geschärft (Stichwort IDD – Insurance Distribution Directive). So müssen Vermittler seit Kurzem Kunden noch genauer über die Produktart, die Risiken und die Kosten informieren. Die FWU-Pleite als Negativbeispiel wird in Schulungen und Branchenveranstaltungen sicherlich intensiv behandelt werden: als Mahnung, was passieren kann, wenn Risikohinweise unterbleiben oder wenn ein Versicherer zu aggressiv mit Eigenmitteln umgeht. Die Aufsicht ihrerseits wird die Solvenzberichte (SFCR) der Unternehmen nun mit noch wachsamerem Auge prüfen – insbesondere bei grenzüberschreitenden Anbietern mit komplexen Konzernstrukturen. Für Luxemburg mag FWU ein Einzelfall sein, doch man wird dort nun bemüht sein, die Reputation als solider Versicherungsstandort zu verteidigen. Dies könnte dazu führen, dass die CAA bei geringsten Anzeichen von Schwierigkeiten in Zukunft schneller Maßnahmen ergreift. Insgesamt bietet der regulatorische Aufbruch also die Chance, das Netz für Versicherungsnehmer enger zu knüpfen.
Strategiewechsel bei den Versicherern
Für Versicherungsunternehmen liefert der Vorfall Anlass, die eigene Strategie zu überdenken. Fondsgebundene Lebensversicherungen, gerade solche mit hohem Kostendruck und langen Laufzeiten, stehen auf dem Prüfstand. Einige Versicherer könnten beschließen, dieses Segment zu verkleinern oder transparenter zu gestalten, um Kundenabwanderungen zu vermeiden. Andererseits besteht eine Chance darin, verlorenes Vertrauen aktiv zurückzugewinnen.
Wie könnte das aussehen? Zum einen durch offensive Kundenkommunikation: Viele Unternehmen haben nach der FWU-Insolvenz ihre Kunden proaktiv darüber informiert, dass sie selbst kerngesund sind und warum ein Fall wie FWU bei ihnen unwahrscheinlich ist. Das mag marketinggetrieben sein, hilft aber, Verunsicherung abzubauen. Zum anderen könnten Versicherer neue Garantiemodelle entwickeln, die dem Bedürfnis der Kunden nach Sicherheit entgegenkommen. Beispielsweise hybride Policen mit garantierten Elementen, oder klar definierte Ausstiegsmöglichkeiten gegen geringe Abschläge. Wenn Kunden wissen, dass sie im Zweifel aus einer Police herauskommen, ohne alles zu verlieren, investieren sie eher Vertrauen (und Geld).
Auch der Umgang mit Altverträgen wird zum Thema: Statt Kunden mit unzufriedenstellenden Altpolicen in den Widerruf oder die Kündigung zu treiben, könnten Versicherer aktiv Kulanzangebote machen, etwa Vertragsoptimierungen oder faire Rückkaufsangebote. Solche Ansätze würden das Image der Branche heben und gleichzeitig das Risiko unkontrollierter Rückabwicklungswellen mindern.
Für FWU als Gruppe selbst ist der Weg zu Ende. Die österreichische Tochter mag noch eine Zukunft haben, doch die Marke „Forward You“ hat immensen Schaden genommen. Andere Versicherer, vor allem etablierte deutsche Lebensversicherer, könnten versuchen, die verunsicherten FWU-Kunden abzufangen und ihnen alternative Produkte zu bieten (sobald diese aus der Liquidation Geld erhalten). In der Kommunikation der Versicherer könnte das Thema Solvenz und Sicherheit wieder mehr betont werden, nachdem es in guten Jahren oft als selbstverständlich galt.
Chancen für Verbraucher – mündigere Versicherungsnehmer
Aufseiten der Kunden und Verbraucherschützer bieten sich Chancen, aus der Krise zu lernen. Zum einen dürfte das Bewusstsein der Anleger für Vertragsdetails und Anbieterherkunft steigen. Ein Verbraucher, der erlebt hat, dass seine Lebensversicherung nicht unter heimischer Aufsicht stand, wird beim nächsten Abschluss genauer nachfragen, wo der Versicherer sitzt und welches Recht gilt. Dies ist begrüßenswert, da informierte Kunden letztlich bessere Entscheidungen treffen. Verbraucherschützer können diesen Lerneffekt nutzen, um ihre Bildungsarbeit zu intensivieren, etwa Checklisten veröffentlichen: “Woran erkenne ich, ob ein Versicherer solide ist?” oder “Welche Sicherungssysteme greifen im Ernstfall?”. Die Verbraucherzentrale Bundesverband hat im Zuge der FWU-Insolvenz bereits ausführliche Web-Informationen bereitgestellt, die die wichtigsten Punkte für Versicherte zusammenfassten. Solche Informationskampagnen sind eine Chance, langfristig das Vertrauen in Versicherungen durch Aufklärung zurückzugewinnen. Paradoxerweise vertrauen informierte Verbraucher oft mehr, weil sie wissen, woran sie sind, während Unwissen Angst schürt, wenn etwas schiefgeht.
