Neue Hoffnung für die Klagen gegen Banken im Bereich der Schrottimmobilien
Es sieht nach einem herben Rüffel für den BGH aus, was derzeit vor dem EuGH vorbereitet wird. In der Rechtssache C-350/03 schreiben die Prozessbevollmächtigten der EU-Kommission, Jörn Sack und Jean- Paul Keppene dem BGH ins Stammbuch, im Zusammenhang mit seiner Rechtsprechung zum kreditfinanzierten Erwerb von Eigentumswohnungen im Strukturvertrieb habe dieser es an „der notwendigen objektiven und vollständigen Analyse und Bewertung aller sachlichen und rechtlichen Umstände …fehlen lassen“. Offenbar habe sich der BGH entschlossen, „die Entscheidung (des EuGH vom 18.12.2001) durch eine …ignorierende Auslegung …zu neutralisieren. Dies ist aber aus der Sicht des Gemeinschaftsrechts nicht akzeptabel.“
Die Rechtsexperten der Kommission kommen in einem Gutachten für den EuGH zu dem Schluß, der BGH handhabe die Auslegung der Haustürgeschäfte-Richtlinie der EU zu restriktiv und habe fortan „die Bestimmungen des nationalen Rechts dahingehend auszulegen, dass sie in größtmöglichem Einklang mit Wortlaut, Ziel und Zweck der Richtlinie in der Auslegung, die sie durch den Europäischen Gerichtshof erfahren hat, stehen. Der vollen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts entgegenstehende Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts hat er gegebenenfalls außer Acht zu lassen.
In dem Gutachten steckt ebensoviel Sprengstoff für die betroffenen Banken wie Hoffnung für hunderttausende Immobilienerwerber, für die der Traum von der Altersvorsorge zum Albtraum Schuldenfalle geworden ist. Hintergrund ist der Vertrieb oftmals überteuerter Eigentumswohnungen durch Drückerkolonnen, vollfinanziert von Banken und Sparkassen. Traurige Berühmtheit in diesem Zusammenhang erlangten vor allem die Badenia und die Hypovereinsbank.
Der Europäische Gerichtshof hat sich mit diesem Fall zu befassen, weil der BGH ein eigentlich verbraucherfreundliches Urteil der Europarichter ins Gegenteil verkehrt hatte. Politisch gewollt und steuerlich begünstigt sollte Anfang bis Mitte der 1990‘er Jahre das Beitrittsgebiet mit privaten Investitionen in eine blühende Landschaft verwandelt werden. Zu diesem Zweck wurden umfassende Steuererleichterungen, auch für den Kauf und die Sanierung von privatem Wohnraum gewährt. Immobilienspekulanten und Banken witterten ein Jahrhundertgeschäft und versuchten im Verbund, mit aggressiven Vertriebsmethoden ihre zumeist vollkommen überteuerten Objekte an den Kleinanleger zu bringen.
Häufig wurden Strukturvertriebe eingeschaltet, die durch die Treppenhäuser tigerten und den nichtsahnenden potentiellen Anlegern ein vermeintlich unwiderstehliches Angebot machten: eine Wohnung, erworben zu Eigentum, gewisser Massen zum Nulltarif. Die Finanzierung sollte danach fast ohne Eigenmittel funktionieren. Die Partnerbank gewährte einen Kredit, der sofort an den Wohnungsverkäufer ausgezahlt wurde. Der Käufer erhielt die Wohnung im Grundbuch überschrieben und sollte daraufhin die Mietzahlungen erhalten, meist gesichert durch Mietgarantien. Zusammen mit den Steuererleichterungen, die für die Wohnung gewährt werden sollten, sollte der Kredit bei der finanzierenden Bank leicht abzuzahlen sein.
Es kam natürlich alles anders: die Immobilien erwirtschafteten nicht die versprochenen Erträge, die Steuergesetzgebung änderte sich, die Mietgaranten wurden insolvent. Die frischgebackenen Eigenheimbesitzer hatten aus ihrem Vermögen viel größere Summen zum Erhalt der Immobilie zu leisten, als geplant, und die Tilgungsleistungen an die Banken überstiegen vielfach das finanziell verkraftbare Maß.
Eine Anwendbarkeit der Schutzvorschriften der beiden großen deutschen Verbraucherschutzgesetze scheiterte an einer Perfidie des Gesetzgebers: das Haustürgeschäftewiderrufsgesetz, welches aufgrund der Situation bei Anbahnung der Kauf- und Darlehensverträge an sich einschlägig gewesen wäre, konnte hinsichtlich des Kaufvertrages nicht angewandt werden, da die entsprechenden Willenserklärungen notariell beurkundet wurden (§ 1 II Nr.3 HaustürWG a.F.). Auf die Darlehensverträge war das HaustürWG nicht anwendbar, da diese dem Verbraucherkreditgesetz unterfielen (§ 5 II S.1 HaustürWG a.F.). Das Widerrufsrecht nach dem Verbraucherkreditgesetz wiederum war für die Kredite der Banken meistens nicht einschlägig, da diese Kredite durch Grundschulden abgesichert waren, sog. Realkredite (§ 3 II Nr.2 VerbrKrG a.F.). Sofern dies nicht der Fall war, sind die Ansprüche auf Widerruf nach einem Jahr erloschen (§ 7 II S.2 VerbrKrG .F.). Eine ausweglose Lage also für die Anleger, wie sie auch von deutschen Gerichten immer wieder ausgeurteilt wurde.
