– Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) konkretisiert die Grenzen zulässiger Aussagen in Online-Foren –
Beleidigende Aussagen und sog. Schmähkritik von meist anonymen Autoren im Internet haben in letzter Zeit vermehrt für Empörung gesorgt. Den betroffenen Personen und Unternehmen drohen häufig ein erheblicher Image-Schaden und der Wegfall von Geschäftskunden. Umstritten ist daher immer wieder die Haftung der Betreiber der jeweiligen Foren für nicht gelöschte Beiträge, welche nun auch international auf rechtlicher Ebene ein besonders großes Diskussionspotential bietet. Die Entwicklung der Rechtsprechung zeigt, dass die jeweilige Wertung stark von den Umständen des Einzelfalls abhängt. Anhand der Urteile des EGMR aus den vergangenen Monaten lässt sich aber zumindest ein grober Rahmen für die Haftungskriterien der Betreiber ermitteln.
Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (v. 16.06.2015 – Az. 64569/09)
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) konkretisiert die Grenzen zulässiger Aussagen in Online-Foren
Bereits im Juni 2015 sorgte der EGMR für viel Aufmerksamkeit, als er sich zu diesem Thema äußerte und ein Urteil über beleidigende und hetzerische Aussagen in Online-Foren fällte. Der damaligen Entscheidung lag ein Fall zu Grunde, in dem anonyme Autoren auf einer Estnischen Nachrichtenwebseite beleidigende Beiträge verfasst haben, die eindeutig zu Gewalttaten aufriefen. Der EMGR erkannte hierin die Überschreitung einer Grenze, die eine Berufung auf das Recht auf freie Meinungsäußerung unmöglich mache. Bei derartigen Aussagen seien die Webseiten-Betreiber daher auch ohne Meldung von Betroffenen zur Löschung verpflichtet und können andernfalls zur Rechenschaft gezogen worden.
Zweites Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (v. 02.02.2016 – Az. 22947/13)
In einem kürzlich ergangenen Urteil zog der EMGR die Grenzen der Zulässigkeit von strittigen Beiträgen im Internet neu. Hierbei stärkte er das Recht auf freie Meinungsäußerung und stellten fest, dass die bloße Gefährdung des Rufes eines Unternehmens durch einen Foren-Beitrag nicht automatisch einen Rechtsverstoß darstellt. Im Unterschied zum vorherigen Urteil beinhalteten die beanstandeten Aussagen in diesem Fall keine Hassreden und Aufrufe zu Gewalt. Des Weiteren sei insofern zu differenzieren, dass hier keine Bedrohung für Individuen bestand, sondern lediglich der Ruf des beleidigten Unternehmens gefährdet war. Eine Grenze wie im vorherigen Fall wurde damit laut dem EGMR noch nicht überschritten und die Betreiber der Webseite können sich auf ihr Recht auf freie Meinungsäußerung berufen. Der umstrittene Beitrag musste daher nicht gelöscht werden.
Rechtslage in Deutschland
Das deutsche Grundgesetz steht im Gesetzesrang über der Europäischen Menschenrechtskonvention, so dass die Urteile des EGMR in erster Linie eine Auslegungshilfe für deutsche Gerichte darstellen. Der EGMR hat mit diesen Urteilen zunächst nur über Einzelfälle entschieden und gibt daher lediglich einen groben Rahmen für die Haftungskriterien vor.
Die Rechtslage über die Haftung von Portal-Betreibern ändert sich in Deutschland dadurch nicht unmittelbar. Grundsätzlich müssen diese Betreiber erst bei der Kenntnis von der Rechtsverletzung durch einen Beitrag haften, wobei ihnen eine kurze Frist zur Löschung der Beiträge eingeräumt wird. Von einer allgemeinen Kontrollpflicht der Betreiber ist nicht auszugehen. Dieser mache sich die von Nutzern veröffentlichten Beiträge nicht inhaltlich zu Eigen. Wahre Tatsachenbehauptungen sind stets zulässig, während Meinungsäußerungen in der Regel erlaubt sind, sofern sie nicht in Schmähkritik ausarten. Eine Haftung für unwahre Behauptungen bestehe daher nur bei der konkreten Verletzung von Prüfungspflichten.
Einschätzung der Zulässigkeit beleidigender Aussagen im Internet
Dennoch bleibt die Frage, inwieweit beleidigende Aussagen im Internet tatsächlich zulässig sind. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass beleidigende Aussagen auch in Foren nicht grundsätzlich zulässig sein können.
Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, ob es sich bei dem Betroffenen um eine natürliche Person handelt oder ob sich die Aussagen gegen ein Unternehmen richten. Natürliche Personen genießen hierbei einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Dieser Schutz beruht auf dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht, welches sich aus dem Artikel 2 Absatz 1 und dem Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes herleitet. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, ob das Recht auf freie Meinungsäußerung stärker zu gewichten ist als das Allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Unternehmen können sich jedoch nicht auf ein Allgemeines Persönlichkeitsrecht, sondern lediglich auf Artikel 2 Absatz 1 des Grundgesetzes berufen, welcher in aller Regel hinter der Meinungsfreiheit zurücktritt. Das heißt, dass sich Unternehmen negative Kritik bis zu einem bestimmten Grad durchaus gefallen lassen müssen.
Fraglich bleibt jedoch, wo die Grenze zu ziehen ist. Der EGMR sieht diese zumindest bei Hassreden und dem Aufruf zu Gewalttaten überschritten. Im deutschen Recht wird die Grenze wesentlich früher gezogen. Demnach ist eine Haftung der Foren-Betreiber bereits möglich, sofern diese Beiträge ihrer Nutzer, die Schmähkritik, Beleidigungen und/oder Verleumdungen enthalten, nicht rechtzeitig löschen.