In einen Grundsatzentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht als Hüterin des Grundgesetzes ein Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 19. November 2004 – 4 S 86/04 -aufgehoben, weil es gegen das Willkürverbot verstößt 1 BvR 2875/04.
Es ging um einen Zivilrechtsstreit, bei dem dann ein vom dem Gericht geschlossener Vergleich durch eine Partei abgelehnt worden ist. Mit Urteil vom 26. Januar 2004 wies das Amtsgericht die Klage ab. Nach wirksamem Widerruf des Vergleichs durch den Beschwerdeführer wies das Landgericht die Berufung mit Urteil vom 19. November 2004 zurück. Das Gericht nutzte folgende Formulierungen:
"Die AGB … sind diesbezüglich nicht unwirksam. … Eine Lösung des Rechtsstreits unter dem Gesichtspunkt der Vorleistungspflicht wird dem hier vorliegenden Sachverhalt jedoch nicht gerecht. Denn unstreitig betreibt der Beklagte seit geraumer Zeit das Hotel …, für das die Werbezündhölzer bestimmt sind, nicht mehr. Was soll der Beklagte mit einer solchen Lieferung anfangen? Eine solche Lösung ist wirtschaftlicher Unsinn. Die Gerichte sind nicht dazu da, wirtschaftlichen Unsinn abzusegnen, wenn das Vertragsverhältnis der Parteien eine wirtschaftlich sinnvolle Lösung zulässt, sich [der Beschwerdeführer] dem aber verschließt. Im konkreten Fall wäre die einzig sinnvolle Lösung die Zahlung einer Abstandszahlung. Aus diesem Grund hat das Gericht auch auf den Abschluss eines entsprechenden Vergleichs hingewirkt… Der Widerruf des Vergleichs durch [den Beschwerdeführer] und die hierfür gegebene Begründung zeigen aber, dass [der Beschwerdeführer] eine Lösung des Rechtsstreits über die Zahlung einer Abstandszahlung jedenfalls derzeit gerade nicht will."
Vor dem Bundesverfassungsgericht rügte eine Partei in einer Verfassungsbeschwerde, die Verletzung der Rechte aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG und aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Den Gründen des landgerichtlichen Urteils könne auch bei wohlwollenster Auslegung kein rechtlich nachvollziehbarer Grund für die Abweisung der Klage entnommen werden. Die Entscheidung sei vielmehr sachlich schlechterdings unvertretbar, so der Beschwerdeführer.
Das Bundesverfassungsgericht entschied dann: Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts zur Entscheidung an und gibt ihr nach § 93 c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG statt. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 3 Abs. 1 GG angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits entschieden (vgl.BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132 <137>; 87, 273 <278 f.>).
Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Landgerichts richtet und einen Verstoß gegen das Willkürverbot rügt, ist sie zulässig und offensichtlich begründet. Das Urteil des Landgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG.
Tragende Erwägungen sind: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts wird ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot nicht schon durch eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet; hinzukommen muss vielmehr, dass die fehlerhafte Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich (stRspr, z.B.BVerfGE 4, 1 <7>; 80, 48 <51>; 81, 132 <137>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>).
Nicht ausreichend war: Das Landgericht argumentiert lediglich mit "wirtschaftlichem Unsinn", ohne dies in irgendeiner Form rechtlich einzuordnen. Sofern damit ein Wegfall der Geschäftsgrundlage nach § 242 BGB a.F. beziehungsweise eine Störung der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB angesprochen sein sollte, lässt sich die Entscheidung hierauf nicht stützen. Die Störung des Verwendungszwecks rechtfertigt regelmäßig nicht eine Vertragsanpassung oder gar einen Wegfall der beiderseitigen Vertragspflichten (gegebenenfalls auch über eine – hier nicht ausgesprochene – Kündigung gemäß § 313 Abs. 3 Satz 2, § 314 BGB). Denn der Gläubiger trägt grundsätzlich das Verwendungsrisiko (vgl. nur BGH, NJW 1985, S. 2693 <2694>; Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 313 Rn. 43 m.w.N.). Dass eine der eng begrenzten Ausnahmen von diesem Grundsatz (vgl. dazu Palandt/Heinrichs, a.a.O., Rn. 44) vorliegt, ist weder festgestellt noch erkennbar. Die Entscheidung des Landgerichts ist mithin einfachrechtlich nicht vertretbar.
Aufgrund der oben im Wortlaut zitierten Ausführungen in den Urteilsgründen drängt sich der Schluss auf, dass die Entscheidung auf sachfremden Erwägungen beruht. Darauf deuten zum einen die – vom Landgericht in keinerlei rechtlichen Kontext gestellten – Ausführungen zu Fragen des wirtschaftlichen (Un-)Sinns hin. Zum anderen legt auch die Abhandlung der Geschichte des Vergleichswiderrufs im angefochtenen Urteil den Schluss auf objektive Willkür nahe. Es ist nicht nachvollziehbar, inwiefern dieser Vorgang die Rechtsfindung objektiv beeinflussen können soll und seine Erwähnung in den Gründen daher geboten wäre.
Die Zurückweisung der Berufung durch das Landgericht beruht auf dieser objektiv willkürlichen Sachbehandlung, weil bei Bejahung der Vorleistungspflicht rechtserhebliche Einwendungen gegen einen Zahlungsanspruch des Beschwerdeführers jedenfalls in Höhe der Vergütung für eine Teillieferung nicht ersichtlich sind. Das Urteil des Landgerichts ist daher gemäß § 93 c Abs. 2 in Verbindung mit § 95 Abs. 2 BVerfGG aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen.
Ergebnis: Unsachlich begründete, nicht begründete oder offensichtlich durch rechtsfremde Erwägungen begründete Urteile können angefochten werden.