Hilfe nahte zunächst, wie schon so oft, in Form eines Urteils des EuGH. Diesem hatte der BGH die Frage vorgelegt, ob die Regelung des § 5 II HaustürWG die europäische Haustürgeschäfterichtlinie richtig in deutsches Recht umgesetzt habe, wenn das VerbrKrG gar keinen Widerruf des Darlehens gestattet, weil dieses ein sog. Realkredit ist. Kann in diesem Fall der Ausschluß des einen Gesetzes zu Gunsten des nicht anwendbaren anderen richtig sein?
Der EuGH entschied sich gegen die deutsche Rechtslage und stellte fest, das die Rechte der Verbraucher nicht in dem Maße gewahrt werden, wie dies von der europäischen Richtlinie beabsichtigt war, Diese sah einen Vorrang eines Rechtes zu Lasten eines anderen nicht vor. Daher müsse auch bei Realkrediten das HaustürWG anwendbar sein. Ebenfalls zu Gunsten der Anleger beantwortete der EuGH die Frage, ob das unbefristete Widerrufsrecht des HaustürWG in diesen Fällen auf die Jahresfrist des VerbrKrG zu reduzieren sei. Nein, denn das sehe die Richtlinie nicht vor.
Mit diesem Urteil begann ein erbitterter Streit zwischen Bank- und Verbraucherjuristen, Landgerichten und dem BGH. Nachdem einige Landgerichte auf der Grundlage des EuGHUrteils dem Kunden das Recht zusprachen, sich durch Widerruf vom Vertrag zu lösen, während die Bank statt einer Rückgewähr der Darlehenssumme die „Schrottimmobilie“ übernehmen musste, legte der zuständige XI. Zivilsenat des BGH das Urteil ganz anders aus. Zwar wurde mit Urteil vom 09.04.2002 (XI ZR 91/99) anerkannt, das das Widerrufsrecht des § 1 HaustwürWG auch solchen Verbrauchern zusteht, die einen Realkredit aufgenommen haben. Aber die von den enttäuschten Immobilienkäufern erhoffte Rechtsfolge wollte der BGH nicht aussprechen: mitnichten könne der Kunde statt einer Rückzahlung des Darlehens der Bank die unrentable Immobilie übereignen. Vielmehr müsse nach dem Widerruf die gesamte Darlehenssumme am Stück nebst Vertragszins an die Bank zurückgezahlt werden. Zusätzlich bleibe der Kunde auf der Immobilie sitzen. Denn Darlehens- und Kaufvertrag seien keine sog. verbundenen Geschäfte, so das auch nur das Darlehen von dem Widerruf erfasst sei. Für die meisten Anleger katastrophal, da auf diese Weise das Widerrufsrecht geradezu gefährlich werden kann. Die Bankjuristen dagegen schöpften wieder Hoffnung.
Nur einige Landgerichte löckten wider den Stachel des BGH, der die Rechtslage für die Bankkunden in der Folgezeit sogar noch verschärfte. So wurde z.B. in einem Urteil vom 21.01.2003 (XI ZR 125/02) einer Bank, die ein solches Darlehen zurückforderte, sich jedoch zunächst durch einen erklärten Widerruf des Kunden daran gehindert sah, gerade auf Grund dieses Widerrufs ein Anspruch zuerkannt: denn nach dem Widerruf, auf den die Bank selbst sich gar nicht berufen hatte, sei ja nach dem Urteil vom 09.04.2002 das Geld voll zurückzuzahlen. Die Immobilie habe der Anleger jedoch zu behalten.
Die Landgerichte Bremen, Berlin und Oldenburg entschieden sich in vereinzelten Urteilen gegen den BGH. Die mutigen Richter mussten jedoch stets mit einer Aufhebung dieser Urteile in der Berufung rechnen. Nicht so das LG Bochum: mit einem Aufsehen erregenden Beschluß vom 29.07.2003 (1 O 795/03) legte es die Rechtsprechung des BGH dem EuGH zur Prüfung auf die Vereinbarkeit mit dem europäischen Recht vor. Im Hinblick auf dieses „Wunder von Bochum“ wurden die Verfahren Hunderter gleichartig Geschädigter bis zum Spruch der Europarichter ausgesetzt.
Der BGH sah sich sogleich veranlasst, das LG Bochum über seine Rechtsmeinung zu belehren. In einem Beschluß vom 16.09.2003 (XI ZR 447/02) wurde denn auch dargelegt, weshalb die Vorlageentscheidung rechtsfehlerhaft sei. Die Bundesrichter sahen keinen Grund, ihre restriktive Haltung zu ändern, auch nicht, als aufgrund von Bemerkungen des Vorsitzenden Richters Nobbe am Rande eines Bankrechts-Seminars Strafanzeige und Befangenheitsanträge gegen Mitglieder des XI. Senats gestellt wurde.
Im Zuge des Verfahrens nun beauftragte der EuGH die EU-Kommission mit der Erstellung eines Rechtsgutachtens. Die Gutachter teilen die Rechtsmeinung des BGH zum Europarecht explizit nicht und bitten den EuGH sogar um beschleunigte Behandlung der Sache, da „einige hunderttausende deutsche Verbraucher “…von der Zwangsvollstreckung durch die Banken bedroht sind und um ihr wirtschaftliches Überleben bangen….Nur ein Urteil des Gerichtshofes kann hier die notwendige Klärung herbeiführen.“
Röhlke
Rechtsanwalt