Umgehungsgeschäfte im Finanzsektor – Grauzonen mit System?
Was, wenn Milliarden an Regulierungen vorbeifließen – ganz legal? Oder zumindest so, dass am Ende niemand mehr genau sagen kann, wer verantwortlich ist? Umgehungsgeschäfte im Finanzsektor sind kein neues Phänomen, aber ihre Brisanz wächst. Immer raffinierter werden Strukturen gewählt, um gesetzliche Pflichten zu unterlaufen – sei es aus wirtschaftlichem Eigeninteresse, geopolitischem Kalkül oder schlichter Risikoverlagerung. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) warnt mit Nachdruck vor diesen Praktiken – nicht nur wegen ihrer Komplexität, sondern vor allem wegen ihrer Konsequenzen.
Denn dort, wo verschachtelte Transaktionen und juristische Kunstgriffe die eigentlichen Akteure im Dunkeln lassen, versagen oft die Kontrollmechanismen des Geldwäschegesetzes (GwG). Besonders kritisch wird es, wenn diese Umgehungsstrategien gezielt eingesetzt werden, um Sanktionen zu umgehen – etwa bei Geldflüssen mit Bezug auf sanktionierte Staaten wie dem Iran. Doch wer trägt in solchen Konstruktionen die Verantwortung? Und vor allem: Welche Risiken entstehen für Verbraucher, Anleger und Unternehmen, die – oft unwissentlich – Teil eines solchen Systems werden?
Diese Fragen verdienen mehr als ein Schulterzucken. Sie zwingen zur Auseinandersetzung mit den rechtlichen Grauzonen des Finanzsystems – und mit der wachsenden Herausforderung, Legalität und Legitimität voneinander zu unterscheiden.
Die rechtliche Einordnung solcher Umgehungsgeschäfte ist komplex. Die Umgehung regulatorischer Vorgaben kann einerseits strafrechtlich sanktioniert werden, andererseits drohen auch zivilrechtliche Konsequenzen für beteiligte Parteien. In der Vergangenheit hat die BaFin bereits mehrfach auf derartige Risiken hingewiesen, insbesondere mit dem Rundschreiben 1/2011 (GW), welches sich explizit mit den Hindernissen bei der Erfüllung von Sorgfaltspflichten hinsichtlich Transaktionen mit Iran-Bezug befasst.
Umgehungsgeschäfte – Definition und rechtliche Grundlagen
Umgehungsgeschäfte sind Transaktionen, die in einer Art und Weise strukturiert werden, dass geltende rechtliche Vorschriften umgangen oder abgeschwächt werden. Solche Geschäfte scheinen auf den ersten Blick legitim, verfolgen jedoch den eigentlichen Zweck, verbotene oder sanktionierte Handlungen zu verschleiern. Die rechtliche Bewertung dieser Praktiken basiert unter anderem auf § 134 BGB, der die Nichtigkeit von Rechtsgeschäften bei Gesetzesverstößen regelt, sowie auf verschiedenen Bestimmungen des GwG, die eine umfassende Identitätsprüfung der Vertragspartner vorschreiben.
Laut § 261 StGB – dem Straftatbestand der Geldwäsche – können bereits konstruktive Maßnahmen zur Verschleierung illegaler Geldflüsse strafbar sein. Derartige Umgehungsgeschäfte erschweren eine Nachvollziehbarkeit und behindern vor allem die Aufdeckung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung. „Die Finanzordnung lebt von Transparenz und strengen Sorgfaltspflichten. Jegliche Umgehung dieser Anforderungen schwächt nicht nur das Vertrauen in den gesamten Bankensektor, sondern ermöglicht illegale Finanzströme“, betont Dr. Thomas Schulte, Experte für Finanz- und Bankrecht aus Berlin.
Umgehungsgeschäfte mit Iran-Bezug und internationale Sanktionen
Besonders häufig treten derartige Umgehungsgeschäfte im Zusammenhang mit Sanktionen gegen den Iran auf. Aufgrund der im internationalen Kontext erlassenen Handelssanktionen sind direkte Geschäftsbeziehungen mit iranischen Institutionen und Unternehmen stark eingeschränkt. Dennoch existieren eine Reihe von Tarnmechanismen, mit denen versucht wird, diese Restriktionen zu umgehen. Dazu gehören unter anderem verschachtelte Gesellschaftsstrukturen, indirekte Zahlungswege über Drittstaaten oder die Nutzung von Strohmännern.
Die rechtlichen Rahmenbedingungen hierfür sind in einer Vielzahl von europäischen und internationalen Regelwerken verankert. So regelt unter anderem die EU-Verordnung Nr. 267/2012 die restriktiven Maßnahmen gegen den Iran und untersagt unter anderem bestimmte Banktransaktionen mit iranischen Finanzinstituten. Auch das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) sowie verschiedene nationale und internationale Embargo-Vorschriften zielen darauf ab, eine Umgehung dieser Restriktionen zu verhindern. Verstöße gegen diese Vorschriften können nicht nur bußgeldrechtlich, sondern auch strafrechtlich relevant sein.
