Bundesgerichtsurteil vom 20.1.2015 (VI ZR 137/14) – Kapriolen des Datenschutzrechts nach dem Bundesdatenschutzgesetz – Diskussionsbeitrag Dr. Schulte und sein Team Rechtsanwälte mbB und Atlanticlux Lebensversicherung S.A.
Die Frage nach Datenschutz und Privatsphäre nicht nur bei der Arztbehandlung steht regelmäßig juristisch und gesellschaftlich zur Diskussion. Rechtlich betrachtet sind zu diesem Thema noch viele wesentliche Fragen ungeklärt. In regelmäßigen Seminar- und Weiterbildungsveranstaltungen informiert die Kanzlei Dr. Schulte und sein Team Rechtsanwälte mbB über den Iststand der rechtlichen und praxisnahen Umsetzung von gesetzlichen Vorgaben und Bestimmungen und deren Hürden. Branchenübergreifend finden hierzu Diskussionen unter Juristen, Versicherungsunternehmen wie der luxemburgischen Atlanticlux Lebensversicherung S.A., Ärzten und Datenschutzbeauftragten zum Verständnis statt. Dies soll der konsequenten und qualifizierten praxisorientierten Lösungsfindung dienen. Zur Diskussion steht die Datentransparenz zwischen Parteien, wie Arzt Patient, Versicherung Versicherungsnehmer (Gesundheitszeugnis), Jurist Mandant, Kreditunternehmen Kreditnehmer, uvm – Wie weit darf die Transparenz gehen? Welcher Schutz besteht für jeden Einzelnen? Die Juristen erörtern an Hand des Arzt-Patient Verhältnisses die Tatsache der Datentransparenz.
Ausgangslage des Falls vor dem Bundesgerichtshof
„Uns allen Bekannt: Als Patient ist es selbstverständlich – Man geht in die Klinik, gibt seine Versichertenkarte ab und schon weiß die freundliche Dame oder der freundliche Herr gegenüber, wer behandelt werden soll. Der Arzt hat auch Zugriff auf diese Informationen und kennt die Identität des Patienten somit auch. Gegebenen falls hat man noch das ein oder andere Einwilligungsformular bei der Aufnahme unterschrieben, in denen zugestimmt wurde, Gewebeproben oder Laborergebnisse Menschen zur Verfügung zu stellen, ohne dass man das weiß oder wer diese überhaupt bekommt“, dies zum Verständnis bildlich dargestellt vom Rechtsexperten Dr. Thomas Schulte und Team. Dabei ist die Tatsache unausweichlich, dass der Patient somit komplett transparent wird. „Der Patient hat je nach Krankheitsbild und Behandlung seine Privatsphäre aufgeben müssen, wie wenn dieser auch gegebenenfalls seinen Körper ohne Bekleidung zeigt“, gibt der Jurist zu bedenken.
Datenherausgabe Anspruch des Patienten
Doch wie sieht es mit der Transparenz der Gegenseite, sprich des behandelnden Arztes, aus?
Genau diese Frage warf ein Kläger auf, nachdem er die private Adresse von einem der zwei Ärzte verlangte, die er beanspruchte und dies ihm verweigert wurde. Ein Einsichtsrecht in die Patientenunterlagen hatte der Patient natürlich.
Hier weitere Informationen: https://www.dr-schulte.de/rechtsgebiete/92-arbeitsrecht/2629-das-akteneinsichtsgesuch-im-arzthaftungsrecht-und-seine-prozessuale-durchsetzung
Rechtsanwalt Dr. Schulte erläutert hierzu, dass es hierbei um die Frage ging ob die Klinik verpflichtet ist die privaten Daten des angestellten Arztes einem Patienten zugeben. „Eine komische Frage – die private Adresse des Arztes?“ Zunächst eine kleine Vorüberlegung:
• Welches, aus der Sicht des Arztes, rechtliches Interesse könnte der Arzt daran haben, seine private Anschrift nicht preiszugeben?
• Haben Ärzte allein ein Recht auf Privatsphäre?
• Ist diese ärztliche Privatsphäre höher einzustufen als die des Patienten oder des Bürgers allgemein?
