Wahlwerbung als Sichtwerbung: Alles ist möglich! Nichts muss sich ändern! Mehr Netto als Brutto, Zuversicht und so weiter.
Eine juristische Glosse von Dr. Schulte, Rechtsanwalt – Berlin – Die schöne Stadt Berlin, die Perle an der Spree, das Spreeathen, wird kurz vor der nächsten Wahl überflutet mit hässlichen, überdimensionalen Plakaten und nichtssagenden Sprüchen: „Für Berlin!“ „Berlin verstehen“…
Mit anderen Worten: Es ist Wahlkampf in der Hauptstadt und dem Rest der Republik
Ah, Wahlkampfzeit – die Jahreszeit, in der Straßenlaternen, Bäume und Ampeln plötzlich zu Miniaturgalerien politischer Kunstwerke mutieren. In dieser illustren Zeit ist jedes Wahlplakat eine Leinwand für Visionen, Versprechen und nun ja, manchmal auch völligen Nonsens. Doch während der Bürger beim Vorbeifahren über schlechte Slogans und schief lächelnde Politikerbilder lacht, hat das juristische Regelwerk ein ernstes Wörtchen mitzureden. Willkommen in der surrealen Welt der rechtlichen Kuriositäten rund um Wahlplakate – ein Kapitel, das irgendwo zwischen Kafka, Loriot und „Law & Order“ anzusiedeln ist. Rechtlich gehört die Nutzung des Straßenraums für Wahlkampfzwecke zu einem wichtigen Recht der politischen Parteien gemäß den Vorgaben des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland.
So schreibt das Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht im Jahre 2016 (Az. 3 B 8/16) so schön:
„Das Aufstellen von Sichtwerbung politischer Parteien im Wahlkampf stellt grundsätzlich eine straßenrechtliche Sondernutzung dar, die einer entsprechenden Erlaubnis bedarf. Im Hinblick auf die Bedeutung der Wahlen für die Demokratie und die Bedeutung der Parteien für die politische Willensbildung müssen die durch die Wahlwerbung eintretenden Einschränkungen in einem gewissen Umfang hingenommen werden.“
Falsche Aussagen auf den Plakaten werden nicht bestraft: Täuschung mit Stil
Beginnen wir mit der skurrilen Tatsache, dass Wahlplakate rechtlich betrachtet ein Freifahrtschein für kreative Freiheit sind. Egal, ob der Kandidat auf dem Plakat aussieht wie frisch aus dem Photoshop-Paradies oder ob der Slogan so glaubwürdig ist wie ein Aprilscherz – juristisch ist das alles kein Problem. Lügen? Kein Ding! Falsche Zähne? Bitte lächeln! Und leere Versprechen? Gutes Aussehen der Politiker oder sogar politisch korrekte Aussagen sind juristisch nicht notwendig. Niemand muss ins Gefängnis, nur weil er die Wähler betrügt, durch falsche Zähne, Toupets oder leere Wahlversprechen hinter das Licht führt. Das ist ausdrücklich im § 108 a Strafgesetzbuch geregelt. Gefängnisstrafe bis zu zwei Jahren darf nur absitzen, wer durch Täuschung bewirkt, dass jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt. „Wer durch Täuschung bewirkt, dass jemand bei der Stimmabgabe über den Inhalt seiner Erklärung irrt oder gegen seinen Willen nicht oder ungültig wählt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Der Umkehrschluss? Wer durch „visionäre“ Worthülsen die Bürger ins Grübeln, aber nicht ins Gefängnis bringt, ist juristisch auf der sicheren Seite. Rechtlich nicht zu fordern ist daher im Umkehrschluss ein Mindestmaß an Sinnhaftigkeit der Aussagen.
Zwischenergebnis zu Wahlplakaten
Wegen der Demokratie ist Wahlwerbung erlaubt. Die Städte und Gemeinden müssen Platz zur Verfügung stellen. Eine inhaltliche Richtigkeit der Aussagen auf den Wahlplakaten ist juristisch gesehen nicht notwendig.
