Urkunden wie Quittungen, Schuldscheine, Anerkenntnisse, E-Mails als Beweise führen auf die Überholspur.
Das staatliche Gewaltmonopol zwingt die Bürger vor die Zivilgerichte, wenn einer von dem anderen etwas möchte. Wie selbstverständlich verboten erscheint jedem daher Selbstjustiz und zugleich ergibt sich daraus die Pflicht des Staates, einen gut funktionierenden Rechtsstaat zur Verfügung zu stellen. Wer schon einmal vor Gericht um Gerechtigkeit gekämpft hat, weiß, dass das alles ziemlich problematisch ist. Als teuer, langsam und ungerecht wird der Zivilprozess oft empfunden.
Manche Tricks und Abkürzungen sind heute in Vergessenheit geraten
Wer vor Gericht erscheint, hat schon verloren. Natürlich ist es klüger, Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Wenn es nicht anders geht, sollte der Urkundenprozess erwogen werden. Vorteile: schnelles Urteil, schnelles Geld. Der § 592 der Zivilprozessordnung regelt die Zulässigkeit eines solchen abgekürzten Prozesses. Der Wechsel- und Scheckprozess ist eine Unterart des Urkundenprozesses.
Der Urkundenprozess: Schnelle Durchsetzung von Ansprüchen mit klaren Regeln
Für bestimmte Arten von Forderungen gibt es eine spezielle Verfahrensart, die den Prozess erheblich beschleunigen kann: den Urkundenprozess. Diese besondere Prozessform ist im fünften Buch der Zivilprozessordnung (ZPO) geregelt und ermöglicht dem Kläger, auf effizientem Wege zu einem Vollstreckungstitel zu gelangen – und das ohne eine zeitaufwendige Beweisaufnahme. Aber wie genau funktioniert der Urkundenprozess, und welche Besonderheiten bringt er mit sich?
Für welche Ansprüche eignet sich der Urkundenprozess?
Ein Urkundenprozess kommt nur in speziellen Fällen infrage. In erster Linie handelt es sich dabei um Zahlungsansprüche, Ansprüche auf die Lieferung von vertretbaren Sachen (unter anderem Waren) oder die Herausgabe von Wertpapieren. Entscheidend ist, dass der Kläger seinen Anspruch bereits anhand von Urkunden belegen kann. Das bedeutet: Sämtliche Tatsachen, die den Anspruch begründen, müssen entweder unstrittig sein oder durch Dokumente bewiesen werden können. Ein klassisches Beispiel: Ein Bauunternehmer hat einem Kunden eine Rechnung gestellt und möchte diese nun eintreiben. Hat der Unternehmer einen unterschriebenen Vertrag und eine Quittung über die erbrachten Leistungen, so kann er diese im Rahmen eines Urkundenprozesses vorlegen, um seine Forderung durchzusetzen.
Der Verfahrensablauf: Zwei Phasen
Der Urkundenprozess teilt sich in zwei wesentliche Abschnitte: das Vorverfahren und das Nachverfahren.
Das Vorverfahren: Fokussierung auf Urkunden
Im Vorverfahren sind die Möglichkeiten, Beweise vorzulegen, stark eingeschränkt. Grundsätzlich kommen hier nur Urkunden als Beweismittel in Betracht. Diese Einschränkung ist auch der Grund, warum der Urkundenprozess so viel schneller abläuft als andere Verfahren. Der Kläger muss bereits mit der Klage alle notwendigen Urkunden einreichen oder sie zumindest innerhalb der Einlassungsfrist vorlegen. Eine große Besonderheit dieses Verfahrens ist, dass keine Widerklage möglich ist. Dies bedeutet, der Beklagte kann im Vorverfahren lediglich seine Verteidigung auf die vorgelegten Urkunden stützen, ohne seinerseits Ansprüche gegen den Kläger geltend zu machen.
Laut dem OLG Düsseldorf, Urteil vom 06.10.2015 – I-21 U 40/15 sind “Urkunden im Sinne des § 592 ZPO sind schriftlich verkörperte Gedankenerklärungen, wobei sie dem Beweis ihrer Echtheit oder Unechtheit zugänglich sein müssen. Es genügt jede Urkunde, die geeignet ist, dem Gericht gegenüber den Beweis für die Richtigkeit der Klage begründenden Tatsachen unmittelbar oder mittelbar zu erbringen. Hierbei reicht es aus, dass mit der Urkunde eine Indiztatsache bewiesen wird, die den Schluss auf die anspruchsbegründende Tatsache zulässt.“
Ein häufiges Anwendungsgebiet des Urkundenprozesses sind mietrechtliche Streitigkeiten, insbesondere bei Mietrückständen. Wenn ein Mieter seinen Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommt, hat der Vermieter die Möglichkeit, den ausstehenden Betrag schnell einzuklagen. Die erforderlichen Beweismittel sind in der Regel der schriftliche Mietvertrag und Kontoauszüge, die die ausbleibenden Zahlungen dokumentieren.
Auch bei Ansprüchen aus Kaufverträgen ist der Urkundenprozess ein bewährtes Mittel, um rasch zu einem Titel zu gelangen. Stellen Sie sich vor, ein Verkäufer hat Waren geliefert, aber der Käufer kommt seiner Zahlungspflicht nicht nach. Hier kann der Verkäufer den Kaufpreis im Urkundenprozess einklagen. Wichtige Beweismittel sind der schriftliche Kaufvertrag, Lieferscheine, die die Lieferung der Ware belegen, und Rechnungen, die dem Käufer ausgestellt wurden. Sofern diese Dokumente vorliegen und der Käufer den Empfang der Ware nicht bestreitet, kann das Gericht schnell entscheiden. Der Vorteil für den Verkäufer liegt auf der Hand: Er kann sich schnell den Betrag sichern, der ihm zusteht, ohne in eine lange Auseinandersetzung gehen zu müssen.
