Mit Datum vom 26.07.2005 hat das Bundesverfassungsgericht mit zwei Urteilen (1 Bvr 80/95; 1 Bvr 782/94 und 1 Bvr 957/96) die Position von Versicherungsnehmern von kapitalbildenden Lebensversicherungen mit Überschussbeteiligungen und somit auch den Verbraucherschutz als solchen gestärkt. Die bisherige Gesetzeslage wurde dabei als verfassungswidrig erachtet und der Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31.12.2007 Vorkehrungen dafür zu treffen, dass die durch Prämienzahlung der Versicherten geschaffenen Vermögenswerte bei der Ermittlung des Schlussüberschusses angemessen berücksichtigt werden.
Bei der kapitalbildenden Lebensversicherung handelt es sich um ein gesetzlich ausgeschottetes System der privaten Zukunftssicherung, welches von der Bundesrepublik Deutschland unter anderem auch steuerlich gefördert wird. Hierbei verpflichtet sich der Versicherer, dem Versicherten bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters eine bestimmte Summe zu zahlen. Kapitalbildende Lebensversicherungen spielen eine entscheidende Rolle bei der privaten Alterssicherung, deutlich wird dies insbesondere in der Zahl von derzeit ungefähr 60 Mio Verträgen in Deutschland. Auch hinsichtlich der aktuellen politischen Diskussion über eine Ausweitung der privaten Altersvorsorge sind diese beiden Urteile von großer Bedeutung.
Die genannten Verfassungsbeschwerden, die im übrigen vom Bund der Versicherten unterstützt wurden, waren im Kern erfolgreich, da die aktuellen gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf die Ermittlung des Schlussüberschusses sowie die Regelung zur Bestandsübertragung den Schutz des Eigentums auf Artikel 14 Absatz 1 GG und der Privatautonomie aus Artikel 2 Absatz 1 GG ausreichend gewährleistet.
Die Prämienzahlungen der Versicherten gehen vollständig in das Eigentum des Versicherungsunternehmens über, diese können die ihnen anvertrauten Vermögenswerte grundsätzlich frei anlegen. Dabei haben sie die handelsrechtlichen Bewertungsregeln über Vermögensanlagen nach dem Handelsgesetzbuch zu beachten. Demnach ist die Schaffung so genannter stiller Reserven (die Differenz zwischen dem handelsrechtlichen Buchwert und dem Zeitwert) zulässig. Die Höhe der derzeitigen stillen Reserven wird auf ungefähr 25 Mrd. Euro geschätzt. Dieser sehr hohe Betrag wird nach der derzeitigen Rechtslage bei der Ermittlung des Schlussüberschusses überhaupt nicht beachtet. Hierin sieht das Gericht eine ungerechtfertigte Benachteiligung der einzelnen Versicherten.
Die Vertragsbedingungen der Lebensversicherung stehen in der Wirtschaftspraxis nicht zur Disposition der Versicherungsnehmer. Sie sind so ausgestaltet, dass eine Kündigung und ein Wechsel zu einem Konkurrenzunternehmen keine wirtschaftlich sinnvolle Option darstellt, da sie regelmäßig mit ganz erheblichen Nachteilen verbunden ist. Der Versicherungsnehmer hat keine Möglichkeit, einen Versicherungsvertrag mit Überschussbeteiligung so abzuschließen, dass die stillen Reserven jedenfalls auch teilweise ohne Realisierung berücksichtigt und Möglichkeiten der Querverrechnung transparent gemacht und inhaltlich begrenzt werden.
Das zivilrechtliche Versicherungsvertragsrecht regelt – nach der Auslegung des BGH – nicht die Feststellung des Überschusses selbst, sondern dessen Verteilung an die Versicherten. Dabei wird von dem Bundesgerichtshof für die Ermittlung des Überschusses auf die Kontrollmöglichkeiten des Versicherungsaufsichtsrechts verwiesen, dessen Maßstab die so genannte Mißstandsaufsicht ist. Diese aufsichtliche Tätigkeit orientiert sich nur an den Belangen der Versicherten in ihrer Gesamtheit und an der Sicherung der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens, aufsichtliche Tätigkeit am einzelnen Versicherungsverhältnis findet nicht statt.
Die eben beschriebene Rechtslage wird den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten nicht gerecht. Das Bundesverfassungsgericht hat daher dem Gesetzgeber einige Lösungsmöglichkeiten aufgezeigt, um das eben beschriebene Schutzdefizit im Rahmen seines Gestaltungsspielraumes zu beseitigen und einen verfassungsgemäßen Schutz der Versicherten zu schaffen:
– Die Verbesserung des Informationszuganges und Umfangs (z.B. Information über Abschluss-
und Verwaltungskosten sowie über Möglichkeiten der Querverrechnung)
– Sicherungsspezifische Bilanzierung der Vermögenswerte unter detaillierter Offenlegung von Bewertungsreserven, die eine teilweise Berücksichtigung bei der Überschussbeteiligung
ermöglichen, ohne das stille Reserven realisiert werden müssten.
– Verbesserung der Möglichkeiten zum Versicherungswechsel unter weitgehendem Erhalt der bisher angesparten Rechtsposition.
Die beiden Urteile des Bundesverfassungsgerichts erhalten aber keine Vorgabe, ob und inwieweit eine Neuregelung für bereits laufende Verträge gelten soll. Die bisherigen Regelungen haben bis zur Umsetzung der vorgeschlagenen Änderungen durch den Gesetzgeber weiter Bestand, trotz der Feststellung der Verfassungswidrigkeit der bisherigen Regelungen. Daher ändert sich für den Versicherten erst einmal gar nichts.
Leider enthalten die Urteile auch keine Vorgabe, ob und inwieweit eine Neuregelung durch den Gesetzgeber für laufende Verträge gelten soll.
Daher bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber bis zum 31.12.2007 den Schutz der Versicherten verbessert und inwieweit er bestehende Verträge in die geänderten Bestimmung einbezieht.