Aber natürlich gelten wichtige Regeln für den Straßenverkehr in Bezug auf Wahlplakate. Diese Vorgaben sind in Deutschland allerdings unbekannt:
1. Regel: Aussehen und Sprüche egal, Hauptsache wetterfest
Doch halt – nicht alles ist erlaubt! Der Gesetzgeber hat nämlich ein Herz für den Straßenverkehr. Wahlplakate müssen wetterfest und stabil aufgehängt werden. So verlangt das Amtsgericht Bonn seit einer Entscheidung aus dem Jahre 2007 von den Parteien, dass die Plakate ordentlich aufgehängt und nach Wind und Wettereinflüssen kontrolliert werden muss, ob die Befestigung hält. Ansonsten erhält derjenige, der einen Schaden erleidet, weil ein Plakat herunterfällt, ausschlägt oder sich sonst wie selbstständig macht, Schadenersatz. Konkret ging es um eine Fahrertür, die von einem losen Wahlplakat im Orkan beschädigt wurde. Nach der Weigerung der Partei hatte der Fahrer erfolgreich geklagt.
2. Regel: Die richtige politische Partei weiträumig mit Klagen eindecken
Die Haftungsfrage bei fliegenden oder wild plakatierten Wahlplakaten liest sich wie ein juristischer Krimi. Landespartei, Bundespartei, der Drucker oder vielleicht doch der Wetterfrosch – wer ist verantwortlich? Das Landgericht Lübeck hat vor einigen Jahren entschieden, wer haftet. Oh Gott, da gibt es Probleme: Landespartei oder Bundespartei, Politiker persönlich, Aufhänger, Wetterfrosch, Drahtlieferant oder Lampenhersteller oder Petrus als Wettergott. Konkret ging es in Lübeck bei einem Kommunalwahlkampf und einem fliegenden Plakat um die Frage, ob auch die Bundespartei haftet.
3. Regel: Parteivorsitzender muss aufpassen und Plakate ständig bewachen
Bahnbrechend ist auch die Entscheidung des Amtsgerichts Montabaur (Montabaur ist die Kreisstadt des Westerwaldkreises in Rheinland-Pfalz, über die Grenzen bekannt ist Montabaur für sein Fashion-Outlet) aus dem Jahre 1988:
Wer ein Plakat druckt, haftet immer. Genauer gesagt: Schadenersatzpflicht bei wildem Plakatieren trifft zur Not auch Drucker oder Hersteller der Plakate. Das Gericht urteilt weise:
„Wer Wahlplakate herstellt und in Verkehr bringt, muss wirksame Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen treffen, um wildes Plakatieren zu verhindern. Solange nicht festgestellt werden kann, wer für das wilde Plakatieren ursächlich war, ist der Hersteller und Verteiler der Plakate für den verursachten Schaden in Anspruch zu nehmen.“
Vermutlich hatte die Partei sich bei einem Unfall damit entschuldigt, dass das Plakat gar nicht von offizieller Parteiseite aufgehängt worden war und man sei nicht verantwortlich für den Fehler.
4. Regel: Wahlplakate sind heilig
Die Wahlplakate dürfen nicht gestohlen oder übermalt werden; so weiß Frau Ass. iur. Peggy Wüstenhagen in einem ernst gemeinten juristischen Aufsatz im Jahre 2006 daraufhin, dass das Schnurrbart-Malen auf einem Wahlplakat eine strafbare Sachbeschädigung sei. Das Über-Plakatieren ist im Übrigen nicht in jedem Fall eine Sachbeschädigung, so jedenfalls das Oberlandesgericht Oldenburg im Jahr 1981. Hier kommt es auf den Klebstoff an.
Die Regeln lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Hässliche Bilder und Nonsenssprüche sind rechtlich geschützt; herunterfallen darf das Plakat auf keinen Fall. Gemalte Schnurrbärte sind verboten.
Fazit: Chaos, Kunst und Klebstoff
Wahlplakate sind mehr als nur Phrasen auf Pappe. Sie sind ein juristisches Minenfeld, ein Festival der Absurditäten und eine Hommage an die Freiheit der Meinungsäußerung – egal wie sinnfrei diese auch sein mag. Während wir Bürger uns über die nächste absurde Kampagne amüsieren, hat das Gesetz längst entschieden: Solange das Plakat nicht fliegt, der Kleber hält und der Slogan wetterfest ist, ist alles erlaubt. In diesem Sinne – genießen Sie die Galerie der politischen Kreativität, bevor der nächste Sturm kommt und die Plakate ihre ganz eigene Reise antreten!