Auch bei der Rückforderung von Darlehen wird der Urkundenprozess häufig genutzt. Banken oder Kreditgeber können so ausstehende Darlehensraten auf schnellem Wege eintreiben. Ein typischer Fall könnte folgendermaßen aussehen: Ein Kreditnehmer zahlt seine monatlichen Raten nicht mehr, und die Bank möchte die ausstehenden Beträge einklagen. In einem solchen Fall werden der Darlehensvertrag und Kontoauszüge, die die nicht erfolgten Zahlungen dokumentieren, als Beweise vorgelegt. Diese Urkunden sind in der Regel ausreichend, um das Gericht davon zu überzeugen, dass der Kreditnehmer seinen Verpflichtungen nicht nachgekommen ist. Das Gericht kann daher ohne weitere Beweiserhebungen zugunsten der Bank entscheiden.
Der Urkundenprozess stellt eine effektive Möglichkeit dar, Ansprüche zügig durchzusetzen, wenn diese durch schriftliche Belege klar dokumentiert sind. Insbesondere in Bereichen wie Mietrecht, Kaufvertragsrecht oder Darlehensrecht kann dieser Prozess erheblich Zeit und Kosten sparen, da eine aufwendige Beweisaufnahme entfällt.
Nachteil ist jedoch, dass nur zwei der in der ZPO vorgesehenen Strengbeweismittel genutzt werden können. Beweis durch Augenschein (§§ 371ff. ZPO), Zeugenbeweis (§§ 373ff. ZPO) und der Beweis durch Sachverständige (§§ 402ff. ZPO) ist nicht möglich.
Welche Beweismöglichkeiten bestehen im Urkundenprozess?
Der Kern des Urkundenprozesses ist, dass die zur Begründung des Anspruchs erforderlichen Tatbestandsvoraussetzungen durch Urkunden belegt werden müssen. Dies bedeutet, dass der Kläger die relevanten Dokumente, wie Verträge, Quittungen oder Schuldscheine, vorlegen muss (§ 595 Abs. 3 ZPO), welche beweisen, dass ihm ein Anspruch gegen den Beklagten zusteht. Ohne diese schriftlichen Beweise ist eine erfolgreiche Klage im Urkundenprozess nicht möglich.
Eine Parteivernehmung (also die Anhörung einer Partei) ist nur in engen Grenzen zulässig, und zwar dann, wenn es um Tatsachen geht, die nicht zur Begründung des Anspruchs notwendig sind. Dies betrifft beispielsweise Tatsachen, die die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde betreffen, oder andere „nicht anspruchsbegründende“ Tatsachen (vgl. § 595 Abs. 2 ZPO). Beispiele hierfür sind Umstände, die rechtshindernde oder rechtsvernichtende Einreden begründen (z. B. die Einrede der Erfüllung oder Verjährung).
Beispiel:
Ein Unternehmen klagt gegen ein anderes auf Rückzahlung eines Darlehens im Urkundenprozess. Alle zur Anspruchsbegründung nötigen Tatsachen, wie der Abschluss des Darlehensvertrages und die Auszahlung des Darlehens, müssen durch Urkunden (z. B. den Darlehensvertrag und Kontoauszüge) nachgewiesen werden. Eine Parteivernehmung wäre jedoch unzulässig, um die Auszahlung des Darlehens zu beweisen, da dies eine anspruchsbegründende Tatsache ist. Sollte der Beklagte hingegen die Einrede der Verjährung erheben, könnte diese durch eine Parteivernehmung bewiesen werden, da es sich um eine nicht anspruchsbegründende Tatsache handelt.
Das Nachverfahren: Öffnung für weitere Beweise
Das Nachverfahren stellt sozusagen die „zweite Chance“ des Beklagten dar. Während das Vorverfahren sehr stark auf die Effizienz und Geschwindigkeit abzielt, erlaubt das Nachverfahren eine umfassendere Betrachtung des Falls. Hier können dann alle Beweismittel, wie Zeugen oder Gutachten, eingebracht werden. Der Beklagte hat also die Möglichkeit, Einwände vorzubringen, die im Vorverfahren nicht durch Urkunden bewiesen werden konnten.
Das Vorbehaltsurteil: Schnell vollstreckbar, aber nicht endgültig
Erweist sich der Anspruch des Klägers im Vorverfahren als ausreichend belegt, ergeht ein sogenanntes Vorbehaltsurteil. Dieses Urteil ist ein zentrales Element des Urkundenprozesses, da es dem Kläger die sofortige Vollstreckung ermöglicht – unter anderem die Pfändung des Vermögens des Beklagten. Doch das Vorbehaltsurteil ist nicht endgültig. Der Beklagte hat die Möglichkeit, seine Rechte im Nachverfahren geltend zu machen und die Entscheidung zu kippen. Dies ist vor allem dann relevant, wenn er im Vorverfahren wichtige Beweise (beispielsweise eine Zeugenaussage) nicht vorlegen konnte, die jedoch in einem regulären Prozess entscheidend wären.