Zum anderen zeichnet sich ab, dass Versicherungspolicen flexibler und verbraucherfreundlicher werden könnten. Die heftige Kritik an intransparenten Kosten, langen Bindefristen und mangelnder Exit-Möglichkeit bei vielen Altprodukten ist in der Branche angekommen. Einige Versicherer arbeiten an neuen Lebensversicherungsmodellen mit kürzeren Mindestlaufzeiten oder Portabilität (Übertragbarkeit zu einem anderen Anbieter). Die Digitalisierung spielt dabei eine Rolle: Moderne Policen könnten dem Kunden via App tagesaktuell zeigen, wie sein Vertragswert ist, welche Kosten abgezogen wurden usw. – vergleichbar einem Bankkonto. Dieses Level an Transparenz war früher undenkbar, ist heute aber technisch machbar und von Kunden gewünscht. Wenn die Branche diese Chance nutzt, könnte sie einen Teil des ramponierten Images aufpolieren.
Ein weiterer Aspekt ist die Rechtsdurchsetzung für Verbraucher: Die FWU-Insolvenz hat erneut gezeigt, wie kompliziert es für den Einzelnen sein kann, seine Rechte in einem grenzüberschreitenden Fall wahrzunehmen. Hier haben sich Verbraucherorganisationen und Anwälte eingeschaltet und u.a. Sammelaktionen koordiniert (in Italien etwa Altroconsumo und Codacons). Die Vernetzung der Geschädigten war erstaunlich. Innerhalb weniger Wochen tauschten sich Betroffene länderübergreifend in Internetforen aus. Dieses Erwachen einer „Community“ von Versicherungsnehmern ist etwas Neues. Es zeigt die Chance, dass Verbraucher künftig solidarischer agieren und sich schneller zusammentun, um Ansprüche durchzusetzen. Dr. Thomas Schulte, der selbst zahlreiche Mandanten in Hinblick auf Lebensversicherungen vertritt, sieht in solchen Gemeinschaften einen wichtigen Faktor: „Einzelkämpfer haben es schwer, aber als Gruppe können Verbraucher mehr Druck aufbauen und Informationen bündeln.“ Die Herausforderung wird sein, diese Energie konstruktiv zu nutzen, etwa durch Verbandsklagen oder koordinierte Meldungen bei Aufsichten.
Die Causa FWU war ein Weckruf – für Aufsichten, Versicherer und Kunden
Chancen bestehen nun darin, die richtigen Konsequenzen zu ziehen. Europaweit robustere Regeln für den Krisenfall, branchenweit mehr Fokus auf solide Produkte und transparenten Service, und auf Verbraucherseite gestiegenes Risikobewusstsein und Zusammenhalt. Es liegt an allen Beteiligten, aus dem Lehrstück FWU die Lehren zu ziehen. Sollte es in einigen Jahren tatsächlich gelingen, einen nächsten potenziellen Problem-Versicherer ohne großes Drama abzuwickeln oder zu sanieren, dann wird man vielleicht auf 2025 zurückblicken und sagen: Die Branche hat dazugelernt. Für die derzeit geschädigten FWU-Kunden bleibt zu hoffen, dass sie am Ende ihr Geld weitgehend zurückerhalten und dieses Kapitel abschließen können. Für die Versicherungswirtschaft als Ganzes jedoch markiert dieses Ereignis einen Neubeginn in der Denkweise, hin zu mehr Prävention, mehr Kooperation und letztlich mehr Sicherheit. Denn das Versprechen, das Lebensversicherer ihren Kunden geben, lautet seit jeher: langfristige Verlässlichkeit. Dieses Versprechen muss auch unter schwierigen Umständen halten. Die FWU-Insolvenz hat es auf die Probe gestellt und nun besteht die Chance, das Fundament dieses Versprechens für die Zukunft zu stärken.
