Am 25.10.2005 verkündete der EuGH ein lange erwartetes Grundsatzurteil im Volltext zu den Aktenzeichen C 350/03 und C 229/03. Hintergrund sind Schadenersatzansprüche von Kreditnehmern, die gegenüber den finanzierenden Banken ins Feld führen, dass die Kläger Mitte der neunziger Jahre sehenden Auges den Vertrieb von Schrottimmobilien an Geldanleger gefördert haben. Die beiden Urteile, verursacht durch jeweils einen Vorlagebeschluss des LG Bochum und des Hanseatischen Oberlandesgerichtes in Bremen sollten Klarheit in die Diskussion um die sog. Schrottimmobilien und die hierfür aufgenommenen Darlehen bringen. Ein erste Analyse der Urteile ergibt jedoch, dass die Deutsche Rechtsprechung weiter das Problem eigenständig lösen muss.
Im Kern ging es um die Frage der Risikoverteilung bei sog. Schrottimmobilien-Modellen. Mit diesem plakativen Schlagwort wurden Kapitalanlagemodelle bezeichnet, bei denen meist unter Einschaltung eines Strukturvertriebes in einer Haustürsituation Durchschnittsverbraucher Eigentumswohnungen angeboten wurden, die von Banken bereitwillig finanziert wurden. Traurige Berühmtheit in diesem Zusammenhang erlangten die Aktivitäten der Vertriebsgruppe Heinen & Biege, die ehemalige Genossenschaftswohnungen der Neuen Heimat und der Allwo mit Darlehen der Badenia verbunden an den Mann brachten. Die Darlehenskonstruktion war ebenso unvorteilhaft wie die Immobilien schrottreif waren. Die Immobilien waren häufig überteuert an den Kapitalanleger gebracht worden. Vielfach wurden sogar noch Bruchteile an den einzelnen Eigentumswohnungen veräußert, was die Wirtschaftlichkeit des Modells vollkommen fraglich erscheinen ließ. Mehrere getäuschte und finanziell über forderte Anleger haben in diesem Zusammenhang bereits den Freitod gewählt.
Durch ein Urteil des EUGH aus dem Jahre 2001 wurde nunmehr für die getäuschten Anleger ein Hoffnungsschimmer erkennbar. Der EUGH hatte in einem Urteil entschieden, dass Darlehensnehmer, die in einer Haustürsituation zum Darlehensvertrag gebracht wurden, auch ein Widerrufsrecht nach dem Haustürwiderrufsgesetz zugestanden werden muss. Dies war vollkommen neu, da die deutsche Umsetzung der europäischen Hautürgeschäfte-Richtlinie ausdrücklich keine solche Widerrufsmöglichkeit zuließ, wenn es sich um ein Verbraucherdarlehen handelte und für dieses das Verbraucherkreditgesetz anwesend war. Nach dem Verbraucherkreditgesetz wiederum war eine Widerrufsmöglichkeit für hypothekarisch gesicherte Darlehen (Realdarlehen) nicht erforderlich. Da demgemäß die Darlehen für die sog. Schrottimmobilien überwiegend ohne jegliche Widerrufsbelehrung ausgereicht wurden, schöpften die deutschen Verbraucher Hoffnung, dass nach einen Widerruf des Darlehensvertrages sie aus der unwirtschaftlichen Verpflichtung gegenüber der Bank entlassen werden könnten.
Da hatten die Verbraucher allerdings die Rechnung ohne den Bundesgerichtshof gemacht, dessen 11. Senat das Gesetz ganz exakt nach dem Wortlaut anwendete. Demgemäß war nämlich nach dem Widerruf zwar von der Bank das von dem Verbraucher gezahlte Zins- und ggf. Tilgungskapital an dem Verbraucher zurückzuzahlen, dieser musste jedoch auch das gesamte Darlehen sofort und auf einmal an die Bank zurückzahlen. Wirtschaftlich gesehen, stand der Verbraucher also nach dem Widerruf schlechter als vorher, sofern er keine günstigere Anschlussfinanzierung durch ein neues Darlehen oder eine Erbschaft vorweisen konnte.
Die Frage, ob diese Handhabung der Gesetze durch den Bundesgerichtshof richtig war, sollte nun den EUGH beschäftigen. In dem beiden am 25.10.2005 veröffentlichten Urteilen, stützt der EUGH nun zunächst dem BGH den Rücken. Ausweislich der klaren Fassung der europarechtlichen Vorgaben sei die Auslegung des BGH richtig: Im Falle Widerrufs müssen die von den jeweiligen Vertragspartnern empfangenen Leistungen vollständig zurückgezahlt werden, nebst marktüblicher Verzinsung. Bis hierher also eine klare Absage an den Verbraucherschutzgedanken.
Allerdings stellt der EUGH dann in einem letzten Teil des Urteils klar, dass dies nur für diejenigen Darlehensnehmer gelten kann, die auch tatsächlich eine Widerrufsbelehrung erhalten haben. Denn diejenigen, denen von den Banken entgegen der Rechtsprechung des EUGH aus dem Jahre 2001 eine Widerrufsbelehrung vorenthalten wurde, hätten in der Widerrufsfrist von sieben Tage keinerlei Möglichkeit gehabt, Ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Hätten diese Anleger diese Chance gehabt und nutzen können, wären sie mit den wirtschaftlichen Nachteilen des finanzierten Immobilienerwerbs nicht belastet gewesen. Welche Rechtsfolgen sich daran knüpfen, lässt der EUGH offen. Lediglich die Verpflichtung wird festgestellt, dass die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen hätten, dass die Rechtsvorschriften zum Verbraucherschutz den Verbraucher vor derartigen Risiken schützen. Wie derartige Maßnahmen aussehen sollen, lässt der EUGH offen. Fest dürfte jedoch stehen, dass es derartige Maßnahmen überhaupt geben muss und die schematische Anwendung der Rückabwicklungsvorschriften durch den 11. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hier nicht richtig sein kann. Im Endeffekt besteht also Hoffnung für diejenigen Kapitalanleger, die tatsächlich am Wohnzimmertisch zum Abschluss der Immobilienkaufverträge gedrängt wurden und auch ein entsprechendes Darlehen unterzeichnet haben. Bereits jetzt ist klar, auf welche Felder sich der Rechtsstreit nunmehr verlegen wird: Die Banken werden nichts unversucht lassen, die Haustürsituationen wegzudiskutieren, insbesondere die Ursächlichkeit des Hausbesuchs des Vertriebsmitarbeiter für den späteren Darlehenabschluss zu verneinen, durch den Notarbesuch eine Kausalitätsunterbrechung zu konstruieren und das notwendige Zeitmoment zwischen Vertreterbesuch und Darlehensabschluss nach Überprüfung der jeweiligen Kreditwürdigkeit des Anlegers über zu betonen.
Man darf gespannt sein, wie deutsche Rechtsprechung diese Urteile umsetzen wird.