Doch trotz klarer gesetzlicher Verbote bleibt das Problem bestehen. Dr. Schulte erklärt: „Immer wieder stellen wir fest, dass Unternehmen und Einzelpersonen kreative Wege finden, um Sanktionen zu unterlaufen. Dabei ist ihnen oft nicht bewusst, dass bereits der Versuch einer Umgehung strafbar sein kann.“
Maßnahmen der Finanzaufsicht gegen Umgehungsgeschäfte
Die BaFin hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass sie gegen Praktiken der Umgehung konsequent vorgeht. Ein Kernpunkt der aktuellen Aufsichtsmitteilung ist die Sensibilisierung von Verpflichteten gemäß dem Geldwäschegesetz. Banken, Versicherungen und andere verpflichtet handelnde Akteure müssen verstärkt auf atypische Geschäftsstrukturen achten, die eine mögliche Umgehung schließen lassen.
Nach § 6 GwG müssen sie bei verdächtigen Transaktionen vermehrt eine Risikoanalyse durchführen. Eine Missachtung dieser Anforderungen kann nicht nur hohe Bußgelder nach sich ziehen, sondern auch für die verantwortlichen Akteure im Unternehmen strafrechtliche Konsequenzen haben.
Insbesondere das System der Verdachtsmeldung nach § 43 GwG spielt hier eine entscheidende Rolle. Geldinstitute und Finanzdienstleister sind verpflichtet, auffällige Transaktionen umgehend an die Financial Intelligence Unit (FIU) zu melden. Da jedoch viele Umgehungsgeschäfte gezielt darauf ausgerichtet sind, typische Verdachtsmerkmale zu umgehen, wird an die Sorgfaltspflichten der Verpflichteten eine besonders hohe Anforderung gestellt.
Typische Umgehungsmechanismen und ihre Risiken
Aus der Aufsichtsmitteilung der BaFin geht hervor, dass einige wiederholt genutzte Umgehungsmethoden existieren, um gesetzliche Vorgaben zu unterlaufen. Dazu gehören beispielsweise:
- Scheinbare Drittstaatentransaktionen: Gelder werden über Offshore-Gesellschaften oder Drittstaaten umgeleitet, bevor sie das endgültige Ziel erreichen.
- Komplexe Eigentümerstrukturen: Die Identifizierung des wirtschaftlich Berechtigten wird absichtlich verschleiert, indem Unternehmen mit komplexen Besitzstrukturen genutzt werden.
- Verwendung alternativer Zahlungsmittel: Kryptowährungen oder geldwerte Gutscheine bieten die scheinbare Möglichkeit, Finanzströme außerhalb klassischer Bankensysteme abzuwickeln.
Diese Strategien dienen dazu, Sanktionen und regulatorische Bestimmungen zu umgehen, erschweren aber gleichzeitig die Nachverfolgbarkeit von Geldflüssen erheblich. Die BaFin warnt: „Verpflichtete müssen ihre internen Kontrollmechanismen stetig anpassen, um nicht unfreiwillig Teil illegaler Machenschaften zu werden.“
Bedeutung für Banken und Finanzdienstleister
Für Unternehmen im Finanzsektor bedeuten die zunehmenden regulatorischen Anforderungen eine erhebliche Herausforderung. Compliance-Abteilungen sind gezwungen, ihre Kontrollsysteme stetig zu verbessern und interne Prozesse an neue Bedrohungsszenarien anzupassen. Zudem stehen sie vor der schwierigen Aufgabe, einerseits wirtschaftliches Wachstum zu ermöglichen, andererseits aber gesetzeskonforme Geschäftsmodelle sicherzustellen.
Die Finanzaufsichtsbehörden sind dabei nicht nur auf die interne Compliance der Banken angewiesen, sondern auch auf eine enge Zusammenarbeit zwischen internationalen Behörden. Dies gilt insbesondere für die Bekämpfung von Terrorismusfinanzierung, bei der auf globaler Ebene abgestimmte Maßnahmen erforderlich sind.
Letztlich bleibt festzuhalten, dass Umgehungsgeschäfte nicht nur ein erhebliches Risiko für Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung darstellen, sondern auch das Vertrauen in das Finanzsystem massiv untergraben. Dr. Thomas Schulte resümiert: „Wer versucht, regulatorische Vorgaben zu umgehen, spielt mit dem Feuer. Banken und Finanzdienstleister tragen eine hohe Verantwortung, geltende Vorschriften strikt einzuhalten und ihre risikobasierten Prüfungen kontinuierlich zu optimieren.“
Für Unternehmen sowie alle nach dem Geldwäschegesetz verpflichteten Akteure im Finanzsektor ist es von zentraler Bedeutung, sich der rechtlichen Risiken und regulatorischen Anforderungen im Zusammenhang mit potenziellen Umgehungsgeschäften vollumfänglich bewusst zu sein. Eine fundierte rechtliche Beratung kann nicht nur vor gravierenden Haftungsrisiken schützen, sondern auch dazu beitragen, unternehmerische Entscheidungen rechtssicher zu gestalten und regulatorischen Anforderungen dauerhaft gerecht zu werden.