• Was passiert, wenn der Arzt den Arbeitsplatz wechselt und er nicht mehr postalisch über die Klinik erreichbar ist?
Auf diese Fragen gehen die Gerichte nicht gesondert ein.
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt auf eine andere Argumentation ab. Rechtsanwalt Dr. Thomas Schulte und Team erläutert zum Verständnis den Sachverhalt: „Der Kläger hat die Klinik, in der er behandelt worden war und die beiden angestellten Ärzte auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Eine der beiden Klagen konnte nicht zugestellt werden, da der Prozessbevollmächtigte sich bei einem der beiden Ärzte im Namen geirrt hatte. Nachdem der Name berichtigt worden war, kam auch die Klage ohne weitere Probleme bei dem betreffenden Arzt an, woraufhin der Kläger die Privatadresse des betroffenen Arztes verlangte. Da sich die Beklagte weigerte, kam der Vorfall vor das Amtsgericht, bei dem die Klage abgewiesen wurde und landete vor dem Landgericht, das seinerseits die Beklagte zur Auskunft verurteilte aber Revision zuließ.“
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat das Berufungsurteil aufgehoben, im Wesentlichen aus diesen Gründen:
1. Der Kläger kann im Falle eines Zivilprozesses auf die Privatanschrift des Arztes verzichten, da er ihn auch über die Klinik erreichen könne.
2. Die Auskunftserteilung steht der datenschutzrechtlichen Vorschrift des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) § 32 Abs. 1 Satz 1 entgegen. Der Arbeitgeber darf keine personenbezogenen Daten des Arbeitnehmers an Dritte weiterleiten.
3. Private Kommunikationsdatenweiterleitung an Dritte bedarf der Einwilligung des Betroffenen.
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Bank und Kapitalmarktrecht Dr. Thomas Schulte und Team von der Kanzlei Dr. Schulte und sein Team Rechtsanwälte mbB kommentiert das Urteil des BGH wie folgt: „Was auf den ersten Blick wie ein Skandalurteil anmutet ist in Wirklichkeit Ausdruck der richterlichen Betrachtungsweise eines alltäglichen Lebenssachverhaltes in Deutschland. Wir seine Ansprüche durchsetzen will, braucht nicht unbedingt die Privatanschrift des Arztes. Abgewogen werden sollte zwischen Privatsphäre und berechtigtem Auskunftsverlangen eines Patienten.“
Der Datenschutz ist in Deutschland ein hohes Gut. Zu Recht!
„Doch auch der Datenschutz hat seine in Grenzen. Und diese kann man überwinden, wenn überwiegende Interessen für einen sprechen. Häufig wenden sich betroffene und verzweifelte Mandanten an qualifizierte Rechtsanwälte mit der Bitte, Ansprüche geltend zu machen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass diese Ansprüche dann im Rahmen des Datenschutzes durchgesetzt werden können“, sagt Fachanwalt Dr. Schulte, der mit seinem Team eine Vielzahl von Gerichtsverfahren betrieben hat, wo die wahre Identität der Gegenseite von Anfang an nicht klar war. Die Teilnehmer diskutierten die Sichtweise der Entscheidung und die weiteren möglichen Konsequenzen bei der Datentransparenz für Versicherungsunternehmen.
Der Bundesgerichtshof wies die Klage ab, so dass die Klinik nicht verpflichtet war, die Daten des angestellten Arztes herauszurücken.
Umweg Strafverfahren
Jede ärztliche Behandlung – jede fehlerhafte ärztliche Behandlung – kann eine Straftat, die ggf. als Körperverletzung verfolgt werden kann. Es ist daher für Patienten ein Umweg denkbar. Er erstattet Strafanzeige gegen den Arzt und erfährt über die Akteneinsicht als Geschädigte in die Ermittlungsakte die private Adresse des Arztes. Auch dieser Weg ist denkbar.
Die anschließende Diskussion verdeutlicht, dass zum Thema Datenschutz und deren Transparenz akuter Klärungsbedarf zum Schutz des Persönlichkeitsrechts besteht.